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Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887.

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dieser Qualitäten Werth gelegt wird; es kann aber nur
auf den Schein der Werth gelegt werden, wenn jedes Mit-
wesen an sich selber denkt und um ihrer übrigen Wir-
kungen
willen, theils im Allgemeinen, theils für sich,
solche Qualitäten schätzt; wo denn, da dieselben Wir-
kungen ganz verschiedenen Motiven (aus Wesenwillen oder
aus Willkür) entspringen können, die wirklichen Ursachen
gleichgültig sind, und nur zunächst die gewöhnlichen und
gewohnheitsmässig beliebten vorausgesetzt werden. Denn
allerdings: wenn nur auf dem Markte ein Jeder nach der
Maxime handeln will, dass Ehrlichkeit die beste Politik
sei, so kann es wohl gleichgültig sein, ob er ehrliche Ge-
sinnungen
hege, und wenn nur im Salon einer auf
artige, demüthige, verbindliche Weise sich benimmt, so
genügt das, und nur Unerfahrene weigern sich, solches
Papiergeld anzunehmen, obgleich es wirklich durch Con-
vention den gleichen Werth mit barer Münze erhalten hat.

§ 38.

Und wie die Gesetze des Marktverkehrs nur äussere
Schranken einer von Natur grenzenlosen Bestrebung er-
richten, also der Salon einer durch und durch schamlosen
Sucht, sich geltend zu machen, über ein gewisses Maas
hinauszugehen verwehrt. Solche Beschaffenheit der ge-
gebenen Regeln muss um so mehr offenbar werden, je mehr
solche gesellschaftliche Cirkel nach ihren immanenten Prin-
cipien sich entwickeln, mithin von ihren gemeinschaftlichen
Ursprüngen sich entfernen. Das willkürliche Subject, wel-
ches alsdann in beiden zum Vorschein kommt, hat in der
That gar keine Qualitäten, sondern nur eine mehr oder
minder grosse Wissenschaft in Betreff seiner Zwecke und
ihrer richtigen Verfolgung. Kenntniss von Objecten ist die
nothwendige Bedingung des Strebens danach, und Kenntniss
der verfügbaren oder erreichbaren Mittel Voraussetzung für
ihre Benutzung. Daher bedeutet Erweiterung der Kenntniss
Vermehrung und Vermannigfachung der Begierden, und je
klarer und sicherer das Wissen, dass ein gegebenes Mittel
zum Ziele führen werde, desto leichter wird das Wider-

dieser Qualitäten Werth gelegt wird; es kann aber nur
auf den Schein der Werth gelegt werden, wenn jedes Mit-
wesen an sich selber denkt und um ihrer übrigen Wir-
kungen
willen, theils im Allgemeinen, theils für sich,
solche Qualitäten schätzt; wo denn, da dieselben Wir-
kungen ganz verschiedenen Motiven (aus Wesenwillen oder
aus Willkür) entspringen können, die wirklichen Ursachen
gleichgültig sind, und nur zunächst die gewöhnlichen und
gewohnheitsmässig beliebten vorausgesetzt werden. Denn
allerdings: wenn nur auf dem Markte ein Jeder nach der
Maxime handeln will, dass Ehrlichkeit die beste Politik
sei, so kann es wohl gleichgültig sein, ob er ehrliche Ge-
sinnungen
hege, und wenn nur im Salon einer auf
artige, demüthige, verbindliche Weise sich benimmt, so
genügt das, und nur Unerfahrene weigern sich, solches
Papiergeld anzunehmen, obgleich es wirklich durch Con-
vention den gleichen Werth mit barer Münze erhalten hat.

§ 38.

Und wie die Gesetze des Marktverkehrs nur äussere
Schranken einer von Natur grenzenlosen Bestrebung er-
richten, also der Salon einer durch und durch schamlosen
Sucht, sich geltend zu machen, über ein gewisses Maas
hinauszugehen verwehrt. Solche Beschaffenheit der ge-
gebenen Regeln muss um so mehr offenbar werden, je mehr
solche gesellschaftliche Cirkel nach ihren immanenten Prin-
cipien sich entwickeln, mithin von ihren gemeinschaftlichen
Ursprüngen sich entfernen. Das willkürliche Subject, wel-
ches alsdann in beiden zum Vorschein kommt, hat in der
That gar keine Qualitäten, sondern nur eine mehr oder
minder grosse Wissenschaft in Betreff seiner Zwecke und
ihrer richtigen Verfolgung. Kenntniss von Objecten ist die
nothwendige Bedingung des Strebens danach, und Kenntniss
der verfügbaren oder erreichbaren Mittel Voraussetzung für
ihre Benutzung. Daher bedeutet Erweiterung der Kenntniss
Vermehrung und Vermannigfachung der Begierden, und je
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[181/0217] dieser Qualitäten Werth gelegt wird; es kann aber nur auf den Schein der Werth gelegt werden, wenn jedes Mit- wesen an sich selber denkt und um ihrer übrigen Wir- kungen willen, theils im Allgemeinen, theils für sich, solche Qualitäten schätzt; wo denn, da dieselben Wir- kungen ganz verschiedenen Motiven (aus Wesenwillen oder aus Willkür) entspringen können, die wirklichen Ursachen gleichgültig sind, und nur zunächst die gewöhnlichen und gewohnheitsmässig beliebten vorausgesetzt werden. Denn allerdings: wenn nur auf dem Markte ein Jeder nach der Maxime handeln will, dass Ehrlichkeit die beste Politik sei, so kann es wohl gleichgültig sein, ob er ehrliche Ge- sinnungen hege, und wenn nur im Salon einer auf artige, demüthige, verbindliche Weise sich benimmt, so genügt das, und nur Unerfahrene weigern sich, solches Papiergeld anzunehmen, obgleich es wirklich durch Con- vention den gleichen Werth mit barer Münze erhalten hat. § 38. Und wie die Gesetze des Marktverkehrs nur äussere Schranken einer von Natur grenzenlosen Bestrebung er- richten, also der Salon einer durch und durch schamlosen Sucht, sich geltend zu machen, über ein gewisses Maas hinauszugehen verwehrt. Solche Beschaffenheit der ge- gebenen Regeln muss um so mehr offenbar werden, je mehr solche gesellschaftliche Cirkel nach ihren immanenten Prin- cipien sich entwickeln, mithin von ihren gemeinschaftlichen Ursprüngen sich entfernen. Das willkürliche Subject, wel- ches alsdann in beiden zum Vorschein kommt, hat in der That gar keine Qualitäten, sondern nur eine mehr oder minder grosse Wissenschaft in Betreff seiner Zwecke und ihrer richtigen Verfolgung. Kenntniss von Objecten ist die nothwendige Bedingung des Strebens danach, und Kenntniss der verfügbaren oder erreichbaren Mittel Voraussetzung für ihre Benutzung. Daher bedeutet Erweiterung der Kenntniss Vermehrung und Vermannigfachung der Begierden, und je klarer und sicherer das Wissen, dass ein gegebenes Mittel zum Ziele führen werde, desto leichter wird das Wider-

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Zitationshilfe: Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/217>, abgerufen am 18.04.2024.