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Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887.

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stadt ist typisch für die Gesellschaft schlechthin. Sie ist
daher wesentlich Handelsstadt und insofern der Handel
die productive Arbeit darin beherrscht, Fabrikstadt.
Ihr Reichthum ist Reichthum an Kapital, welches in Gestalt
von Handels-, Wucher- oder Industrie-Kapital durch seine
Anwendung sich vermehrendes Geld ist; Mittel zur An-
eignung von Arbeitsproducten oder zur Ausbeutung von
Arbeitskräften. Sie ist endlich Stadt der Wissenschaft und
Bildung, als welche auf alle Weise mit dem Handel und
der Industrie Hand in Hand gehen. Die Künste gehen
hier nach Brod, werden selber kapitalistisch verwerthet.
Das Denken und Meinen vollzieht und verändert sich mit
grosser Geschwindigkeit. Reden und Schriften werden
durch massenhafte Verbreitung die Hebel ungeheurer Er-
regungen. -- Von der Grosstadt überhaupt ist aber die
nationale Hauptstadt unterschieden, welche, zumal als
Sitz eines fürstlichen Hofes und Mittelpunkt der Staats-
regierung, in vielen Stücken die Züge der Grosstadt dar-
stellt, auch wenn sie ihrer Volkszahl und ihren übrigen
Zuständen nach es noch nicht sein mag. -- Endlich aber
entfaltet sich, und zwar am ehesten durch Synthese dieser
beiden Formen, die höchste Gestalt von solcher Art als
Weltstadt: welche nicht allein den Auszug einer natio-
nalen Gesellschaft, sondern eines ganzen Völkerkreises, der
"Welt", in sich enthält. In ihr ist Geld und Kapital un-
endlich und allmächtig, sie vermöchte für den ganzen Erd-
kreis Waaren und Wissenschaft herzustellen, für alle Na-
tionen gültige Gesetze und öffentliche Meinungen zu machen.
Sie stellt den Weltmarkt und Weltverkehr dar; Welt-
industrieen concentriren sich in ihr, ihre Zeitungen sind
Weltblätter, und Menschen aller Stätten des Erdballes ver-
sammeln sich geldgierig und genussüchtig, aber auch lern-
und neugierig in ihr. --

§ 5.

Hingegen ist Familienleben die allgemeine Basis der
gemeinschaftlichen Lebensweisen. Es erhält sich in seiner
Ausbildung durch das Dorf- und durch das Stadtleben.

stadt ist typisch für die Gesellschaft schlechthin. Sie ist
daher wesentlich Handelsstadt und insofern der Handel
die productive Arbeit darin beherrscht, Fabrikstadt.
Ihr Reichthum ist Reichthum an Kapital, welches in Gestalt
von Handels-, Wucher- oder Industrie-Kapital durch seine
Anwendung sich vermehrendes Geld ist; Mittel zur An-
eignung von Arbeitsproducten oder zur Ausbeutung von
Arbeitskräften. Sie ist endlich Stadt der Wissenschaft und
Bildung, als welche auf alle Weise mit dem Handel und
der Industrie Hand in Hand gehen. Die Künste gehen
hier nach Brod, werden selber kapitalistisch verwerthet.
Das Denken und Meinen vollzieht und verändert sich mit
grosser Geschwindigkeit. Reden und Schriften werden
durch massenhafte Verbreitung die Hebel ungeheurer Er-
regungen. — Von der Grosstadt überhaupt ist aber die
nationale Hauptstadt unterschieden, welche, zumal als
Sitz eines fürstlichen Hofes und Mittelpunkt der Staats-
regierung, in vielen Stücken die Züge der Grosstadt dar-
stellt, auch wenn sie ihrer Volkszahl und ihren übrigen
Zuständen nach es noch nicht sein mag. — Endlich aber
entfaltet sich, und zwar am ehesten durch Synthese dieser
beiden Formen, die höchste Gestalt von solcher Art als
Weltstadt: welche nicht allein den Auszug einer natio-
nalen Gesellschaft, sondern eines ganzen Völkerkreises, der
»Welt«, in sich enthält. In ihr ist Geld und Kapital un-
endlich und allmächtig, sie vermöchte für den ganzen Erd-
kreis Waaren und Wissenschaft herzustellen, für alle Na-
tionen gültige Gesetze und öffentliche Meinungen zu machen.
Sie stellt den Weltmarkt und Weltverkehr dar; Welt-
industrieen concentriren sich in ihr, ihre Zeitungen sind
Weltblätter, und Menschen aller Stätten des Erdballes ver-
sammeln sich geldgierig und genussüchtig, aber auch lern-
und neugierig in ihr. —

§ 5.

Hingegen ist Familienleben die allgemeine Basis der
gemeinschaftlichen Lebensweisen. Es erhält sich in seiner
Ausbildung durch das Dorf- und durch das Stadtleben.

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[284/0320] stadt ist typisch für die Gesellschaft schlechthin. Sie ist daher wesentlich Handelsstadt und insofern der Handel die productive Arbeit darin beherrscht, Fabrikstadt. Ihr Reichthum ist Reichthum an Kapital, welches in Gestalt von Handels-, Wucher- oder Industrie-Kapital durch seine Anwendung sich vermehrendes Geld ist; Mittel zur An- eignung von Arbeitsproducten oder zur Ausbeutung von Arbeitskräften. Sie ist endlich Stadt der Wissenschaft und Bildung, als welche auf alle Weise mit dem Handel und der Industrie Hand in Hand gehen. Die Künste gehen hier nach Brod, werden selber kapitalistisch verwerthet. Das Denken und Meinen vollzieht und verändert sich mit grosser Geschwindigkeit. Reden und Schriften werden durch massenhafte Verbreitung die Hebel ungeheurer Er- regungen. — Von der Grosstadt überhaupt ist aber die nationale Hauptstadt unterschieden, welche, zumal als Sitz eines fürstlichen Hofes und Mittelpunkt der Staats- regierung, in vielen Stücken die Züge der Grosstadt dar- stellt, auch wenn sie ihrer Volkszahl und ihren übrigen Zuständen nach es noch nicht sein mag. — Endlich aber entfaltet sich, und zwar am ehesten durch Synthese dieser beiden Formen, die höchste Gestalt von solcher Art als Weltstadt: welche nicht allein den Auszug einer natio- nalen Gesellschaft, sondern eines ganzen Völkerkreises, der »Welt«, in sich enthält. In ihr ist Geld und Kapital un- endlich und allmächtig, sie vermöchte für den ganzen Erd- kreis Waaren und Wissenschaft herzustellen, für alle Na- tionen gültige Gesetze und öffentliche Meinungen zu machen. Sie stellt den Weltmarkt und Weltverkehr dar; Welt- industrieen concentriren sich in ihr, ihre Zeitungen sind Weltblätter, und Menschen aller Stätten des Erdballes ver- sammeln sich geldgierig und genussüchtig, aber auch lern- und neugierig in ihr. — § 5. Hingegen ist Familienleben die allgemeine Basis der gemeinschaftlichen Lebensweisen. Es erhält sich in seiner Ausbildung durch das Dorf- und durch das Stadtleben.

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Zitationshilfe: Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/320>, abgerufen am 18.04.2024.