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Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887.

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werden, wenn er nicht zugleich, während seiner Dauer,
dieses Leben und dieser Zweck selber wäre. Sie -- die
Theile -- sind gleich, insofern sie an dem Ganzen Antheil
haben; verschieden und mannigfach, insofern als jeder sich
selber ausdrückt und seine eigenthümliche Thätigkeit hat.
Und auf ähnliche Weise verhalten sich zu dem Realbegriff,
d. i. der Gattung, die in ihr enthaltenen Gruppen und In-
dividuen, und wiederum die Individuen zu jeder sie um-
fassenden wirklichen Gruppe, dergleichen erst im Werden
oder auch im Vergehen und etwan im Uebergange zu einer
höheren Bildung begriffen sein kann, immer als ein Actives,
Lebendig-Veränderliches aufgefasst zu werden fordernd. --
Demnach wird hier von der Essentia des Menschen, nicht von
einer Abstraction, sondern von dem concreten Inbegriff der
gesammten Menschheit, als dem Allgemeinst-Wirklichen dieser
Art, ausgegangen; und demnächst fortgeschritten, etwa durch
die Essentia der Race, des Volkes, des Stammes und engerer
Verbände, endlich zu dem einzelnen Individuo, gleichsam dem
Centro dieser vielen concentrischen Kreise, hinabgestiegen. Die-
ses ist um so vollkommener erklärt, je mehr sich verengernde
Kreislinien die Brücke zu ihm hinüber schlagen. Die in-
tuitive und ganz mentale Erkenntniss jedes solchen Ganzen
kann aber mit Fug erleichtert und versinnlicht werden durch
die Vorstellung von Typen, deren jeder die Merkmale aller
zu dieser Gruppe gehörigen Exemplare vor ihrer Diffe-
renzirung zu enthalten gedacht werde; also sowohl vollkom-
mener als sie -- nämlich durch die Anlagen und Kräfte,
welche in ihnen durch Nichtgebrauch verkümmert sind --
als unvollkommener: durch diejenigen, so in ihnen besonders
sich entwickelt haben. Das sinnliche aber construirte Bild
eines solchen typischen Exemplars und seine Beschreibung
vertreten also die intellectuelle Idee der realen Essenz jenes
metempirischen Ganzen, für die Theorie. Im Leben aber
kann sich die Fülle des Geistes und der Kraft eines sol-
chen Ganzen, in Bezug auf seine Theile, nur durch den
natürlichen Congress der jedesmal lebenden wirklichen
Leiber in ihrer Gesammtheit ursprünglich und wirklich
darstellen; demnächst aber auch durch eine erlesene Schaar

werden, wenn er nicht zugleich, während seiner Dauer,
dieses Leben und dieser Zweck selber wäre. Sie — die
Theile — sind gleich, insofern sie an dem Ganzen Antheil
haben; verschieden und mannigfach, insofern als jeder sich
selber ausdrückt und seine eigenthümliche Thätigkeit hat.
Und auf ähnliche Weise verhalten sich zu dem Realbegriff,
d. i. der Gattung, die in ihr enthaltenen Gruppen und In-
dividuen, und wiederum die Individuen zu jeder sie um-
fassenden wirklichen Gruppe, dergleichen erst im Werden
oder auch im Vergehen und etwan im Uebergange zu einer
höheren Bildung begriffen sein kann, immer als ein Actives,
Lebendig-Veränderliches aufgefasst zu werden fordernd. —
Demnach wird hier von der Essentia des Menschen, nicht von
einer Abstraction, sondern von dem concreten Inbegriff der
gesammten Menschheit, als dem Allgemeinst-Wirklichen dieser
Art, ausgegangen; und demnächst fortgeschritten, etwa durch
die Essentia der Race, des Volkes, des Stammes und engerer
Verbände, endlich zu dem einzelnen Individuo, gleichsam dem
Centro dieser vielen concentrischen Kreise, hinabgestiegen. Die-
ses ist um so vollkommener erklärt, je mehr sich verengernde
Kreislinien die Brücke zu ihm hinüber schlagen. Die in-
tuitive und ganz mentale Erkenntniss jedes solchen Ganzen
kann aber mit Fug erleichtert und versinnlicht werden durch
die Vorstellung von Typen, deren jeder die Merkmale aller
zu dieser Gruppe gehörigen Exemplare vor ihrer Diffe-
renzirung zu enthalten gedacht werde; also sowohl vollkom-
mener als sie — nämlich durch die Anlagen und Kräfte,
welche in ihnen durch Nichtgebrauch verkümmert sind —
als unvollkommener: durch diejenigen, so in ihnen besonders
sich entwickelt haben. Das sinnliche aber construirte Bild
eines solchen typischen Exemplars und seine Beschreibung
vertreten also die intellectuelle Idee der realen Essenz jenes
metempirischen Ganzen, für die Theorie. Im Leben aber
kann sich die Fülle des Geistes und der Kraft eines sol-
chen Ganzen, in Bezug auf seine Theile, nur durch den
natürlichen Congress der jedesmal lebenden wirklichen
Leiber in ihrer Gesammtheit ursprünglich und wirklich
darstellen; demnächst aber auch durch eine erlesene Schaar

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[200/0236] werden, wenn er nicht zugleich, während seiner Dauer, dieses Leben und dieser Zweck selber wäre. Sie — die Theile — sind gleich, insofern sie an dem Ganzen Antheil haben; verschieden und mannigfach, insofern als jeder sich selber ausdrückt und seine eigenthümliche Thätigkeit hat. Und auf ähnliche Weise verhalten sich zu dem Realbegriff, d. i. der Gattung, die in ihr enthaltenen Gruppen und In- dividuen, und wiederum die Individuen zu jeder sie um- fassenden wirklichen Gruppe, dergleichen erst im Werden oder auch im Vergehen und etwan im Uebergange zu einer höheren Bildung begriffen sein kann, immer als ein Actives, Lebendig-Veränderliches aufgefasst zu werden fordernd. — Demnach wird hier von der Essentia des Menschen, nicht von einer Abstraction, sondern von dem concreten Inbegriff der gesammten Menschheit, als dem Allgemeinst-Wirklichen dieser Art, ausgegangen; und demnächst fortgeschritten, etwa durch die Essentia der Race, des Volkes, des Stammes und engerer Verbände, endlich zu dem einzelnen Individuo, gleichsam dem Centro dieser vielen concentrischen Kreise, hinabgestiegen. Die- ses ist um so vollkommener erklärt, je mehr sich verengernde Kreislinien die Brücke zu ihm hinüber schlagen. Die in- tuitive und ganz mentale Erkenntniss jedes solchen Ganzen kann aber mit Fug erleichtert und versinnlicht werden durch die Vorstellung von Typen, deren jeder die Merkmale aller zu dieser Gruppe gehörigen Exemplare vor ihrer Diffe- renzirung zu enthalten gedacht werde; also sowohl vollkom- mener als sie — nämlich durch die Anlagen und Kräfte, welche in ihnen durch Nichtgebrauch verkümmert sind — als unvollkommener: durch diejenigen, so in ihnen besonders sich entwickelt haben. Das sinnliche aber construirte Bild eines solchen typischen Exemplars und seine Beschreibung vertreten also die intellectuelle Idee der realen Essenz jenes metempirischen Ganzen, für die Theorie. Im Leben aber kann sich die Fülle des Geistes und der Kraft eines sol- chen Ganzen, in Bezug auf seine Theile, nur durch den natürlichen Congress der jedesmal lebenden wirklichen Leiber in ihrer Gesammtheit ursprünglich und wirklich darstellen; demnächst aber auch durch eine erlesene Schaar

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Zitationshilfe: Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/236>, abgerufen am 25.04.2024.