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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

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Einleitung.

Die Freunde trennten sich. Da erhub eine
Nachtigall ihr klagendes Lied aus voller Brust,
und zündete, wie eine Feuerflamme, rings in
den Gebüschen die Töne andrer Sängerinnen
an, aus einer Jasminlaube erklangen die Laute
einer Guitarre, und der glückliche Friedrich wollte
sein Leid, diese Phantasie singend, besänftigen:

Wenn in Schmerzen Herzen sich verzehren,
Und im Sehnen Thränen uns verklären,
Geister: Hülfe! rufen tief im Innern,
Und wie Morgenroth ein seliges Erinnern
Aufsteigt aus der stillen dunkeln Nacht,
Alle rothen Küsse mitgebracht,
Alles Lächeln, das die Liebste je gelacht,
O dann sangt mit ihrem Purpurmunde
Himmels-Wollust unsre Wunde,
Sie entsaugt das Gift
Das vom Bogen dunkler Schwermuth trifft.
Wie die kleinen fleißgen Bienen
Gehn, um Blumenlippen zu benagen,
Wie sich Schmetterlinge jagen,
Wie die Vögel in dem grünen Dunkeln
Springen, und die Lieder tönen,
Also gaukeln, flattern, funkeln
Alle Worte, alle Blicke, süße Mienen
Von der schönsten einzgen Schönen,
Und in tiefer Winternacht
Lacht und wacht um mich des Frühlings Pracht,
Und die Schmerzen scherzen mit den Zähren,
Und im Weinen scheinen mild sich zu verklären
Leiden in den Freuden, Wonnen in dem Gram,
Wie in der holden Braut die Liebe kämpft mit Scham,
Und Leid und Lust nun muß vereinigt ziehen
Und schweben nach der Liebe süßen Harmonien.


Einleitung.

Die Freunde trennten ſich. Da erhub eine
Nachtigall ihr klagendes Lied aus voller Bruſt,
und zuͤndete, wie eine Feuerflamme, rings in
den Gebuͤſchen die Toͤne andrer Saͤngerinnen
an, aus einer Jasminlaube erklangen die Laute
einer Guitarre, und der gluͤckliche Friedrich wollte
ſein Leid, dieſe Phantaſie ſingend, beſaͤnftigen:

Wenn in Schmerzen Herzen ſich verzehren,
Und im Sehnen Thraͤnen uns verklaͤren,
Geiſter: Huͤlfe! rufen tief im Innern,
Und wie Morgenroth ein ſeliges Erinnern
Aufſteigt aus der ſtillen dunkeln Nacht,
Alle rothen Kuͤſſe mitgebracht,
Alles Laͤcheln, das die Liebſte je gelacht,
O dann ſangt mit ihrem Purpurmunde
Himmels-Wolluſt unſre Wunde,
Sie entſaugt das Gift
Das vom Bogen dunkler Schwermuth trifft.
Wie die kleinen fleißgen Bienen
Gehn, um Blumenlippen zu benagen,
Wie ſich Schmetterlinge jagen,
Wie die Voͤgel in dem gruͤnen Dunkeln
Springen, und die Lieder toͤnen,
Alſo gaukeln, flattern, funkeln
Alle Worte, alle Blicke, ſuͤße Mienen
Von der ſchoͤnſten einzgen Schoͤnen,
Und in tiefer Winternacht
Lacht und wacht um mich des Fruͤhlings Pracht,
Und die Schmerzen ſcherzen mit den Zaͤhren,
Und im Weinen ſcheinen mild ſich zu verklaͤren
Leiden in den Freuden, Wonnen in dem Gram,
Wie in der holden Braut die Liebe kaͤmpft mit Scham,
Und Leid und Luſt nun muß vereinigt ziehen
Und ſchweben nach der Liebe ſuͤßen Harmonien.


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[134/0145] Einleitung. Die Freunde trennten ſich. Da erhub eine Nachtigall ihr klagendes Lied aus voller Bruſt, und zuͤndete, wie eine Feuerflamme, rings in den Gebuͤſchen die Toͤne andrer Saͤngerinnen an, aus einer Jasminlaube erklangen die Laute einer Guitarre, und der gluͤckliche Friedrich wollte ſein Leid, dieſe Phantaſie ſingend, beſaͤnftigen: Wenn in Schmerzen Herzen ſich verzehren, Und im Sehnen Thraͤnen uns verklaͤren, Geiſter: Huͤlfe! rufen tief im Innern, Und wie Morgenroth ein ſeliges Erinnern Aufſteigt aus der ſtillen dunkeln Nacht, Alle rothen Kuͤſſe mitgebracht, Alles Laͤcheln, das die Liebſte je gelacht, O dann ſangt mit ihrem Purpurmunde Himmels-Wolluſt unſre Wunde, Sie entſaugt das Gift Das vom Bogen dunkler Schwermuth trifft. Wie die kleinen fleißgen Bienen Gehn, um Blumenlippen zu benagen, Wie ſich Schmetterlinge jagen, Wie die Voͤgel in dem gruͤnen Dunkeln Springen, und die Lieder toͤnen, Alſo gaukeln, flattern, funkeln Alle Worte, alle Blicke, ſuͤße Mienen Von der ſchoͤnſten einzgen Schoͤnen, Und in tiefer Winternacht Lacht und wacht um mich des Fruͤhlings Pracht, Und die Schmerzen ſcherzen mit den Zaͤhren, Und im Weinen ſcheinen mild ſich zu verklaͤren Leiden in den Freuden, Wonnen in dem Gram, Wie in der holden Braut die Liebe kaͤmpft mit Scham, Und Leid und Luſt nun muß vereinigt ziehen Und ſchweben nach der Liebe ſuͤßen Harmonien.

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/145>, abgerufen am 28.03.2024.