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Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887.

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regelmässigen Verlaufe -- Gebrauch durch Gemeinschaft
oder durch den einzelnen Menschen. Der natürliche Ge-
brauch, welcher sich auf den Gegenstand als solchen be-
zieht, ist entweder Abnutzung oder Erhaltung zum Behuf
zukünftigen Gebrauches oder fernerer Production. In jedem
Falle ist er eine vollkommenere Aneignung, eine Verinne-
rung
oder Assimilation: auch wenn etwa das kostbare
Metall in den Schoos der Erde als Schatz versenkt wird;
sofern nämlich die Erde selber das organische Eigenthum
der Gemeinschaft ist. Entgegengesetzt aber der Gebrauch
durch Veräusserung, in Wahrheit ein Nichtgebrauch.
Berühmt ist die Stelle des classischen Autors, welche diese
Unterscheidung trifft. "Zum Beispiel des Schuhes ist der
eigentliche Gebrauch die Beschuhung, der andere die Ver-
äusserung. Denn auch wer von dem, der des Schuhes be-
darf, Geld oder Nahrung dagegen sich eintauscht, gebraucht
den Schuh als Schuh, aber nicht im eigentlichen Gebrauche;
denn nicht des Tausches wegen ist er geworden". Tausch
ist anderseits der einzige vollkommen willkürliche Gebrauch.
Er ist selber der adäquate Ausdruck des einfachen Will-
kür-Actes, die Handlung mit Bedacht. Er setzt daher das
vergleichende, rechnende Individuum voraus, und setzt je-
doch nichts voraus als dieses allein, nicht mit einem an-
deren, sondern ihm gegenüber. Wo Mehrere zusammen das
Subject auf einer Seite sind, da müssen sie gedacht werden
als eine beschlussfähige Versammlung und also gleich der
natürlichen Person. Als zu veräussernder Gegenstand oder
Tauschwerth ist die Sache eine Waare. Die Waare ist für
ihren Eigenthümer nichts als Mittel, andere Waaren zu er-
werben. Durch diese wesentliche Eigenschaft sind alle
Waaren als solche gleich, und werden ihre Unterschiede auf
die Quantität eingeschränkt. Den Ausdruck dieser Gleich-
heit haben sie als Geld. Alle Waaren sind potentielles
Geld -- Kraft, Geld zu erwerben. Geld ist die Potenz
aller Waaren -- Kraft, irgendwelche Waaren zu erwerben.
Daher ist Geld die als Sache begriffene Willkürsphäre über-
haupt Auch die einzelne Handlung, welche aus der Frei-
heit ausscheiden und Gegenstand eines Contractes, mithin
einer Obligation werden kann, hat als solche Tauschwerth

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regelmässigen Verlaufe — Gebrauch durch Gemeinschaft
oder durch den einzelnen Menschen. Der natürliche Ge-
brauch, welcher sich auf den Gegenstand als solchen be-
zieht, ist entweder Abnutzung oder Erhaltung zum Behuf
zukünftigen Gebrauches oder fernerer Production. In jedem
Falle ist er eine vollkommenere Aneignung, eine Verinne-
rung
oder Assimilation: auch wenn etwa das kostbare
Metall in den Schoos der Erde als Schatz versenkt wird;
sofern nämlich die Erde selber das organische Eigenthum
der Gemeinschaft ist. Entgegengesetzt aber der Gebrauch
durch Veräusserung, in Wahrheit ein Nichtgebrauch.
Berühmt ist die Stelle des classischen Autors, welche diese
Unterscheidung trifft. »Zum Beispiel des Schuhes ist der
eigentliche Gebrauch die Beschuhung, der andere die Ver-
äusserung. Denn auch wer von dem, der des Schuhes be-
darf, Geld oder Nahrung dagegen sich eintauscht, gebraucht
den Schuh als Schuh, aber nicht im eigentlichen Gebrauche;
denn nicht des Tausches wegen ist er geworden«. Tausch
ist anderseits der einzige vollkommen willkürliche Gebrauch.
Er ist selber der adäquate Ausdruck des einfachen Will-
kür-Actes, die Handlung mit Bedacht. Er setzt daher das
vergleichende, rechnende Individuum voraus, und setzt je-
doch nichts voraus als dieses allein, nicht mit einem an-
deren, sondern ihm gegenüber. Wo Mehrere zusammen das
Subject auf einer Seite sind, da müssen sie gedacht werden
als eine beschlussfähige Versammlung und also gleich der
natürlichen Person. Als zu veräussernder Gegenstand oder
Tauschwerth ist die Sache eine Waare. Die Waare ist für
ihren Eigenthümer nichts als Mittel, andere Waaren zu er-
werben. Durch diese wesentliche Eigenschaft sind alle
Waaren als solche gleich, und werden ihre Unterschiede auf
die Quantität eingeschränkt. Den Ausdruck dieser Gleich-
heit haben sie als Geld. Alle Waaren sind potentielles
Geld — Kraft, Geld zu erwerben. Geld ist die Potenz
aller Waaren — Kraft, irgendwelche Waaren zu erwerben.
Daher ist Geld die als Sache begriffene Willkürsphäre über-
haupt Auch die einzelne Handlung, welche aus der Frei-
heit ausscheiden und Gegenstand eines Contractes, mithin
einer Obligation werden kann, hat als solche Tauschwerth

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[211/0247] regelmässigen Verlaufe — Gebrauch durch Gemeinschaft oder durch den einzelnen Menschen. Der natürliche Ge- brauch, welcher sich auf den Gegenstand als solchen be- zieht, ist entweder Abnutzung oder Erhaltung zum Behuf zukünftigen Gebrauches oder fernerer Production. In jedem Falle ist er eine vollkommenere Aneignung, eine Verinne- rung oder Assimilation: auch wenn etwa das kostbare Metall in den Schoos der Erde als Schatz versenkt wird; sofern nämlich die Erde selber das organische Eigenthum der Gemeinschaft ist. Entgegengesetzt aber der Gebrauch durch Veräusserung, in Wahrheit ein Nichtgebrauch. Berühmt ist die Stelle des classischen Autors, welche diese Unterscheidung trifft. »Zum Beispiel des Schuhes ist der eigentliche Gebrauch die Beschuhung, der andere die Ver- äusserung. Denn auch wer von dem, der des Schuhes be- darf, Geld oder Nahrung dagegen sich eintauscht, gebraucht den Schuh als Schuh, aber nicht im eigentlichen Gebrauche; denn nicht des Tausches wegen ist er geworden«. Tausch ist anderseits der einzige vollkommen willkürliche Gebrauch. Er ist selber der adäquate Ausdruck des einfachen Will- kür-Actes, die Handlung mit Bedacht. Er setzt daher das vergleichende, rechnende Individuum voraus, und setzt je- doch nichts voraus als dieses allein, nicht mit einem an- deren, sondern ihm gegenüber. Wo Mehrere zusammen das Subject auf einer Seite sind, da müssen sie gedacht werden als eine beschlussfähige Versammlung und also gleich der natürlichen Person. Als zu veräussernder Gegenstand oder Tauschwerth ist die Sache eine Waare. Die Waare ist für ihren Eigenthümer nichts als Mittel, andere Waaren zu er- werben. Durch diese wesentliche Eigenschaft sind alle Waaren als solche gleich, und werden ihre Unterschiede auf die Quantität eingeschränkt. Den Ausdruck dieser Gleich- heit haben sie als Geld. Alle Waaren sind potentielles Geld — Kraft, Geld zu erwerben. Geld ist die Potenz aller Waaren — Kraft, irgendwelche Waaren zu erwerben. Daher ist Geld die als Sache begriffene Willkürsphäre über- haupt Auch die einzelne Handlung, welche aus der Frei- heit ausscheiden und Gegenstand eines Contractes, mithin einer Obligation werden kann, hat als solche Tauschwerth 14*

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Zitationshilfe: Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/247>, abgerufen am 25.04.2024.