Ich schreibe, um Ihnen einen sonderbaren Vorfall zu melden. Ich bin innig erschüttert und ich wünsche nur, daß diese Begebenheit für Amalien keine üblen Folgen haben möge.
Vorgestern ritt ich nach einem Dorfe ohn- gefähr dreyßig Meilen von hier, weil ich ge- hört hatte, daß sich dort seit einiger Zeit ein Frauenzimmer aufhalte, von der man nicht ge- nau wisse wer sie sey. Manches in der Beschrei- bung paßte auf Ihre unglückliche Schwester, so daß ich sogleich hineilte, sie selbst zu sehen. Es war aber die Tochter eines armen Edel- manns, die sich nach vielen erlittenen Unglücks- fällen mit ihrem armen Vater in das Dorf niedergelassen hatte. Ich war von ihrer Erzäh- lung gerührt, und kehrte schon gestern wieder zurück. -- Wie erstaunt' ich aber als ich nä- her kam, und mein Wohnhaus so ganz verwü- stet fand! Allenthalben die deutlichsten Spuren
29. Mortimer an Eduard Burton.
Roger — place
Ich ſchreibe, um Ihnen einen ſonderbaren Vorfall zu melden. Ich bin innig erſchuͤttert und ich wuͤnſche nur, daß dieſe Begebenheit fuͤr Amalien keine uͤblen Folgen haben moͤge.
Vorgeſtern ritt ich nach einem Dorfe ohn- gefaͤhr dreyßig Meilen von hier, weil ich ge- hoͤrt hatte, daß ſich dort ſeit einiger Zeit ein Frauenzimmer aufhalte, von der man nicht ge- nau wiſſe wer ſie ſey. Manches in der Beſchrei- bung paßte auf Ihre ungluͤckliche Schweſter, ſo daß ich ſogleich hineilte, ſie ſelbſt zu ſehen. Es war aber die Tochter eines armen Edel- manns, die ſich nach vielen erlittenen Ungluͤcks- faͤllen mit ihrem armen Vater in das Dorf niedergelaſſen hatte. Ich war von ihrer Erzaͤh- lung geruͤhrt, und kehrte ſchon geſtern wieder zuruͤck. — Wie erſtaunt' ich aber als ich naͤ- her kam, und mein Wohnhaus ſo ganz verwuͤ- ſtet fand! Allenthalben die deutlichſten Spuren
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29.
Mortimer an Eduard Burton.
Roger — place
Ich ſchreibe, um Ihnen einen ſonderbaren
Vorfall zu melden. Ich bin innig erſchuͤttert
und ich wuͤnſche nur, daß dieſe Begebenheit fuͤr
Amalien keine uͤblen Folgen haben moͤge.
Vorgeſtern ritt ich nach einem Dorfe ohn-
gefaͤhr dreyßig Meilen von hier, weil ich ge-
hoͤrt hatte, daß ſich dort ſeit einiger Zeit ein
Frauenzimmer aufhalte, von der man nicht ge-
nau wiſſe wer ſie ſey. Manches in der Beſchrei-
bung paßte auf Ihre ungluͤckliche Schweſter,
ſo daß ich ſogleich hineilte, ſie ſelbſt zu ſehen.
Es war aber die Tochter eines armen Edel-
manns, die ſich nach vielen erlittenen Ungluͤcks-
faͤllen mit ihrem armen Vater in das Dorf
niedergelaſſen hatte. Ich war von ihrer Erzaͤh-
lung geruͤhrt, und kehrte ſchon geſtern wieder
zuruͤck. — Wie erſtaunt' ich aber als ich naͤ-
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/139>, abgerufen am 19.04.2024.
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