Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 3. Berlin, 1816.

Bild:
<< vorherige Seite
Fortunat.
Erwacht bin ich, und Tod und wahres Leben
Verschmilzt so schnell in einen Augenblick.

Ein Richter kömmt mit dem Kerkermeister.
Richter.
Entschließt den jungen Menschen seiner Fesseln!
Fortunat.
Ist mir der lezte Augenblick erschienen?
Richter.
Frei bist Du, Jüngling, in der Todesstunde
Erneuerten noch alle das Bekenntniß
Daß Du nichts um den schnöden Mord gewußt:
Benutze diese Dunkelheit der Nacht,
Die Wache wird Dich aus der Stadt begleiten,
Entfliehe schnell und schaue nicht zurück;
Denn so in blinder Wuth ist Volk und Pöbel,
Sie rissen Dich in Stücke, trotz den Richtern,
Würdst Du am Tag' und offen freigesprochen.
Fortunat.
Ich danke Euch und meinen guten Sternen.
(beide ab.)
Kerkerm. Seinen Sternen? Und mir kein
Wort? Er hat hier weder Sonne, Mond noch
Sterne gesehn, aber ich habe ihn Tag und Nacht
unterhalten und getröstet: und jenen dankt er, und
mich sieht er nicht von der Seite an? Ich bleibe
dabei, es wird nichts aus dem Menschengeschlechte,
verlorne Saat, schießt höchstens ins Kraut, keine
Frucht, kein Genuß dran, und wenn eins einmal
recht lieblich und anmuthig aussieht, hat's grade
die meisten Würmer im Kopf. In der Hand läßt
Fortunat.
Erwacht bin ich, und Tod und wahres Leben
Verſchmilzt ſo ſchnell in einen Augenblick.

Ein Richter koͤmmt mit dem Kerkermeiſter.
Richter.
Entſchließt den jungen Menſchen ſeiner Feſſeln!
Fortunat.
Iſt mir der lezte Augenblick erſchienen?
Richter.
Frei biſt Du, Juͤngling, in der Todesſtunde
Erneuerten noch alle das Bekenntniß
Daß Du nichts um den ſchnoͤden Mord gewußt:
Benutze dieſe Dunkelheit der Nacht,
Die Wache wird Dich aus der Stadt begleiten,
Entfliehe ſchnell und ſchaue nicht zuruͤck;
Denn ſo in blinder Wuth iſt Volk und Poͤbel,
Sie riſſen Dich in Stuͤcke, trotz den Richtern,
Wuͤrdſt Du am Tag' und offen freigeſprochen.
Fortunat.
Ich danke Euch und meinen guten Sternen.
(beide ab.)
Kerkerm. Seinen Sternen? Und mir kein
Wort? Er hat hier weder Sonne, Mond noch
Sterne geſehn, aber ich habe ihn Tag und Nacht
unterhalten und getroͤſtet: und jenen dankt er, und
mich ſieht er nicht von der Seite an? Ich bleibe
dabei, es wird nichts aus dem Menſchengeſchlechte,
verlorne Saat, ſchießt hoͤchſtens ins Kraut, keine
Frucht, kein Genuß dran, und wenn eins einmal
recht lieblich und anmuthig ausſieht, hat's grade
die meiſten Wuͤrmer im Kopf. In der Hand laͤßt
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <sp who="#FORT">
                <p><pb facs="#f0113" n="103"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Fortunat</hi>.</fw><lb/>
Erwacht bin ich, und Tod und wahres Leben<lb/>
Ver&#x017F;chmilzt &#x017F;o &#x017F;chnell in einen Augenblick.</p><lb/>
                <stage> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Ein Richter</hi> ko&#x0364;mmt mit dem <hi rendition="#g">Kerkermei&#x017F;ter</hi>.</hi> </stage>
              </sp><lb/>
              <sp who="#Richter">
                <speaker><hi rendition="#g">Richter</hi>.</speaker><lb/>
                <p>Ent&#x017F;chließt den jungen Men&#x017F;chen &#x017F;einer Fe&#x017F;&#x017F;eln!</p>
              </sp><lb/>
              <sp who="#FORT">
                <speaker><hi rendition="#g">Fortunat</hi>.</speaker><lb/>
                <p>I&#x017F;t mir der lezte Augenblick er&#x017F;chienen?</p>
              </sp><lb/>
              <sp who="#Richter">
                <speaker><hi rendition="#g">Richter</hi>.</speaker><lb/>
                <p>Frei bi&#x017F;t Du, Ju&#x0364;ngling, in der Todes&#x017F;tunde<lb/>
Erneuerten noch alle das Bekenntniß<lb/>
Daß Du nichts um den &#x017F;chno&#x0364;den Mord gewußt:<lb/>
Benutze die&#x017F;e Dunkelheit der Nacht,<lb/>
Die Wache wird Dich aus der Stadt begleiten,<lb/>
Entfliehe &#x017F;chnell und &#x017F;chaue nicht zuru&#x0364;ck;<lb/>
Denn &#x017F;o in blinder Wuth i&#x017F;t Volk und Po&#x0364;bel,<lb/>
Sie ri&#x017F;&#x017F;en Dich in Stu&#x0364;cke, trotz den Richtern,<lb/>
Wu&#x0364;rd&#x017F;t Du am Tag' und offen freige&#x017F;prochen.</p>
              </sp><lb/>
              <sp who="#FORT">
                <speaker><hi rendition="#g">Fortunat</hi>.</speaker><lb/>
                <p>Ich danke Euch und meinen guten Sternen.</p><lb/>
                <stage> <hi rendition="#et">(beide ab.)</hi> </stage>
              </sp><lb/>
              <sp who="#Kerkerm">
                <speaker><hi rendition="#g">Kerkerm</hi>.</speaker>
                <p>Seinen Sternen? Und mir kein<lb/>
Wort? Er hat hier weder Sonne, Mond noch<lb/>
Sterne ge&#x017F;ehn, aber ich habe ihn Tag und Nacht<lb/>
unterhalten und getro&#x0364;&#x017F;tet: und jenen dankt er, und<lb/>
mich &#x017F;ieht er nicht von der Seite an? Ich bleibe<lb/>
dabei, es wird nichts aus dem Men&#x017F;chenge&#x017F;chlechte,<lb/>
verlorne Saat, &#x017F;chießt ho&#x0364;ch&#x017F;tens ins Kraut, keine<lb/>
Frucht, kein Genuß dran, und wenn eins einmal<lb/>
recht lieblich und anmuthig aus&#x017F;ieht, hat's grade<lb/>
die mei&#x017F;ten Wu&#x0364;rmer im Kopf. In der Hand la&#x0364;ßt<lb/></p>
              </sp>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[103/0113] Fortunat. Erwacht bin ich, und Tod und wahres Leben Verſchmilzt ſo ſchnell in einen Augenblick. Ein Richter koͤmmt mit dem Kerkermeiſter. Richter. Entſchließt den jungen Menſchen ſeiner Feſſeln! Fortunat. Iſt mir der lezte Augenblick erſchienen? Richter. Frei biſt Du, Juͤngling, in der Todesſtunde Erneuerten noch alle das Bekenntniß Daß Du nichts um den ſchnoͤden Mord gewußt: Benutze dieſe Dunkelheit der Nacht, Die Wache wird Dich aus der Stadt begleiten, Entfliehe ſchnell und ſchaue nicht zuruͤck; Denn ſo in blinder Wuth iſt Volk und Poͤbel, Sie riſſen Dich in Stuͤcke, trotz den Richtern, Wuͤrdſt Du am Tag' und offen freigeſprochen. Fortunat. Ich danke Euch und meinen guten Sternen. (beide ab.) Kerkerm. Seinen Sternen? Und mir kein Wort? Er hat hier weder Sonne, Mond noch Sterne geſehn, aber ich habe ihn Tag und Nacht unterhalten und getroͤſtet: und jenen dankt er, und mich ſieht er nicht von der Seite an? Ich bleibe dabei, es wird nichts aus dem Menſchengeſchlechte, verlorne Saat, ſchießt hoͤchſtens ins Kraut, keine Frucht, kein Genuß dran, und wenn eins einmal recht lieblich und anmuthig ausſieht, hat's grade die meiſten Wuͤrmer im Kopf. In der Hand laͤßt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus03_1816
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus03_1816/113
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 3. Berlin, 1816, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus03_1816/113>, abgerufen am 25.04.2024.