Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887.

Bild:
<< vorherige Seite

Eins, wie die Mark der Dorfgenossen. So stellt auch ihre
Güter-Gemeinschaft im Besitze desselben Ackerlandes
auf die höchste Weise sich dar. -- Alle diese Verhältnisse
des Status können zwar im Leben und im Rechte zu Con-
tracten werden, aber nicht ohne ihren wirklichen und orga-
nischen Charakter einzubüssen. Das Dasein von Menschen
in ihnen ist durch besondere Qualitäten derselben bedingt;
sie schliessen daher anders bedingte Menschen von sich aus.
Als Contracte sind sie durch gar keine Qualitäten bedingt,
sondern erfordern blos Menschen, welche dem Begriffe der
Person entsprechen durch irgendwelche als Quantitäten
messbare Fähigkeiten oder Vermögensmengen. So sind nun
die einfachen Contracte des Handelsverkehrs, als worin die
Tauschenden und Geschäfte-Machenden immer als Gleich-
Berechtigte einander gegenüberstehen; und so dass ihre innere
Gleichgültigkeit gegen einander keineswegs der Möglichkeit
und Wahrscheinlichkeit ihrer Verträge entgegen ist, viel-
mehr dieselbe begünstigt, und von dem reinen Begriffe als
Bedingung gefordert wird. Scheinbar beruhen Contracte, so-
fern nicht Zug um Zug geleistet wird, auf Vertrauen und Glau-
ben, wie der Name des Credits anzeigt; und dieses Moment,
dem Wesenwillen angehörig und darauf sich beziehend, kann
bei unentwickeltem derartigem Verkehre wirklich wirksam
sein und bleiben. Mehr und mehr aber wird es verdrängt
und ersetzt durch die Rechnung, in welcher aus objec-
tiven Gründen zukünftige Leistung für sicher oder für mehr
oder minder wahrscheinlich gehalten wird, als aus dem eige-
nen Interesse des Contrahenten erfolgend; sei es, weil er ein
geschätztes Pfand hinterlegt hat oder weil die Möglichkeit
fernerer Geschäfte für ihn von bewiesener Zahlungsfähigkeit
abhängt. Also ist dann der Schuldner nicht mehr ein
Armer, Dienender, Verpflichteter, sondern ein Geschäfts-
mann, wie umgekehrter Weise jeder Geschäftsmann ein
Schuldner zu sein pflegt. Daneben aber gehen die Dienst-
Contracte, vor allen der Arbeits-Contract, welcher die
beiden grossen Classen der Gesellschaft verbindet und die
Form ist, durch deren Eingehung Mengen von Menschen
zu gemeinsamer Arbeit vereinigt werden oder sich vereini-
gen: der wahre Hebel einer socialistisch-revolutionären mög-

Eins, wie die Mark der Dorfgenossen. So stellt auch ihre
Güter-Gemeinschaft im Besitze desselben Ackerlandes
auf die höchste Weise sich dar. — Alle diese Verhältnisse
des Status können zwar im Leben und im Rechte zu Con-
tracten werden, aber nicht ohne ihren wirklichen und orga-
nischen Charakter einzubüssen. Das Dasein von Menschen
in ihnen ist durch besondere Qualitäten derselben bedingt;
sie schliessen daher anders bedingte Menschen von sich aus.
Als Contracte sind sie durch gar keine Qualitäten bedingt,
sondern erfordern blos Menschen, welche dem Begriffe der
Person entsprechen durch irgendwelche als Quantitäten
messbare Fähigkeiten oder Vermögensmengen. So sind nun
die einfachen Contracte des Handelsverkehrs, als worin die
Tauschenden und Geschäfte-Machenden immer als Gleich-
Berechtigte einander gegenüberstehen; und so dass ihre innere
Gleichgültigkeit gegen einander keineswegs der Möglichkeit
und Wahrscheinlichkeit ihrer Verträge entgegen ist, viel-
mehr dieselbe begünstigt, und von dem reinen Begriffe als
Bedingung gefordert wird. Scheinbar beruhen Contracte, so-
fern nicht Zug um Zug geleistet wird, auf Vertrauen und Glau-
ben, wie der Name des Credits anzeigt; und dieses Moment,
dem Wesenwillen angehörig und darauf sich beziehend, kann
bei unentwickeltem derartigem Verkehre wirklich wirksam
sein und bleiben. Mehr und mehr aber wird es verdrängt
und ersetzt durch die Rechnung, in welcher aus objec-
tiven Gründen zukünftige Leistung für sicher oder für mehr
oder minder wahrscheinlich gehalten wird, als aus dem eige-
nen Interesse des Contrahenten erfolgend; sei es, weil er ein
geschätztes Pfand hinterlegt hat oder weil die Möglichkeit
fernerer Geschäfte für ihn von bewiesener Zahlungsfähigkeit
abhängt. Also ist dann der Schuldner nicht mehr ein
Armer, Dienender, Verpflichteter, sondern ein Geschäfts-
mann, wie umgekehrter Weise jeder Geschäftsmann ein
Schuldner zu sein pflegt. Daneben aber gehen die Dienst-
Contracte, vor allen der Arbeits-Contract, welcher die
beiden grossen Classen der Gesellschaft verbindet und die
Form ist, durch deren Eingehung Mengen von Menschen
zu gemeinsamer Arbeit vereinigt werden oder sich vereini-
gen: der wahre Hebel einer socialistisch-revolutionären mög-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0265" n="229"/>
Eins, wie die Mark der Dorfgenossen. So stellt auch ihre<lb/><hi rendition="#g">Güter-Gemeinschaft</hi> im Besitze desselben Ackerlandes<lb/>
auf die höchste Weise sich dar. &#x2014; Alle diese Verhältnisse<lb/>
des Status können zwar im Leben und im Rechte zu Con-<lb/>
tracten werden, aber nicht ohne ihren wirklichen und orga-<lb/>
nischen Charakter einzubüssen. Das Dasein von Menschen<lb/>
in ihnen ist durch besondere Qualitäten derselben bedingt;<lb/>
sie schliessen daher anders bedingte Menschen von sich aus.<lb/>
Als Contracte sind sie durch gar keine Qualitäten bedingt,<lb/>
sondern erfordern blos Menschen, welche dem Begriffe der<lb/>
Person entsprechen durch irgendwelche als <hi rendition="#g">Quantitäten</hi><lb/>
messbare Fähigkeiten oder Vermögensmengen. So sind nun<lb/>
die einfachen Contracte des Handelsverkehrs, als worin die<lb/>
Tauschenden und Geschäfte-Machenden immer als Gleich-<lb/>
Berechtigte einander gegenüberstehen; und so dass ihre innere<lb/>
Gleichgültigkeit gegen einander keineswegs der Möglichkeit<lb/>
und Wahrscheinlichkeit ihrer Verträge entgegen ist, viel-<lb/>
mehr dieselbe begünstigt, und von dem reinen Begriffe als<lb/>
Bedingung gefordert wird. Scheinbar beruhen Contracte, so-<lb/>
fern nicht Zug um Zug geleistet wird, auf Vertrauen und Glau-<lb/>
ben, wie der <hi rendition="#g">Name</hi> des Credits anzeigt; und dieses Moment,<lb/>
dem Wesenwillen angehörig und darauf sich beziehend, kann<lb/>
bei unentwickeltem derartigem Verkehre wirklich wirksam<lb/>
sein und bleiben. Mehr und mehr aber wird es verdrängt<lb/>
und ersetzt durch die <hi rendition="#g">Rechnung</hi>, in welcher aus objec-<lb/>
tiven Gründen zukünftige Leistung für sicher oder für mehr<lb/>
oder minder wahrscheinlich gehalten wird, als aus dem eige-<lb/>
nen Interesse des Contrahenten erfolgend; sei es, weil er ein<lb/>
geschätztes <hi rendition="#g">Pfand</hi> hinterlegt hat oder weil die Möglichkeit<lb/>
fernerer Geschäfte für ihn von bewiesener Zahlungsfähigkeit<lb/>
abhängt. Also ist dann der <hi rendition="#g">Schuldner</hi> nicht mehr ein<lb/>
Armer, Dienender, Verpflichteter, sondern ein Geschäfts-<lb/>
mann, wie umgekehrter Weise jeder Geschäftsmann ein<lb/>
Schuldner zu sein pflegt. Daneben aber gehen die Dienst-<lb/>
Contracte, vor allen der <hi rendition="#g">Arbeits-Contract</hi>, welcher die<lb/>
beiden grossen Classen der Gesellschaft verbindet und die<lb/>
Form ist, durch deren Eingehung Mengen von Menschen<lb/>
zu gemeinsamer Arbeit vereinigt werden oder sich vereini-<lb/>
gen: der wahre Hebel einer socialistisch-revolutionären mög-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[229/0265] Eins, wie die Mark der Dorfgenossen. So stellt auch ihre Güter-Gemeinschaft im Besitze desselben Ackerlandes auf die höchste Weise sich dar. — Alle diese Verhältnisse des Status können zwar im Leben und im Rechte zu Con- tracten werden, aber nicht ohne ihren wirklichen und orga- nischen Charakter einzubüssen. Das Dasein von Menschen in ihnen ist durch besondere Qualitäten derselben bedingt; sie schliessen daher anders bedingte Menschen von sich aus. Als Contracte sind sie durch gar keine Qualitäten bedingt, sondern erfordern blos Menschen, welche dem Begriffe der Person entsprechen durch irgendwelche als Quantitäten messbare Fähigkeiten oder Vermögensmengen. So sind nun die einfachen Contracte des Handelsverkehrs, als worin die Tauschenden und Geschäfte-Machenden immer als Gleich- Berechtigte einander gegenüberstehen; und so dass ihre innere Gleichgültigkeit gegen einander keineswegs der Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit ihrer Verträge entgegen ist, viel- mehr dieselbe begünstigt, und von dem reinen Begriffe als Bedingung gefordert wird. Scheinbar beruhen Contracte, so- fern nicht Zug um Zug geleistet wird, auf Vertrauen und Glau- ben, wie der Name des Credits anzeigt; und dieses Moment, dem Wesenwillen angehörig und darauf sich beziehend, kann bei unentwickeltem derartigem Verkehre wirklich wirksam sein und bleiben. Mehr und mehr aber wird es verdrängt und ersetzt durch die Rechnung, in welcher aus objec- tiven Gründen zukünftige Leistung für sicher oder für mehr oder minder wahrscheinlich gehalten wird, als aus dem eige- nen Interesse des Contrahenten erfolgend; sei es, weil er ein geschätztes Pfand hinterlegt hat oder weil die Möglichkeit fernerer Geschäfte für ihn von bewiesener Zahlungsfähigkeit abhängt. Also ist dann der Schuldner nicht mehr ein Armer, Dienender, Verpflichteter, sondern ein Geschäfts- mann, wie umgekehrter Weise jeder Geschäftsmann ein Schuldner zu sein pflegt. Daneben aber gehen die Dienst- Contracte, vor allen der Arbeits-Contract, welcher die beiden grossen Classen der Gesellschaft verbindet und die Form ist, durch deren Eingehung Mengen von Menschen zu gemeinsamer Arbeit vereinigt werden oder sich vereini- gen: der wahre Hebel einer socialistisch-revolutionären mög-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/265
Zitationshilfe: Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/265>, abgerufen am 19.03.2024.