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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

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Die schöne Magelone.

Peter erschrack im Herzen, als er diesen Ge-
sang vernahm; das Lied rief ihm seine Untreue
und seinen Wankelmuth nach. Er ruderte stärker,
um sich vom Lande zu entfernen und dem Kreise
zu entfliehen, den die lieblich lockenden Töne in
der stillen Abendluft bildeten. Der Geist der Liebe
schwang sich durch den goldenen Himmel; Liebe
wollte ihn rückwärts ziehn, Liebe trieb ihn vor-
wärts, die Wellen murmelten melodisch dazwischen,
und klangen wie ein Lied in fremder Sprache, dessen
Sinn man aber dennoch erräth.

Der Gesang vom Ufer her ward immer schwä-
cher. Schon sah Peter die Bäume am Gestade
nicht mehr; es war, als wenn sich ihm die Musik
über das Meer nacharbeitete, und endlich matt
und kraftlos nicht weiter zu schwimmen wagte,
sondern zum einheimischen Ufer zurück schlich; denn
jetzt hörte er den Gesang nur noch wie ein leises
Wehen des Windes, und jetzt erlosch auch die letzte
Spur, und die Wellen rieselten nur, und der Ru-
derschlag ertönte durch die einsame Stille.



15.
Wie Peter wieder zu Christen kam .

Wie der Gesang verschollen war, faßte Peter
wieder frischen Muth; er ließ das Schifflein vom
Winde hintreiben, setzte sich nieder und sang:


Die ſchoͤne Magelone.

Peter erſchrack im Herzen, als er dieſen Ge-
ſang vernahm; das Lied rief ihm ſeine Untreue
und ſeinen Wankelmuth nach. Er ruderte ſtaͤrker,
um ſich vom Lande zu entfernen und dem Kreiſe
zu entfliehen, den die lieblich lockenden Toͤne in
der ſtillen Abendluft bildeten. Der Geiſt der Liebe
ſchwang ſich durch den goldenen Himmel; Liebe
wollte ihn ruͤckwaͤrts ziehn, Liebe trieb ihn vor-
waͤrts, die Wellen murmelten melodiſch dazwiſchen,
und klangen wie ein Lied in fremder Sprache, deſſen
Sinn man aber dennoch erraͤth.

Der Geſang vom Ufer her ward immer ſchwaͤ-
cher. Schon ſah Peter die Baͤume am Geſtade
nicht mehr; es war, als wenn ſich ihm die Muſik
uͤber das Meer nacharbeitete, und endlich matt
und kraftlos nicht weiter zu ſchwimmen wagte,
ſondern zum einheimiſchen Ufer zuruͤck ſchlich; denn
jetzt hoͤrte er den Geſang nur noch wie ein leiſes
Wehen des Windes, und jetzt erloſch auch die letzte
Spur, und die Wellen rieſelten nur, und der Ru-
derſchlag ertoͤnte durch die einſame Stille.



15.
Wie Peter wieder zu Chriſten kam .

Wie der Geſang verſchollen war, faßte Peter
wieder friſchen Muth; er ließ das Schifflein vom
Winde hintreiben, ſetzte ſich nieder und ſang:


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[381/0392] Die ſchoͤne Magelone. Peter erſchrack im Herzen, als er dieſen Ge- ſang vernahm; das Lied rief ihm ſeine Untreue und ſeinen Wankelmuth nach. Er ruderte ſtaͤrker, um ſich vom Lande zu entfernen und dem Kreiſe zu entfliehen, den die lieblich lockenden Toͤne in der ſtillen Abendluft bildeten. Der Geiſt der Liebe ſchwang ſich durch den goldenen Himmel; Liebe wollte ihn ruͤckwaͤrts ziehn, Liebe trieb ihn vor- waͤrts, die Wellen murmelten melodiſch dazwiſchen, und klangen wie ein Lied in fremder Sprache, deſſen Sinn man aber dennoch erraͤth. Der Geſang vom Ufer her ward immer ſchwaͤ- cher. Schon ſah Peter die Baͤume am Geſtade nicht mehr; es war, als wenn ſich ihm die Muſik uͤber das Meer nacharbeitete, und endlich matt und kraftlos nicht weiter zu ſchwimmen wagte, ſondern zum einheimiſchen Ufer zuruͤck ſchlich; denn jetzt hoͤrte er den Geſang nur noch wie ein leiſes Wehen des Windes, und jetzt erloſch auch die letzte Spur, und die Wellen rieſelten nur, und der Ru- derſchlag ertoͤnte durch die einſame Stille. 15. Wie Peter wieder zu Chriſten kam . Wie der Geſang verſchollen war, faßte Peter wieder friſchen Muth; er ließ das Schifflein vom Winde hintreiben, ſetzte ſich nieder und ſang:

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 381. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/392>, abgerufen am 29.03.2024.