Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796.

Bild:
<< vorherige Seite
10.
William Lovell an Emilie Burton.

Hier sitz' ich nun, theureste Emilie, in mei-
nem engen einsamen Zimmer und denke und
träume nur Sie. Mein Fenster stößt auf den
Gang, in welchem ich schon damals mit Ama-
lien so oft an Ihrer Seite saß -- Amalie,
die mich vergessen, die mich niemals geliebt
hat. -- Ach, Unglücklicher! und Du darfst
noch klagen? Hat sich der huldreichste Engel
nicht deiner mit einem himmlischen Mitleid an-
genommen? -- Kannst Du von dieser irrdischen
Erde noch mehr Glück, noch eine höhere Won-
ne erwarten?

Ach, Emilie, immer, immer möcht' ich bey
Ihnen seyn und den süßen Ton Ihrer trösten-
den Stimme hören, immer den sanften Augen
begegnen, die dem Verstoßenen, dem Elenden so
kostbare Thränen schenkten. Die ganze Welt
verkennt und verläßt mich. Ihr harter Bruder
hat mir seine Freundschaft aufgekündigt. -- O,
mag er sie zurücknehmen, wenn ich nur die Zu-
neigung seiner göttlichen Schwester behalte. --

10.
William Lovell an Emilie Burton.

Hier ſitz' ich nun, theureſte Emilie, in mei-
nem engen einſamen Zimmer und denke und
traͤume nur Sie. Mein Fenſter ſtoͤßt auf den
Gang, in welchem ich ſchon damals mit Ama-
lien ſo oft an Ihrer Seite ſaß — Amalie,
die mich vergeſſen, die mich niemals geliebt
hat. — Ach, Ungluͤcklicher! und Du darfſt
noch klagen? Hat ſich der huldreichſte Engel
nicht deiner mit einem himmliſchen Mitleid an-
genommen? — Kannſt Du von dieſer irrdiſchen
Erde noch mehr Gluͤck, noch eine hoͤhere Won-
ne erwarten?

Ach, Emilie, immer, immer moͤcht' ich bey
Ihnen ſeyn und den ſuͤßen Ton Ihrer troͤſten-
den Stimme hoͤren, immer den ſanften Augen
begegnen, die dem Verſtoßenen, dem Elenden ſo
koſtbare Thraͤnen ſchenkten. Die ganze Welt
verkennt und verlaͤßt mich. Ihr harter Bruder
hat mir ſeine Freundſchaft aufgekuͤndigt. — O,
mag er ſie zuruͤcknehmen, wenn ich nur die Zu-
neigung ſeiner goͤttlichen Schweſter behalte. —

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0048" n="41"/>
        <div n="2">
          <head>10.<lb/><hi rendition="#g">William Lovell</hi> an <hi rendition="#g">Emilie Burton</hi>.</head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">H</hi>ier &#x017F;itz' ich nun, theure&#x017F;te Emilie, in mei-<lb/>
nem <choice><sic>engeu</sic><corr>engen</corr></choice> ein&#x017F;amen Zimmer und denke und<lb/>
tra&#x0364;ume nur Sie. Mein Fen&#x017F;ter &#x017F;to&#x0364;ßt auf den<lb/>
Gang, in welchem ich &#x017F;chon damals mit Ama-<lb/>
lien &#x017F;o oft an Ihrer Seite &#x017F;&#x2014; Amalie,<lb/>
die mich verge&#x017F;&#x017F;en, die mich niemals geliebt<lb/>
hat. &#x2014; Ach, Unglu&#x0364;cklicher! und Du darf&#x017F;t<lb/>
noch klagen? Hat &#x017F;ich der huldreich&#x017F;te Engel<lb/>
nicht deiner mit einem himmli&#x017F;chen Mitleid an-<lb/>
genommen? &#x2014; Kann&#x017F;t Du von die&#x017F;er irrdi&#x017F;chen<lb/>
Erde noch mehr Glu&#x0364;ck, noch eine ho&#x0364;here Won-<lb/>
ne erwarten?</p><lb/>
          <p>Ach, Emilie, immer, immer mo&#x0364;cht' ich bey<lb/>
Ihnen &#x017F;eyn und den &#x017F;u&#x0364;ßen Ton Ihrer tro&#x0364;&#x017F;ten-<lb/>
den Stimme ho&#x0364;ren, immer den &#x017F;anften Augen<lb/>
begegnen, die dem Ver&#x017F;toßenen, dem Elenden &#x017F;o<lb/>
ko&#x017F;tbare Thra&#x0364;nen &#x017F;chenkten. Die ganze Welt<lb/>
verkennt und verla&#x0364;ßt mich. Ihr harter Bruder<lb/>
hat mir &#x017F;eine Freund&#x017F;chaft aufgeku&#x0364;ndigt. &#x2014; O,<lb/>
mag er &#x017F;ie zuru&#x0364;cknehmen, wenn ich nur die Zu-<lb/>
neigung &#x017F;einer go&#x0364;ttlichen Schwe&#x017F;ter behalte. &#x2014;<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[41/0048] 10. William Lovell an Emilie Burton. Hier ſitz' ich nun, theureſte Emilie, in mei- nem engen einſamen Zimmer und denke und traͤume nur Sie. Mein Fenſter ſtoͤßt auf den Gang, in welchem ich ſchon damals mit Ama- lien ſo oft an Ihrer Seite ſaß — Amalie, die mich vergeſſen, die mich niemals geliebt hat. — Ach, Ungluͤcklicher! und Du darfſt noch klagen? Hat ſich der huldreichſte Engel nicht deiner mit einem himmliſchen Mitleid an- genommen? — Kannſt Du von dieſer irrdiſchen Erde noch mehr Gluͤck, noch eine hoͤhere Won- ne erwarten? Ach, Emilie, immer, immer moͤcht' ich bey Ihnen ſeyn und den ſuͤßen Ton Ihrer troͤſten- den Stimme hoͤren, immer den ſanften Augen begegnen, die dem Verſtoßenen, dem Elenden ſo koſtbare Thraͤnen ſchenkten. Die ganze Welt verkennt und verlaͤßt mich. Ihr harter Bruder hat mir ſeine Freundſchaft aufgekuͤndigt. — O, mag er ſie zuruͤcknehmen, wenn ich nur die Zu- neigung ſeiner goͤttlichen Schweſter behalte. —

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/48
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/48>, abgerufen am 25.04.2024.