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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.

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Zweite Abtheilung.
keit entbehren können, und wenn die Darstellung
nur keine feindselige gehässige Anklage ist, so sehe
ich nichts darin, was der Unschuld der Freude
in den Weg treten könnte. Daß die Phantasie
in der Lust übertreibt, versteht sich von selbst,
denn sonst wäre ihre Darstellung keine poetische,
oder überhaupt keine Darstellung, und darum
erfreuen wir uns beim Aristofanes der Carikatur
des Sokrates: ich glaube auch, daß, wenn wir
uns eine wahrhafte Vorstellung dieses berühm-
ten Mannes machen wollen, wir uns neben den
Schilderungen des Xenophon und Plato die des
komischen Dichters in die Wirklichkeit übersetzen
müssen, um mehr als ein ehrwürdiges Schatten-
bild von ihm zu erblicken; die Kunst hat keine
Kraft hinzureißen, wenn nicht aus der Carikatur
die Wahrheit des Bildes hervor schaut. Doch,
ich breche ab, um zu meiner Vorlesung zu
kommen; ich hoffe daß die Humanität unserer
Emilie meinem Schauspiel obigen Vorwurf nicht
wird machen können, wenn mein Freund auch
jene getadelte Zirkellinie, die zu nichts, als zu
sich selber zurück führt, hier wieder finden möchte.



Zweite Abtheilung.
keit entbehren koͤnnen, und wenn die Darſtellung
nur keine feindſelige gehaͤſſige Anklage iſt, ſo ſehe
ich nichts darin, was der Unſchuld der Freude
in den Weg treten koͤnnte. Daß die Phantaſie
in der Luſt uͤbertreibt, verſteht ſich von ſelbſt,
denn ſonſt waͤre ihre Darſtellung keine poetiſche,
oder uͤberhaupt keine Darſtellung, und darum
erfreuen wir uns beim Ariſtofanes der Carikatur
des Sokrates: ich glaube auch, daß, wenn wir
uns eine wahrhafte Vorſtellung dieſes beruͤhm-
ten Mannes machen wollen, wir uns neben den
Schilderungen des Xenophon und Plato die des
komiſchen Dichters in die Wirklichkeit uͤberſetzen
muͤſſen, um mehr als ein ehrwuͤrdiges Schatten-
bild von ihm zu erblicken; die Kunſt hat keine
Kraft hinzureißen, wenn nicht aus der Carikatur
die Wahrheit des Bildes hervor ſchaut. Doch,
ich breche ab, um zu meiner Vorleſung zu
kommen; ich hoffe daß die Humanitaͤt unſerer
Emilie meinem Schauſpiel obigen Vorwurf nicht
wird machen koͤnnen, wenn mein Freund auch
jene getadelte Zirkellinie, die zu nichts, als zu
ſich ſelber zuruͤck fuͤhrt, hier wieder finden moͤchte.



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[251/0260] Zweite Abtheilung. keit entbehren koͤnnen, und wenn die Darſtellung nur keine feindſelige gehaͤſſige Anklage iſt, ſo ſehe ich nichts darin, was der Unſchuld der Freude in den Weg treten koͤnnte. Daß die Phantaſie in der Luſt uͤbertreibt, verſteht ſich von ſelbſt, denn ſonſt waͤre ihre Darſtellung keine poetiſche, oder uͤberhaupt keine Darſtellung, und darum erfreuen wir uns beim Ariſtofanes der Carikatur des Sokrates: ich glaube auch, daß, wenn wir uns eine wahrhafte Vorſtellung dieſes beruͤhm- ten Mannes machen wollen, wir uns neben den Schilderungen des Xenophon und Plato die des komiſchen Dichters in die Wirklichkeit uͤberſetzen muͤſſen, um mehr als ein ehrwuͤrdiges Schatten- bild von ihm zu erblicken; die Kunſt hat keine Kraft hinzureißen, wenn nicht aus der Carikatur die Wahrheit des Bildes hervor ſchaut. Doch, ich breche ab, um zu meiner Vorleſung zu kommen; ich hoffe daß die Humanitaͤt unſerer Emilie meinem Schauſpiel obigen Vorwurf nicht wird machen koͤnnen, wenn mein Freund auch jene getadelte Zirkellinie, die zu nichts, als zu ſich ſelber zuruͤck fuͤhrt, hier wieder finden moͤchte.

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812/260>, abgerufen am 23.04.2024.