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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796.

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9.
Rosa an Andrea Cosimo.

Du irrst, Andrea, wenn Du mein Stillschwei-
gen für etwas mehr als eine gewöhnliche Nach-
lässigkeit in der Freundschaft hältst. Wie könn-
te ich es je vergessen, was Du mir warst, seit
ich Dich kennen lernte? Wie kannst Du von
mir glauben, daß jene Menschen mehr als Du
auf mich würken könnten? Ich müßte alles
vergessen, was ich je gedacht und von Dir ge-
lernt habe. -- Wie Schulknaben kommen sie
mir vor, die ihrem Meister entlaufen wollen.
Sie dachten damals nur, um Dir einen Gefallen
zu erzeigen, nicht um sich selbst wohl zu thun;
ihr Magen liegt ihnen jetzt näher am Herzen
als der Kopf, sie kehren unter den großen Hau-
fen ihrer Brüder zurück, und bitten jeden, den
sie auf dem Kaffeehause treffen, in Gedanken
um Verzeihung, daß sie irgend einmal haben
klüger seyn wollen als er. Sie gehn nun und
grasen auf der dürren Gemeinweide des Wis-

9.
Roſa an Andrea Coſimo.

Du irrſt, Andrea, wenn Du mein Stillſchwei-
gen fuͤr etwas mehr als eine gewoͤhnliche Nach-
laͤſſigkeit in der Freundſchaft haͤltſt. Wie koͤnn-
te ich es je vergeſſen, was Du mir warſt, ſeit
ich Dich kennen lernte? Wie kannſt Du von
mir glauben, daß jene Menſchen mehr als Du
auf mich wuͤrken koͤnnten? Ich muͤßte alles
vergeſſen, was ich je gedacht und von Dir ge-
lernt habe. — Wie Schulknaben kommen ſie
mir vor, die ihrem Meiſter entlaufen wollen.
Sie dachten damals nur, um Dir einen Gefallen
zu erzeigen, nicht um ſich ſelbſt wohl zu thun;
ihr Magen liegt ihnen jetzt naͤher am Herzen
als der Kopf, ſie kehren unter den großen Hau-
fen ihrer Bruͤder zuruͤck, und bitten jeden, den
ſie auf dem Kaffeehauſe treffen, in Gedanken
um Verzeihung, daß ſie irgend einmal haben
kluͤger ſeyn wollen als er. Sie gehn nun und
graſen auf der duͤrren Gemeinweide des Wiſ-

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[187/0194] 9. Roſa an Andrea Coſimo. Tivoli. Du irrſt, Andrea, wenn Du mein Stillſchwei- gen fuͤr etwas mehr als eine gewoͤhnliche Nach- laͤſſigkeit in der Freundſchaft haͤltſt. Wie koͤnn- te ich es je vergeſſen, was Du mir warſt, ſeit ich Dich kennen lernte? Wie kannſt Du von mir glauben, daß jene Menſchen mehr als Du auf mich wuͤrken koͤnnten? Ich muͤßte alles vergeſſen, was ich je gedacht und von Dir ge- lernt habe. — Wie Schulknaben kommen ſie mir vor, die ihrem Meiſter entlaufen wollen. Sie dachten damals nur, um Dir einen Gefallen zu erzeigen, nicht um ſich ſelbſt wohl zu thun; ihr Magen liegt ihnen jetzt naͤher am Herzen als der Kopf, ſie kehren unter den großen Hau- fen ihrer Bruͤder zuruͤck, und bitten jeden, den ſie auf dem Kaffeehauſe treffen, in Gedanken um Verzeihung, daß ſie irgend einmal haben kluͤger ſeyn wollen als er. Sie gehn nun und graſen auf der duͤrren Gemeinweide des Wiſ-

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/194>, abgerufen am 19.04.2024.