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Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887.

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möglich und wahrscheinlich, wodurch der Kaufmann selber
ein Schuldner oder ein Gläubiger wird; oder auch Beides
zugleich. Der Gläubiger aber entwickelt sich zu einer
Abart des Kaufmanns, sobald er sein Geschäft planmässig
und um des Gewinnes willen betreibt. So wird die For-
derung, in Gestalt des Wechsels, selber eine übertragbare
Waare, die sich aufkaufen lässt zum Behufe des Verkaufes,
und deren Consumtion durch ihren endlichen Verkauf als
ihre Realisirung stattfindet. Und so bildet sich das Credit-
wesen als ein Hülfsgeschäft des eigentlichen Handels aus.
Wenn die Kaufleute Vermittler des Austausches, so sind
Bankiers Vermittler der Vermittlung. In Wirklichkeit aber
ist es für beide Arten wesentliches Merkmal (welche Dienste
sie immer einander und den Uebrigen leisten mögen), dass
sie nicht als Mandatare, sondern auf eigene Hand, Rechnung
und Gefahr agiren, als freie und selbständige Mächte, denen
alle ihre Handlungen berechnete Mittel für ihre eigenen, in
Gedanken begriffenen Zwecke sind. Dennoch können alle
diese Thätigkeiten, insofern als sie einem ohnehin an zweien
(oder mehreren) diversen Punkten vorhandenen Bedürfnisse
(des Austausches) directe oder indirecte helfen mögen, in
der That als Hülfsfunctionen eines beide umfassenden
Organismus verstanden werden, wenn ein solcher schon
als existent mit Grund gedacht worden ist; mithin auch
zwar nicht der einzelne Kaufmann, wohl aber das gesammte
Gewerbe, der kaufmännische Stand, als ein solches Organ,
das aus gemeinschaftlichem Leben und Willen sei gebildet
worden. Sofern aber keine Gemeinschaft, so ist auch
kein Organ der Vermittlung; wohl aber mag es, blos von
der einen Seite betrachtet, als Organ des günstigen Ab-
satzes
sich darstellen; oder kann auch auf der anderen,
als Organ der Zufuhr gebraucht und assimilirt werden;
-- beides aber nur unter der Voraussetzung, dass der voll-
zogene Umsatz in Wahrheit einem solchen Ganzen zu gute
komme, als Verwandlung von minder nützlichem in nütz-
licheren Werth und dass seine Nahrung und Vergütung
(obgleich es sie in der Form eines regelmässigen Profits
bezieht) demjenigen Werthe angemessen sei, mit welchem
seine Leistung für dieses Ganze, gerechter Schätzung nach,

möglich und wahrscheinlich, wodurch der Kaufmann selber
ein Schuldner oder ein Gläubiger wird; oder auch Beides
zugleich. Der Gläubiger aber entwickelt sich zu einer
Abart des Kaufmanns, sobald er sein Geschäft planmässig
und um des Gewinnes willen betreibt. So wird die For-
derung, in Gestalt des Wechsels, selber eine übertragbare
Waare, die sich aufkaufen lässt zum Behufe des Verkaufes,
und deren Consumtion durch ihren endlichen Verkauf als
ihre Realisirung stattfindet. Und so bildet sich das Credit-
wesen als ein Hülfsgeschäft des eigentlichen Handels aus.
Wenn die Kaufleute Vermittler des Austausches, so sind
Bankiers Vermittler der Vermittlung. In Wirklichkeit aber
ist es für beide Arten wesentliches Merkmal (welche Dienste
sie immer einander und den Uebrigen leisten mögen), dass
sie nicht als Mandatare, sondern auf eigene Hand, Rechnung
und Gefahr agiren, als freie und selbständige Mächte, denen
alle ihre Handlungen berechnete Mittel für ihre eigenen, in
Gedanken begriffenen Zwecke sind. Dennoch können alle
diese Thätigkeiten, insofern als sie einem ohnehin an zweien
(oder mehreren) diversen Punkten vorhandenen Bedürfnisse
(des Austausches) directe oder indirecte helfen mögen, in
der That als Hülfsfunctionen eines beide umfassenden
Organismus verstanden werden, wenn ein solcher schon
als existent mit Grund gedacht worden ist; mithin auch
zwar nicht der einzelne Kaufmann, wohl aber das gesammte
Gewerbe, der kaufmännische Stand, als ein solches Organ,
das aus gemeinschaftlichem Leben und Willen sei gebildet
worden. Sofern aber keine Gemeinschaft, so ist auch
kein Organ der Vermittlung; wohl aber mag es, blos von
der einen Seite betrachtet, als Organ des günstigen Ab-
satzes
sich darstellen; oder kann auch auf der anderen,
als Organ der Zufuhr gebraucht und assimilirt werden;
— beides aber nur unter der Voraussetzung, dass der voll-
zogene Umsatz in Wahrheit einem solchen Ganzen zu gute
komme, als Verwandlung von minder nützlichem in nütz-
licheren Werth und dass seine Nahrung und Vergütung
(obgleich es sie in der Form eines regelmässigen Profits
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[68/0104] möglich und wahrscheinlich, wodurch der Kaufmann selber ein Schuldner oder ein Gläubiger wird; oder auch Beides zugleich. Der Gläubiger aber entwickelt sich zu einer Abart des Kaufmanns, sobald er sein Geschäft planmässig und um des Gewinnes willen betreibt. So wird die For- derung, in Gestalt des Wechsels, selber eine übertragbare Waare, die sich aufkaufen lässt zum Behufe des Verkaufes, und deren Consumtion durch ihren endlichen Verkauf als ihre Realisirung stattfindet. Und so bildet sich das Credit- wesen als ein Hülfsgeschäft des eigentlichen Handels aus. Wenn die Kaufleute Vermittler des Austausches, so sind Bankiers Vermittler der Vermittlung. In Wirklichkeit aber ist es für beide Arten wesentliches Merkmal (welche Dienste sie immer einander und den Uebrigen leisten mögen), dass sie nicht als Mandatare, sondern auf eigene Hand, Rechnung und Gefahr agiren, als freie und selbständige Mächte, denen alle ihre Handlungen berechnete Mittel für ihre eigenen, in Gedanken begriffenen Zwecke sind. Dennoch können alle diese Thätigkeiten, insofern als sie einem ohnehin an zweien (oder mehreren) diversen Punkten vorhandenen Bedürfnisse (des Austausches) directe oder indirecte helfen mögen, in der That als Hülfsfunctionen eines beide umfassenden Organismus verstanden werden, wenn ein solcher schon als existent mit Grund gedacht worden ist; mithin auch zwar nicht der einzelne Kaufmann, wohl aber das gesammte Gewerbe, der kaufmännische Stand, als ein solches Organ, das aus gemeinschaftlichem Leben und Willen sei gebildet worden. Sofern aber keine Gemeinschaft, so ist auch kein Organ der Vermittlung; wohl aber mag es, blos von der einen Seite betrachtet, als Organ des günstigen Ab- satzes sich darstellen; oder kann auch auf der anderen, als Organ der Zufuhr gebraucht und assimilirt werden; — beides aber nur unter der Voraussetzung, dass der voll- zogene Umsatz in Wahrheit einem solchen Ganzen zu gute komme, als Verwandlung von minder nützlichem in nütz- licheren Werth und dass seine Nahrung und Vergütung (obgleich es sie in der Form eines regelmässigen Profits bezieht) demjenigen Werthe angemessen sei, mit welchem seine Leistung für dieses Ganze, gerechter Schätzung nach,

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Zitationshilfe: Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/104>, abgerufen am 20.04.2024.