Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796.

Bild:
<< vorherige Seite
33.
Rosa an William Lovell.


Sie fangen an mit Ihrer Geschichte recht amü-
sant zu werden. Es ist ja alles so schön, wie
man es nur im besten Romane verlangen kann.
Ich wünsche Ihnen Glück, denn es ist gewiß,
daß nichts uns unser trocknes, prosaisches Le-
ben so poetisch macht, als irgend eine seltsame
Situation, in die wir uns selber versetzen. Im
Grunde besteht unser ganzes Leben nur aus sol-
chen Situationen, und ich tadle Sie daher gar
nicht, wenn Sie sich Ihre Empfindungen so
lebhaft als möglich machen. Fahren Sie nur
fort, eben so aufrichtig gegen mich zu seyn, als
bisher, so werden mir Ihre Nachrichten viel
Vergnügen machen. Seyn Sie aber auch, wenn
es irgend möglich ist, aufrichtig gegen sich selbst:
denn sonst entsteht am Ende eine gewisse fade
Leere, die man sich mit Enthusiasmus auszufül-
len zwingt; dies sind die widrigsten Epochen
des Lebens. Man quält sich dann, das Interesse
noch an denselben Gegenständen zu finden, weil

33.
Roſa an William Lovell.


Sie fangen an mit Ihrer Geſchichte recht amuͤ-
ſant zu werden. Es iſt ja alles ſo ſchoͤn, wie
man es nur im beſten Romane verlangen kann.
Ich wuͤnſche Ihnen Gluͤck, denn es iſt gewiß,
daß nichts uns unſer trocknes, proſaiſches Le-
ben ſo poetiſch macht, als irgend eine ſeltſame
Situation, in die wir uns ſelber verſetzen. Im
Grunde beſteht unſer ganzes Leben nur aus ſol-
chen Situationen, und ich tadle Sie daher gar
nicht, wenn Sie ſich Ihre Empfindungen ſo
lebhaft als moͤglich machen. Fahren Sie nur
fort, eben ſo aufrichtig gegen mich zu ſeyn, als
bisher, ſo werden mir Ihre Nachrichten viel
Vergnuͤgen machen. Seyn Sie aber auch, wenn
es irgend moͤglich iſt, aufrichtig gegen ſich ſelbſt:
denn ſonſt entſteht am Ende eine gewiſſe fade
Leere, die man ſich mit Enthuſiasmus auszufuͤl-
len zwingt; dies ſind die widrigſten Epochen
des Lebens. Man quaͤlt ſich dann, das Intereſſe
noch an denſelben Gegenſtaͤnden zu finden, weil

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0147" n="141"/>
        <div n="2">
          <head>33.<lb/><hi rendition="#g">Ro&#x017F;a</hi> an <hi rendition="#g">William Lovell</hi>.</head><lb/>
          <dateline>
            <placeName> <hi rendition="#right"><hi rendition="#g">Tivoli</hi>.</hi> </placeName>
          </dateline><lb/>
          <p><hi rendition="#in">S</hi>ie fangen an mit Ihrer Ge&#x017F;chichte recht amu&#x0364;-<lb/>
&#x017F;ant zu werden. Es i&#x017F;t ja alles &#x017F;o &#x017F;cho&#x0364;n, wie<lb/>
man es nur im be&#x017F;ten Romane verlangen kann.<lb/>
Ich wu&#x0364;n&#x017F;che Ihnen Glu&#x0364;ck, denn es i&#x017F;t gewiß,<lb/>
daß nichts uns un&#x017F;er trocknes, pro&#x017F;ai&#x017F;ches Le-<lb/>
ben &#x017F;o poeti&#x017F;ch macht, als irgend eine &#x017F;elt&#x017F;ame<lb/>
Situation, in die wir uns &#x017F;elber ver&#x017F;etzen. Im<lb/>
Grunde be&#x017F;teht un&#x017F;er ganzes Leben nur aus &#x017F;ol-<lb/>
chen Situationen, und ich tadle Sie daher gar<lb/>
nicht, wenn Sie &#x017F;ich Ihre Empfindungen &#x017F;o<lb/>
lebhaft als mo&#x0364;glich machen. Fahren Sie nur<lb/>
fort, eben &#x017F;o aufrichtig gegen mich zu &#x017F;eyn, als<lb/>
bisher, &#x017F;o werden mir Ihre Nachrichten viel<lb/>
Vergnu&#x0364;gen machen. Seyn Sie aber auch, wenn<lb/>
es irgend mo&#x0364;glich i&#x017F;t, aufrichtig gegen &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t:<lb/>
denn &#x017F;on&#x017F;t ent&#x017F;teht am Ende eine gewi&#x017F;&#x017F;e fade<lb/>
Leere, die man &#x017F;ich mit Enthu&#x017F;iasmus auszufu&#x0364;l-<lb/>
len zwingt; dies &#x017F;ind die widrig&#x017F;ten Epochen<lb/>
des Lebens. Man qua&#x0364;lt &#x017F;ich dann, das Intere&#x017F;&#x017F;e<lb/>
noch an den&#x017F;elben Gegen&#x017F;ta&#x0364;nden zu finden, weil<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[141/0147] 33. Roſa an William Lovell. Tivoli. Sie fangen an mit Ihrer Geſchichte recht amuͤ- ſant zu werden. Es iſt ja alles ſo ſchoͤn, wie man es nur im beſten Romane verlangen kann. Ich wuͤnſche Ihnen Gluͤck, denn es iſt gewiß, daß nichts uns unſer trocknes, proſaiſches Le- ben ſo poetiſch macht, als irgend eine ſeltſame Situation, in die wir uns ſelber verſetzen. Im Grunde beſteht unſer ganzes Leben nur aus ſol- chen Situationen, und ich tadle Sie daher gar nicht, wenn Sie ſich Ihre Empfindungen ſo lebhaft als moͤglich machen. Fahren Sie nur fort, eben ſo aufrichtig gegen mich zu ſeyn, als bisher, ſo werden mir Ihre Nachrichten viel Vergnuͤgen machen. Seyn Sie aber auch, wenn es irgend moͤglich iſt, aufrichtig gegen ſich ſelbſt: denn ſonſt entſteht am Ende eine gewiſſe fade Leere, die man ſich mit Enthuſiasmus auszufuͤl- len zwingt; dies ſind die widrigſten Epochen des Lebens. Man quaͤlt ſich dann, das Intereſſe noch an denſelben Gegenſtaͤnden zu finden, weil

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/147
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/147>, abgerufen am 29.03.2024.