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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796.

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30.
William Lovell an Rosa.


Ich habe mancherley Nachrichten aus Eng-
land, die mich interessiren sollten, allein ich
kann einzig an die schöne Rosaline denken. Him-
mel! welch ein Mädchen! Ich sehe unaufhör-
lich die hellen braunen Augen vor mir, ich kann
nichts anders denken, als ihren Gang und ih-
ren schlanken Wuchs. Ich habe sie seitdem
mehr als einmal gesprochen; aber alles ist ver-
gebens. Sie hat eine Menschenscheu, die un-
überwindlich ist, sie geht mir aus dem Wege,
und wenn ich vor ihr stehe, schlägt sie die Au-
gen zur Erde, und sieht mich nicht einmal an. --
Es ist, als wenn ich zu dem Mädchen hinge-
zaubert wäre, ich habe noch nie ein Geschöpf
mit dieser Heftigkeit, ich möchte sagen, mit
diesem Wahnsinne geliebt. So wie ich nur die
Augen schließe, steht sie vor mir; ich bin seit
einigen Tagen wie verrückt.

Ich mag weder Bianka noch Laura sehen;
jedes andre Mädchen erscheint mir langweilig

30.
William Lovell an Roſa.


Ich habe mancherley Nachrichten aus Eng-
land, die mich intereſſiren ſollten, allein ich
kann einzig an die ſchoͤne Roſaline denken. Him-
mel! welch ein Maͤdchen! Ich ſehe unaufhoͤr-
lich die hellen braunen Augen vor mir, ich kann
nichts anders denken, als ihren Gang und ih-
ren ſchlanken Wuchs. Ich habe ſie ſeitdem
mehr als einmal geſprochen; aber alles iſt ver-
gebens. Sie hat eine Menſchenſcheu, die un-
uͤberwindlich iſt, ſie geht mir aus dem Wege,
und wenn ich vor ihr ſtehe, ſchlaͤgt ſie die Au-
gen zur Erde, und ſieht mich nicht einmal an. —
Es iſt, als wenn ich zu dem Maͤdchen hinge-
zaubert waͤre, ich habe noch nie ein Geſchoͤpf
mit dieſer Heftigkeit, ich moͤchte ſagen, mit
dieſem Wahnſinne geliebt. So wie ich nur die
Augen ſchließe, ſteht ſie vor mir; ich bin ſeit
einigen Tagen wie verruͤckt.

Ich mag weder Bianka noch Laura ſehen;
jedes andre Maͤdchen erſcheint mir langweilig

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[132/0138] 30. William Lovell an Roſa. Rom. Ich habe mancherley Nachrichten aus Eng- land, die mich intereſſiren ſollten, allein ich kann einzig an die ſchoͤne Roſaline denken. Him- mel! welch ein Maͤdchen! Ich ſehe unaufhoͤr- lich die hellen braunen Augen vor mir, ich kann nichts anders denken, als ihren Gang und ih- ren ſchlanken Wuchs. Ich habe ſie ſeitdem mehr als einmal geſprochen; aber alles iſt ver- gebens. Sie hat eine Menſchenſcheu, die un- uͤberwindlich iſt, ſie geht mir aus dem Wege, und wenn ich vor ihr ſtehe, ſchlaͤgt ſie die Au- gen zur Erde, und ſieht mich nicht einmal an. — Es iſt, als wenn ich zu dem Maͤdchen hinge- zaubert waͤre, ich habe noch nie ein Geſchoͤpf mit dieſer Heftigkeit, ich moͤchte ſagen, mit dieſem Wahnſinne geliebt. So wie ich nur die Augen ſchließe, ſteht ſie vor mir; ich bin ſeit einigen Tagen wie verruͤckt. Ich mag weder Bianka noch Laura ſehen; jedes andre Maͤdchen erſcheint mir langweilig

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/138>, abgerufen am 25.04.2024.