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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796.

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60.
Rosaline an William Lovell.

Verwünschungen, Flüche hinter Dir her! --
Sie werden Dich ereilen und ergreifen. -- Nein,
ich kann nicht länger im Hause bey meiner Mut-
ter bleiben, ich kann nicht länger in dieser Welt
bleiben, wo jeder Baum, jeder Grashalm mich
an Dich erinnert. -- Mir ist seltsam, ich will
durch die Welt wandern, und Dich suchen, und
wenn ich sterbe, sieh! dann treff ich Dich doch
jenseits, denn Du mußt auch sterben; da kannst
Du meinen Vorwürfen nicht entlaufen. -- O
weh Dir, Anthonio, daß Du sterben mußt;
dann wird Dir das Verzeichniß Deiner Sün-
den, aller, von der kleinsten, bis zur größten,
verlesen. Mir ist der Tod ein Trost, Dir wird
er wehe thun. -- Ich hab' es schon lange heim-
lich geglaubt, aber keinem Menschen und auch
Dir nicht sagen mögen, daß Du an Pietro's
Tode Schuld bist. -- O wehe Dir, wenn es
so ist! -- Ich werde hingejagt vom unbekann-
ten Geiste in Tod und Grab, es brennt in

60.
Roſaline an William Lovell.

Verwuͤnſchungen, Fluͤche hinter Dir her! —
Sie werden Dich ereilen und ergreifen. — Nein,
ich kann nicht laͤnger im Hauſe bey meiner Mut-
ter bleiben, ich kann nicht laͤnger in dieſer Welt
bleiben, wo jeder Baum, jeder Grashalm mich
an Dich erinnert. — Mir iſt ſeltſam, ich will
durch die Welt wandern, und Dich ſuchen, und
wenn ich ſterbe, ſieh! dann treff ich Dich doch
jenſeits, denn Du mußt auch ſterben; da kannſt
Du meinen Vorwuͤrfen nicht entlaufen. — O
weh Dir, Anthonio, daß Du ſterben mußt;
dann wird Dir das Verzeichniß Deiner Suͤn-
den, aller, von der kleinſten, bis zur groͤßten,
verleſen. Mir iſt der Tod ein Troſt, Dir wird
er wehe thun. — Ich hab’ es ſchon lange heim-
lich geglaubt, aber keinem Menſchen und auch
Dir nicht ſagen moͤgen, daß Du an Pietro’s
Tode Schuld biſt. — O wehe Dir, wenn es
ſo iſt! — Ich werde hingejagt vom unbekann-
ten Geiſte in Tod und Grab, es brennt in

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[206/0212] 60. Roſaline an William Lovell. Verwuͤnſchungen, Fluͤche hinter Dir her! — Sie werden Dich ereilen und ergreifen. — Nein, ich kann nicht laͤnger im Hauſe bey meiner Mut- ter bleiben, ich kann nicht laͤnger in dieſer Welt bleiben, wo jeder Baum, jeder Grashalm mich an Dich erinnert. — Mir iſt ſeltſam, ich will durch die Welt wandern, und Dich ſuchen, und wenn ich ſterbe, ſieh! dann treff ich Dich doch jenſeits, denn Du mußt auch ſterben; da kannſt Du meinen Vorwuͤrfen nicht entlaufen. — O weh Dir, Anthonio, daß Du ſterben mußt; dann wird Dir das Verzeichniß Deiner Suͤn- den, aller, von der kleinſten, bis zur groͤßten, verleſen. Mir iſt der Tod ein Troſt, Dir wird er wehe thun. — Ich hab’ es ſchon lange heim- lich geglaubt, aber keinem Menſchen und auch Dir nicht ſagen moͤgen, daß Du an Pietro’s Tode Schuld biſt. — O wehe Dir, wenn es ſo iſt! — Ich werde hingejagt vom unbekann- ten Geiſte in Tod und Grab, es brennt in

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/212>, abgerufen am 20.04.2024.