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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

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Liebeszauber.
besser ergangen, denn er hat während seinem
Vortrage mehr als einmal die Farbe gewechselt.

Vielleicht, sagte Lothar, kann die Erzäh-
lung, die ich Ihnen nun vorzutragen habe, durch
ihr grelles Colorit jene zu trübe Empfindung
unterbrechen, wenn auch nicht erheitern. Ich
erbitte mir also einige Aufmerksamkeit für den
Inhalt dieser Blätter.



Liebeszauber.

Tief denkend saß Emil an seinem Tische und er-
wartete seinen Freund Roderich. Das Licht brannte
vor ihm, der Winterabend war kalt, und er wünschte
heut seinen Reisegefährten herbei, so gern er wohl
sonst dessen Gesellschaft vermied, denn an diesem
Abend wollte er ihm ein Geheimniß entdecken und
sich Rath von ihm erbitten. Der menschenscheue
Emil fand bei allen Geschäften und Vorfällen des
Lebens so viele Schwierigkeiten, so unübersteigliche
Hindernisse, daß ihm das Schicksal fast in einer
ironischen Laune diesen Roderich zugeführt zu ha-
ben schien, der in allen Dingen das Gegentheil
seines Freundes zu nennen war. Unstät, flatter-
haft, von jedem ersten Eindruck bestimmt und be-
geistert, unternahm er alles, wußte für alles Rath,
war ihm keine Unternehmung zu schwierig, konnte
ihn kein Hinderniß abschrecken: aber im Verlaufe
eines Geschäftes ermüdete und erlahmte er eben so

I. [ 18 ]

Liebeszauber.
beſſer ergangen, denn er hat waͤhrend ſeinem
Vortrage mehr als einmal die Farbe gewechſelt.

Vielleicht, ſagte Lothar, kann die Erzaͤh-
lung, die ich Ihnen nun vorzutragen habe, durch
ihr grelles Colorit jene zu truͤbe Empfindung
unterbrechen, wenn auch nicht erheitern. Ich
erbitte mir alſo einige Aufmerkſamkeit fuͤr den
Inhalt dieſer Blaͤtter.



Liebeszauber.

Tief denkend ſaß Emil an ſeinem Tiſche und er-
wartete ſeinen Freund Roderich. Das Licht brannte
vor ihm, der Winterabend war kalt, und er wuͤnſchte
heut ſeinen Reiſegefaͤhrten herbei, ſo gern er wohl
ſonſt deſſen Geſellſchaft vermied, denn an dieſem
Abend wollte er ihm ein Geheimniß entdecken und
ſich Rath von ihm erbitten. Der menſchenſcheue
Emil fand bei allen Geſchaͤften und Vorfaͤllen des
Lebens ſo viele Schwierigkeiten, ſo unuͤberſteigliche
Hinderniſſe, daß ihm das Schickſal faſt in einer
ironiſchen Laune dieſen Roderich zugefuͤhrt zu ha-
ben ſchien, der in allen Dingen das Gegentheil
ſeines Freundes zu nennen war. Unſtaͤt, flatter-
haft, von jedem erſten Eindruck beſtimmt und be-
geiſtert, unternahm er alles, wußte fuͤr alles Rath,
war ihm keine Unternehmung zu ſchwierig, konnte
ihn kein Hinderniß abſchrecken: aber im Verlaufe
eines Geſchaͤftes ermuͤdete und erlahmte er eben ſo

I. [ 18 ]
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[273/0284] Liebeszauber. beſſer ergangen, denn er hat waͤhrend ſeinem Vortrage mehr als einmal die Farbe gewechſelt. Vielleicht, ſagte Lothar, kann die Erzaͤh- lung, die ich Ihnen nun vorzutragen habe, durch ihr grelles Colorit jene zu truͤbe Empfindung unterbrechen, wenn auch nicht erheitern. Ich erbitte mir alſo einige Aufmerkſamkeit fuͤr den Inhalt dieſer Blaͤtter. Liebeszauber. Tief denkend ſaß Emil an ſeinem Tiſche und er- wartete ſeinen Freund Roderich. Das Licht brannte vor ihm, der Winterabend war kalt, und er wuͤnſchte heut ſeinen Reiſegefaͤhrten herbei, ſo gern er wohl ſonſt deſſen Geſellſchaft vermied, denn an dieſem Abend wollte er ihm ein Geheimniß entdecken und ſich Rath von ihm erbitten. Der menſchenſcheue Emil fand bei allen Geſchaͤften und Vorfaͤllen des Lebens ſo viele Schwierigkeiten, ſo unuͤberſteigliche Hinderniſſe, daß ihm das Schickſal faſt in einer ironiſchen Laune dieſen Roderich zugefuͤhrt zu ha- ben ſchien, der in allen Dingen das Gegentheil ſeines Freundes zu nennen war. Unſtaͤt, flatter- haft, von jedem erſten Eindruck beſtimmt und be- geiſtert, unternahm er alles, wußte fuͤr alles Rath, war ihm keine Unternehmung zu ſchwierig, konnte ihn kein Hinderniß abſchrecken: aber im Verlaufe eines Geſchaͤftes ermuͤdete und erlahmte er eben ſo I. [ 18 ]

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/284>, abgerufen am 28.03.2024.