Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887.

Bild:
<< vorherige Seite

gemeine Wucher mit dem Handel hat, dass Beide ihre Ein-
lage preisgeben, wenn auch jener ein Versprechen oder
vielmehr eine Forderung (Obligation, Wechsel, und etwa
noch ein Pfandrecht, d. i. das eventuelle Eigenthum an
einem den Verlust des Kapitals ersetzenden Gegenstande),
dieser eine Waare dafür erwirbt. Das Geld verschwindet
in der Circulation. Das Land verschwindet nicht, sondern
bleibt unter den Füssen und Händen seines Bauers. Also
ist der Landlordism, in dieser Hinsicht, die uneigentlichste
Sorte von Handel. Das Land muss erst durch die Vor-
stellung umgeschmolzen werden in Geld oder Geldeswerth,
und dies geschieht, indem es als blosses Mittel gedacht
wird und die Rente als absoluter Zweck; gleichwie das
Kapital blosses Mittel des Ausleihers und des Kaufmanns
ist, Zins oder Profit ihr absoluter Zweck. Während aber
hier das Geld nach seiner Natur behandelt wird -- denn
als Geld ist es Mittel, wenn auch zunächst nur zum Er-
werbe von Gegenständen des Bedarfes, in die es verwandelt
werden soll, und nicht zum Erwerbe von seines gleichen
in vermehrter Quantität -- nicht also das Land; denn
es ist von substanzieller Wirklichkeit: vielmehr den Men-
schen bedingend, ihn tragend, und an sich bindend, als in
irgend eines Herren Hand oder Tasche zu seiner freien
Verfügung befindlich. Daher ist es ein grosser Fortschritt
des Denkens, wenn das Individuum und die Gesellschaft
Land als eine besondere Art des Vermögens und Geld-
kapitales zu handhaben beginnen. -- Wenn nun aber die
schmerzlichste Wirkung der Herrschaft des Handels durch
den unmittelbaren und persönlichen Druck, welchen unter
Umständen der Gläubiger auf den Schuldner ausüben kann,
übertroffen wird, so ist möglicher Weise, und in bekannten
historischen und actuellen Erscheinungen, der Landlord
und sein Agent nicht minder feindlich wider den Pächter,
als schonungsloser Eintreiber von Rente, erbarmungsloser
Vertreiber von Haus und Herd. Der Kaufmann kann
seine Kunden, sei es als Einkäufer oder als Verkäufer,
beschwindeln, ja er hat als gewerbemässiger Profitmacher
starke Versuchungen, reichliche Gelegenheiten, und erwor-
bene oder sogar der Anlage nach geerbte Tüchtigkeit, Nei-

gemeine Wucher mit dem Handel hat, dass Beide ihre Ein-
lage preisgeben, wenn auch jener ein Versprechen oder
vielmehr eine Forderung (Obligation, Wechsel, und etwa
noch ein Pfandrecht, d. i. das eventuelle Eigenthum an
einem den Verlust des Kapitals ersetzenden Gegenstande),
dieser eine Waare dafür erwirbt. Das Geld verschwindet
in der Circulation. Das Land verschwindet nicht, sondern
bleibt unter den Füssen und Händen seines Bauers. Also
ist der Landlordism, in dieser Hinsicht, die uneigentlichste
Sorte von Handel. Das Land muss erst durch die Vor-
stellung umgeschmolzen werden in Geld oder Geldeswerth,
und dies geschieht, indem es als blosses Mittel gedacht
wird und die Rente als absoluter Zweck; gleichwie das
Kapital blosses Mittel des Ausleihers und des Kaufmanns
ist, Zins oder Profit ihr absoluter Zweck. Während aber
hier das Geld nach seiner Natur behandelt wird — denn
als Geld ist es Mittel, wenn auch zunächst nur zum Er-
werbe von Gegenständen des Bedarfes, in die es verwandelt
werden soll, und nicht zum Erwerbe von seines gleichen
in vermehrter Quantität — nicht also das Land; denn
es ist von substanzieller Wirklichkeit: vielmehr den Men-
schen bedingend, ihn tragend, und an sich bindend, als in
irgend eines Herren Hand oder Tasche zu seiner freien
Verfügung befindlich. Daher ist es ein grosser Fortschritt
des Denkens, wenn das Individuum und die Gesellschaft
Land als eine besondere Art des Vermögens und Geld-
kapitales zu handhaben beginnen. — Wenn nun aber die
schmerzlichste Wirkung der Herrschaft des Handels durch
den unmittelbaren und persönlichen Druck, welchen unter
Umständen der Gläubiger auf den Schuldner ausüben kann,
übertroffen wird, so ist möglicher Weise, und in bekannten
historischen und actuellen Erscheinungen, der Landlord
und sein Agent nicht minder feindlich wider den Pächter,
als schonungsloser Eintreiber von Rente, erbarmungsloser
Vertreiber von Haus und Herd. Der Kaufmann kann
seine Kunden, sei es als Einkäufer oder als Verkäufer,
beschwindeln, ja er hat als gewerbemässiger Profitmacher
starke Versuchungen, reichliche Gelegenheiten, und erwor-
bene oder sogar der Anlage nach geerbte Tüchtigkeit, Nei-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0110" n="74"/>
gemeine Wucher mit dem Handel hat, dass Beide ihre Ein-<lb/>
lage <hi rendition="#g">preisgeben</hi>, wenn auch jener ein Versprechen oder<lb/>
vielmehr eine Forderung (Obligation, Wechsel, und etwa<lb/>
noch ein Pfandrecht, d. i. das eventuelle Eigenthum an<lb/>
einem den Verlust des Kapitals ersetzenden Gegenstande),<lb/>
dieser eine Waare dafür erwirbt. Das Geld <hi rendition="#g">verschwindet</hi><lb/>
in der Circulation. Das Land verschwindet nicht, sondern<lb/>
bleibt unter den Füssen und Händen seines Bauers. Also<lb/>
ist der Landlordism, in dieser Hinsicht, die uneigentlichste<lb/>
Sorte von Handel. Das Land muss erst durch die Vor-<lb/>
stellung umgeschmolzen werden in Geld oder Geldeswerth,<lb/>
und dies geschieht, indem es als blosses <hi rendition="#g">Mittel</hi> gedacht<lb/>
wird und die Rente als absoluter Zweck; gleichwie das<lb/>
Kapital blosses Mittel des Ausleihers und des Kaufmanns<lb/>
ist, Zins oder Profit ihr absoluter Zweck. Während aber<lb/>
hier das Geld nach seiner Natur behandelt wird &#x2014; denn<lb/><hi rendition="#g">als</hi> Geld <hi rendition="#g">ist</hi> es Mittel, wenn auch zunächst nur zum Er-<lb/>
werbe von Gegenständen des Bedarfes, in die es verwandelt<lb/>
werden soll, und nicht zum Erwerbe von seines gleichen<lb/>
in vermehrter <hi rendition="#g">Quantität</hi> &#x2014; nicht also das Land; denn<lb/>
es ist von substanzieller Wirklichkeit: vielmehr den Men-<lb/>
schen bedingend, ihn tragend, und an sich bindend, als in<lb/>
irgend eines Herren Hand oder Tasche zu seiner freien<lb/>
Verfügung befindlich. Daher ist es ein grosser Fortschritt<lb/>
des Denkens, wenn das Individuum und die Gesellschaft<lb/>
Land als eine besondere Art des Vermögens und Geld-<lb/>
kapitales zu handhaben beginnen. &#x2014; Wenn nun aber die<lb/>
schmerzlichste Wirkung der Herrschaft des Handels durch<lb/>
den unmittelbaren und persönlichen Druck, welchen unter<lb/>
Umständen der Gläubiger auf den Schuldner ausüben kann,<lb/>
übertroffen wird, so ist möglicher Weise, und in bekannten<lb/>
historischen und actuellen Erscheinungen, der Landlord<lb/>
und sein Agent nicht minder feindlich wider den Pächter,<lb/>
als schonungsloser <hi rendition="#g">Ein</hi>treiber von Rente, erbarmungsloser<lb/><hi rendition="#g">Ver</hi>treiber von Haus und Herd. Der Kaufmann kann<lb/>
seine Kunden, sei es als Einkäufer oder als Verkäufer,<lb/>
beschwindeln, ja er hat als gewerbemässiger Profitmacher<lb/>
starke Versuchungen, reichliche Gelegenheiten, und erwor-<lb/>
bene oder sogar der Anlage nach geerbte Tüchtigkeit, Nei-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[74/0110] gemeine Wucher mit dem Handel hat, dass Beide ihre Ein- lage preisgeben, wenn auch jener ein Versprechen oder vielmehr eine Forderung (Obligation, Wechsel, und etwa noch ein Pfandrecht, d. i. das eventuelle Eigenthum an einem den Verlust des Kapitals ersetzenden Gegenstande), dieser eine Waare dafür erwirbt. Das Geld verschwindet in der Circulation. Das Land verschwindet nicht, sondern bleibt unter den Füssen und Händen seines Bauers. Also ist der Landlordism, in dieser Hinsicht, die uneigentlichste Sorte von Handel. Das Land muss erst durch die Vor- stellung umgeschmolzen werden in Geld oder Geldeswerth, und dies geschieht, indem es als blosses Mittel gedacht wird und die Rente als absoluter Zweck; gleichwie das Kapital blosses Mittel des Ausleihers und des Kaufmanns ist, Zins oder Profit ihr absoluter Zweck. Während aber hier das Geld nach seiner Natur behandelt wird — denn als Geld ist es Mittel, wenn auch zunächst nur zum Er- werbe von Gegenständen des Bedarfes, in die es verwandelt werden soll, und nicht zum Erwerbe von seines gleichen in vermehrter Quantität — nicht also das Land; denn es ist von substanzieller Wirklichkeit: vielmehr den Men- schen bedingend, ihn tragend, und an sich bindend, als in irgend eines Herren Hand oder Tasche zu seiner freien Verfügung befindlich. Daher ist es ein grosser Fortschritt des Denkens, wenn das Individuum und die Gesellschaft Land als eine besondere Art des Vermögens und Geld- kapitales zu handhaben beginnen. — Wenn nun aber die schmerzlichste Wirkung der Herrschaft des Handels durch den unmittelbaren und persönlichen Druck, welchen unter Umständen der Gläubiger auf den Schuldner ausüben kann, übertroffen wird, so ist möglicher Weise, und in bekannten historischen und actuellen Erscheinungen, der Landlord und sein Agent nicht minder feindlich wider den Pächter, als schonungsloser Eintreiber von Rente, erbarmungsloser Vertreiber von Haus und Herd. Der Kaufmann kann seine Kunden, sei es als Einkäufer oder als Verkäufer, beschwindeln, ja er hat als gewerbemässiger Profitmacher starke Versuchungen, reichliche Gelegenheiten, und erwor- bene oder sogar der Anlage nach geerbte Tüchtigkeit, Nei-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/110
Zitationshilfe: Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/110>, abgerufen am 19.04.2024.