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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796.

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50.
William Lovell an Rosa.


Ich habe mehrere Tage hindurch in einer Ver-
worrenheit aller Begriffe und Empfindungen ge-
lebt; ich mochte Ihnen nicht schreiben, weil ich
zu träge war. Jetzt aber will ich Ihnen den
Verfolg meiner Liebschaft melden, und ich bin
auf Ihre Antwort äußerst begierig.

Ich habe so eben eine halbe Flasche Cyper-
wein getrunken, und meine Hand zittert, in-
dem ich schreibe; ich bin äußerst froh und zu-
frieden, und mir ist so leicht, daß ich bey je-
dem Absatze aus vollem Halse lachen muß. Wil-
ly sieht mich von der Seite mit mißtrauischen
Augen an, und scheint dabey halb eingeschlafen.
Das Leben ist das allerlustigste und lächerlichste,
was man sich denken kann; alle Menschen tum-
meln sich wie klappernde Marionetten durch ein-
ander, und werden an plumpen Dräthen regiert,
und sprechen von ihrem freyen Willen. -- Heut
am Morgen kam die Nachricht von Pietro's
Tode, man hatte den Leichnam an der Land-

50.
William Lovell an Roſa.


Ich habe mehrere Tage hindurch in einer Ver-
worrenheit aller Begriffe und Empfindungen ge-
lebt; ich mochte Ihnen nicht ſchreiben, weil ich
zu traͤge war. Jetzt aber will ich Ihnen den
Verfolg meiner Liebſchaft melden, und ich bin
auf Ihre Antwort aͤußerſt begierig.

Ich habe ſo eben eine halbe Flaſche Cyper-
wein getrunken, und meine Hand zittert, in-
dem ich ſchreibe; ich bin aͤußerſt froh und zu-
frieden, und mir iſt ſo leicht, daß ich bey je-
dem Abſatze aus vollem Halſe lachen muß. Wil-
ly ſieht mich von der Seite mit mißtrauiſchen
Augen an, und ſcheint dabey halb eingeſchlafen.
Das Leben iſt das allerluſtigſte und laͤcherlichſte,
was man ſich denken kann; alle Menſchen tum-
meln ſich wie klappernde Marionetten durch ein-
ander, und werden an plumpen Draͤthen regiert,
und ſprechen von ihrem freyen Willen. — Heut
am Morgen kam die Nachricht von Pietro’s
Tode, man hatte den Leichnam an der Land-

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[184/0190] 50. William Lovell an Roſa. Rom. Ich habe mehrere Tage hindurch in einer Ver- worrenheit aller Begriffe und Empfindungen ge- lebt; ich mochte Ihnen nicht ſchreiben, weil ich zu traͤge war. Jetzt aber will ich Ihnen den Verfolg meiner Liebſchaft melden, und ich bin auf Ihre Antwort aͤußerſt begierig. Ich habe ſo eben eine halbe Flaſche Cyper- wein getrunken, und meine Hand zittert, in- dem ich ſchreibe; ich bin aͤußerſt froh und zu- frieden, und mir iſt ſo leicht, daß ich bey je- dem Abſatze aus vollem Halſe lachen muß. Wil- ly ſieht mich von der Seite mit mißtrauiſchen Augen an, und ſcheint dabey halb eingeſchlafen. Das Leben iſt das allerluſtigſte und laͤcherlichſte, was man ſich denken kann; alle Menſchen tum- meln ſich wie klappernde Marionetten durch ein- ander, und werden an plumpen Draͤthen regiert, und ſprechen von ihrem freyen Willen. — Heut am Morgen kam die Nachricht von Pietro’s Tode, man hatte den Leichnam an der Land-

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/190>, abgerufen am 24.04.2024.