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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.

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Zweite Abtheilung.
Ihnen meine Leiden klagen kann, ist ja auch nur
was mich erhebt und gegen alle die Erschütterun-
gen stärkt, die mich sonst zu Grunde richten würden.
Malwina. Haben Sie die kühlende Salbe
gebraucht, Hofrath, die ich Ihnen gegeben habe?
Semmelziege. Ja, sympathetisches Ge-
müth, und ohne diese würd' ich ein verlorner
Mann seyn, so versessen war er neulich auf sein
verdammtes Spiel.
Malwina. Giebt es wohl etwas Bizarre-
res und Abgeschmakteres?
Semmelziege. Man muß er selbst seyn,
um daran Vergnügen zu finden.
Malwina. Und doch rettet sie dies nur,
Herr Hofrath, denn sonst würde er sie schon ge-
schlachtet und verzehrt haben, da Sie trotz des
vielfachen Grams und aller Kränkungen ziemlich
wohl bei Leibe sind.
Semmelziege. Wüthrich ohne Gleichen!
Heut kam mir der Gedanke, ihm zu entlaufen, und
nur die Erinnerung an meine edle Freundin hielt
mich zurück.
Malwina. Vergeblich, mein Theurer, wäre
ein solcher Versuch. Sie wissen noch nicht Alles.
In jenem großen wohl verschlossenen eisernen Kasten,
zu welchem er niemals den Schlüssel von sich giebt,
bewahrt er ein Paar verzauberter magischer Stie-
feln -- ich weiß nicht, von wem er sie kann erhalten
haben -- wenn er diese anzieht, so ist er im Stande,
mit jedem Schritte sieben Meilen (das heißt, von den
hiesigen Englischen Meilen) zurück zu legen. Wenn
Zweite Abtheilung.
Ihnen meine Leiden klagen kann, iſt ja auch nur
was mich erhebt und gegen alle die Erſchuͤtterun-
gen ſtaͤrkt, die mich ſonſt zu Grunde richten wuͤrden.
Malwina. Haben Sie die kuͤhlende Salbe
gebraucht, Hofrath, die ich Ihnen gegeben habe?
Semmelziege. Ja, ſympathetiſches Ge-
muͤth, und ohne dieſe wuͤrd' ich ein verlorner
Mann ſeyn, ſo verſeſſen war er neulich auf ſein
verdammtes Spiel.
Malwina. Giebt es wohl etwas Bizarre-
res und Abgeſchmakteres?
Semmelziege. Man muß er ſelbſt ſeyn,
um daran Vergnuͤgen zu finden.
Malwina. Und doch rettet ſie dies nur,
Herr Hofrath, denn ſonſt wuͤrde er ſie ſchon ge-
ſchlachtet und verzehrt haben, da Sie trotz des
vielfachen Grams und aller Kraͤnkungen ziemlich
wohl bei Leibe ſind.
Semmelziege. Wuͤthrich ohne Gleichen!
Heut kam mir der Gedanke, ihm zu entlaufen, und
nur die Erinnerung an meine edle Freundin hielt
mich zuruͤck.
Malwina. Vergeblich, mein Theurer, waͤre
ein ſolcher Verſuch. Sie wiſſen noch nicht Alles.
In jenem großen wohl verſchloſſenen eiſernen Kaſten,
zu welchem er niemals den Schluͤſſel von ſich giebt,
bewahrt er ein Paar verzauberter magiſcher Stie-
feln — ich weiß nicht, von wem er ſie kann erhalten
haben — wenn er dieſe anzieht, ſo iſt er im Stande,
mit jedem Schritte ſieben Meilen (das heißt, von den
hieſigen Engliſchen Meilen) zuruͤck zu legen. Wenn
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[494/0503] Zweite Abtheilung. Ihnen meine Leiden klagen kann, iſt ja auch nur was mich erhebt und gegen alle die Erſchuͤtterun- gen ſtaͤrkt, die mich ſonſt zu Grunde richten wuͤrden. Malwina. Haben Sie die kuͤhlende Salbe gebraucht, Hofrath, die ich Ihnen gegeben habe? Semmelziege. Ja, ſympathetiſches Ge- muͤth, und ohne dieſe wuͤrd' ich ein verlorner Mann ſeyn, ſo verſeſſen war er neulich auf ſein verdammtes Spiel. Malwina. Giebt es wohl etwas Bizarre- res und Abgeſchmakteres? Semmelziege. Man muß er ſelbſt ſeyn, um daran Vergnuͤgen zu finden. Malwina. Und doch rettet ſie dies nur, Herr Hofrath, denn ſonſt wuͤrde er ſie ſchon ge- ſchlachtet und verzehrt haben, da Sie trotz des vielfachen Grams und aller Kraͤnkungen ziemlich wohl bei Leibe ſind. Semmelziege. Wuͤthrich ohne Gleichen! Heut kam mir der Gedanke, ihm zu entlaufen, und nur die Erinnerung an meine edle Freundin hielt mich zuruͤck. Malwina. Vergeblich, mein Theurer, waͤre ein ſolcher Verſuch. Sie wiſſen noch nicht Alles. In jenem großen wohl verſchloſſenen eiſernen Kaſten, zu welchem er niemals den Schluͤſſel von ſich giebt, bewahrt er ein Paar verzauberter magiſcher Stie- feln — ich weiß nicht, von wem er ſie kann erhalten haben — wenn er dieſe anzieht, ſo iſt er im Stande, mit jedem Schritte ſieben Meilen (das heißt, von den hieſigen Engliſchen Meilen) zuruͤck zu legen. Wenn

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812, S. 494. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812/503>, abgerufen am 25.04.2024.