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Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887.

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(als Aufforderung, Geheiss, Auftrag des Ueberlegenen so-
wohl als des Gleichen und Untergeordneten) diejenige Form,
welche einer solchen, ihrem Wesen nach gegenseitigen Be-
dingtheit am meisten entspricht. Die Herrschaft der ersten
Art hat ihren reinen Ausdruck, auf einer vollkommen ge-
meinschaftlichen Basis, als die des Vaters über Kinder: die
potestas; die der anderen Art als die eheherrliche Gewalt:
die manus. Alle Beziehungen zwischen Würde und Dienst,
welche minder tiefen Ursprung haben und minder auch die
Herzen verbinden, lassen sich doch auf eines dieser Sche-
mata oder auf eine Mischung aus beiden zurückführen. Die
Hörigkeit kann von solcher Beschaffenheit sein, dass sie
mehr als die Unterthanschaft eines Sohnes, einer Creatur
oder dass sie gleich der des Gehülfen, Vasallen, Gefolgs-
mannes, Freundes erscheint. In beiden Gestalten kann sie
sich der Knechtschaft, als dem Stande vollkommener Ab-
hängigkeit, mehr oder minder nähern. Aber die Knecht-
schaft selber ist nach dem Maasse jener Typen verschieden,
zumal wo sie wirklich in eine empfundene Familienglied-
schaft sich entwickelt. Sie wird der Kindschaft ähnlicher,
oder sogar der ehelichen Genossenschaft und Kameradschaft.
Und auf's deutlichste treten die Erscheinungen wiederum
auseinander, wo der Meister (des Handwerks, der Kunst)
einmal dem Lehrlinge und Jünger gegenübersteht, sodann
aber anders zu dem "losgesprochenen" Gesellen als dem
Gehülfen seiner Arbeit, dem Ausführer seiner Gedanken
sich verhält.

§ 9.

In einer neueren Darstellung, welche die schlechthin
gesellschaftlich ausgebildeten Verhältnisse als "egoistische"
unterschieden hat, ist unternommen worden, den Hebel aller
dieser Verhältnisse und alles Verkehrs als Lohn zu definiren
(R. v. Jhering, Der Zweck im Recht Bd. I). Gegen den Begriff
wird kein Einwand erhoben, aber die Bezeichnung ist irrefüh-
rend. Denn gerade wer -- wie dieser Schriftsteller -- dem tiefen
Sinne der Sprache nachzudenken beflissen ist, wird gewah-
ren, dass es unangemessen sei, eine dargebotene Waare als

(als Aufforderung, Geheiss, Auftrag des Ueberlegenen so-
wohl als des Gleichen und Untergeordneten) diejenige Form,
welche einer solchen, ihrem Wesen nach gegenseitigen Be-
dingtheit am meisten entspricht. Die Herrschaft der ersten
Art hat ihren reinen Ausdruck, auf einer vollkommen ge-
meinschaftlichen Basis, als die des Vaters über Kinder: die
potestas; die der anderen Art als die eheherrliche Gewalt:
die manus. Alle Beziehungen zwischen Würde und Dienst,
welche minder tiefen Ursprung haben und minder auch die
Herzen verbinden, lassen sich doch auf eines dieser Sche-
mata oder auf eine Mischung aus beiden zurückführen. Die
Hörigkeit kann von solcher Beschaffenheit sein, dass sie
mehr als die Unterthanschaft eines Sohnes, einer Creatur
oder dass sie gleich der des Gehülfen, Vasallen, Gefolgs-
mannes, Freundes erscheint. In beiden Gestalten kann sie
sich der Knechtschaft, als dem Stande vollkommener Ab-
hängigkeit, mehr oder minder nähern. Aber die Knecht-
schaft selber ist nach dem Maasse jener Typen verschieden,
zumal wo sie wirklich in eine empfundene Familienglied-
schaft sich entwickelt. Sie wird der Kindschaft ähnlicher,
oder sogar der ehelichen Genossenschaft und Kameradschaft.
Und auf’s deutlichste treten die Erscheinungen wiederum
auseinander, wo der Meister (des Handwerks, der Kunst)
einmal dem Lehrlinge und Jünger gegenübersteht, sodann
aber anders zu dem »losgesprochenen« Gesellen als dem
Gehülfen seiner Arbeit, dem Ausführer seiner Gedanken
sich verhält.

§ 9.

In einer neueren Darstellung, welche die schlechthin
gesellschaftlich ausgebildeten Verhältnisse als »egoistische«
unterschieden hat, ist unternommen worden, den Hebel aller
dieser Verhältnisse und alles Verkehrs als Lohn zu definiren
(R. v. Jhering, Der Zweck im Recht Bd. I). Gegen den Begriff
wird kein Einwand erhoben, aber die Bezeichnung ist irrefüh-
rend. Denn gerade wer — wie dieser Schriftsteller — dem tiefen
Sinne der Sprache nachzudenken beflissen ist, wird gewah-
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[217/0253] (als Aufforderung, Geheiss, Auftrag des Ueberlegenen so- wohl als des Gleichen und Untergeordneten) diejenige Form, welche einer solchen, ihrem Wesen nach gegenseitigen Be- dingtheit am meisten entspricht. Die Herrschaft der ersten Art hat ihren reinen Ausdruck, auf einer vollkommen ge- meinschaftlichen Basis, als die des Vaters über Kinder: die potestas; die der anderen Art als die eheherrliche Gewalt: die manus. Alle Beziehungen zwischen Würde und Dienst, welche minder tiefen Ursprung haben und minder auch die Herzen verbinden, lassen sich doch auf eines dieser Sche- mata oder auf eine Mischung aus beiden zurückführen. Die Hörigkeit kann von solcher Beschaffenheit sein, dass sie mehr als die Unterthanschaft eines Sohnes, einer Creatur oder dass sie gleich der des Gehülfen, Vasallen, Gefolgs- mannes, Freundes erscheint. In beiden Gestalten kann sie sich der Knechtschaft, als dem Stande vollkommener Ab- hängigkeit, mehr oder minder nähern. Aber die Knecht- schaft selber ist nach dem Maasse jener Typen verschieden, zumal wo sie wirklich in eine empfundene Familienglied- schaft sich entwickelt. Sie wird der Kindschaft ähnlicher, oder sogar der ehelichen Genossenschaft und Kameradschaft. Und auf’s deutlichste treten die Erscheinungen wiederum auseinander, wo der Meister (des Handwerks, der Kunst) einmal dem Lehrlinge und Jünger gegenübersteht, sodann aber anders zu dem »losgesprochenen« Gesellen als dem Gehülfen seiner Arbeit, dem Ausführer seiner Gedanken sich verhält. § 9. In einer neueren Darstellung, welche die schlechthin gesellschaftlich ausgebildeten Verhältnisse als »egoistische« unterschieden hat, ist unternommen worden, den Hebel aller dieser Verhältnisse und alles Verkehrs als Lohn zu definiren (R. v. Jhering, Der Zweck im Recht Bd. I). Gegen den Begriff wird kein Einwand erhoben, aber die Bezeichnung ist irrefüh- rend. Denn gerade wer — wie dieser Schriftsteller — dem tiefen Sinne der Sprache nachzudenken beflissen ist, wird gewah- ren, dass es unangemessen sei, eine dargebotene Waare als

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Zitationshilfe: Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/253>, abgerufen am 18.04.2024.