Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796.

Bild:
<< vorherige Seite
15.
William Lovell an Rosa.


Ich war durch unser gestriges Gespräch außer-
ordentlich erhitzt, und ging, wie berauscht, nach
Hause. Es waren so viele der fernsten Erinne-
rungen in mir geweckt, die noch immer in wie-
derholten Gängen durch meinen Busen zogen.
Es ist manchmal, als wollte sich das Räthsel
in uns selber aufschließen, als sollten wir plötz-
lich die Anwendung aller unsrer Empfindungen
und seltsamen Erfahrungen kennen lernen. Die
Nacht umgab mich mit hundertfachen Schauern,
der monderhellte durchsichtige Himmel wölbte
sich wie ein Krystall über mir, und spiegelte
die seltsamsten Empfindungen wie Schatten in
diese Welt hinein. -- Rosalinens wehmüthige
Gestalt war mit unter den bunten Schatten, sie
ging neben mir, und verlohr sich im krausen
Dunkel jedes Baums, und stand im hellen
Mondscheine wieder da: wie Tapeten voll selt-
samer Geschichten gewirkt, hing die ganze Na-
tur um mich her. Vergangenheit und Zukunft

15.
William Lovell an Roſa.


Ich war durch unſer geſtriges Geſpraͤch außer-
ordentlich erhitzt, und ging, wie berauſcht, nach
Hauſe. Es waren ſo viele der fernſten Erinne-
rungen in mir geweckt, die noch immer in wie-
derholten Gaͤngen durch meinen Buſen zogen.
Es iſt manchmal, als wollte ſich das Raͤthſel
in uns ſelber aufſchließen, als ſollten wir ploͤtz-
lich die Anwendung aller unſrer Empfindungen
und ſeltſamen Erfahrungen kennen lernen. Die
Nacht umgab mich mit hundertfachen Schauern,
der monderhellte durchſichtige Himmel woͤlbte
ſich wie ein Kryſtall uͤber mir, und ſpiegelte
die ſeltſamſten Empfindungen wie Schatten in
dieſe Welt hinein. — Roſalinens wehmuͤthige
Geſtalt war mit unter den bunten Schatten, ſie
ging neben mir, und verlohr ſich im krauſen
Dunkel jedes Baums, und ſtand im hellen
Mondſcheine wieder da: wie Tapeten voll ſelt-
ſamer Geſchichten gewirkt, hing die ganze Na-
tur um mich her. Vergangenheit und Zukunft

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0289" n="283"/>
        <div n="2">
          <head>15.<lb/><hi rendition="#g">William Lovell</hi> an <hi rendition="#g">Ro&#x017F;a</hi>.</head><lb/>
          <dateline>
            <placeName> <hi rendition="#right"><hi rendition="#g">Rom</hi>.</hi> </placeName>
          </dateline><lb/>
          <p><hi rendition="#in">I</hi>ch war durch un&#x017F;er ge&#x017F;triges Ge&#x017F;pra&#x0364;ch außer-<lb/>
ordentlich erhitzt, und ging, wie berau&#x017F;cht, nach<lb/>
Hau&#x017F;e. Es waren &#x017F;o viele der fern&#x017F;ten Erinne-<lb/>
rungen in mir geweckt, die noch immer in wie-<lb/>
derholten Ga&#x0364;ngen durch meinen Bu&#x017F;en zogen.<lb/>
Es i&#x017F;t manchmal, als wollte &#x017F;ich das Ra&#x0364;th&#x017F;el<lb/>
in uns &#x017F;elber auf&#x017F;chließen, als &#x017F;ollten wir plo&#x0364;tz-<lb/>
lich die Anwendung aller un&#x017F;rer Empfindungen<lb/>
und &#x017F;elt&#x017F;amen Erfahrungen kennen lernen. Die<lb/>
Nacht umgab mich mit hundertfachen Schauern,<lb/>
der monderhellte durch&#x017F;ichtige Himmel wo&#x0364;lbte<lb/>
&#x017F;ich wie ein Kry&#x017F;tall u&#x0364;ber mir, und &#x017F;piegelte<lb/>
die &#x017F;elt&#x017F;am&#x017F;ten Empfindungen wie Schatten in<lb/>
die&#x017F;e Welt hinein. &#x2014; Ro&#x017F;alinens wehmu&#x0364;thige<lb/>
Ge&#x017F;talt war mit unter den bunten Schatten, &#x017F;ie<lb/>
ging neben mir, und verlohr &#x017F;ich im krau&#x017F;en<lb/>
Dunkel jedes Baums, und &#x017F;tand im hellen<lb/>
Mond&#x017F;cheine wieder da: wie Tapeten voll &#x017F;elt-<lb/>
&#x017F;amer Ge&#x017F;chichten gewirkt, hing die ganze Na-<lb/>
tur um mich her. Vergangenheit und Zukunft<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[283/0289] 15. William Lovell an Roſa. Rom. Ich war durch unſer geſtriges Geſpraͤch außer- ordentlich erhitzt, und ging, wie berauſcht, nach Hauſe. Es waren ſo viele der fernſten Erinne- rungen in mir geweckt, die noch immer in wie- derholten Gaͤngen durch meinen Buſen zogen. Es iſt manchmal, als wollte ſich das Raͤthſel in uns ſelber aufſchließen, als ſollten wir ploͤtz- lich die Anwendung aller unſrer Empfindungen und ſeltſamen Erfahrungen kennen lernen. Die Nacht umgab mich mit hundertfachen Schauern, der monderhellte durchſichtige Himmel woͤlbte ſich wie ein Kryſtall uͤber mir, und ſpiegelte die ſeltſamſten Empfindungen wie Schatten in dieſe Welt hinein. — Roſalinens wehmuͤthige Geſtalt war mit unter den bunten Schatten, ſie ging neben mir, und verlohr ſich im krauſen Dunkel jedes Baums, und ſtand im hellen Mondſcheine wieder da: wie Tapeten voll ſelt- ſamer Geſchichten gewirkt, hing die ganze Na- tur um mich her. Vergangenheit und Zukunft

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/289
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/289>, abgerufen am 19.04.2024.