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Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887.

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und also die einfache und wissenschaftlich erste ist. So
gut als von Natur werthlose Dinge: Stücke Papiers, können
aber auch die Subjecte aller Werthe und Werthbestimmungen
durch Convention zu Gegenständen des Vermögens und
marktfähig gemacht werden, und in der That sind mensch-
liche Leiber natürlichere Waaren als menschliche Arbeits-
kräfte; wenn auch nur diese, und jene nicht, eigene Waaren,
von ihrem natürlichen Eigenthümer feilgehalten, sein können.
Hingegen entspricht diese absolute Knechtschaft ebensowenig
als die absolute Freiheit der Person dem Wesen einer Ge-
meinschaft
. Vielmehr ist Knechtschaft solches Rechtes
in erster Linie eine Art der Zugehörigkeit zu ihrem Ganzen,
z. B. zum Hause, wenn auch mehr eine passive, gleich den
Besitzstücken, als eine active, gleich den Selbstträgern seines
Lebens; wirklich in einer mittleren Stellung zwischen bei-
den und zum wenigsten mit einer Möglichkeit der Theil-
nahme an dem gemeinschaftlichen Frieden und Rechte, durch
Gewohnheit und aufmerksame Treue besondere Gerechtsame
zu erwerben fähig. Dieser concrete Begriff ist derjenige
einer Cultur, welche durch Ackerbau und Arbeit, anstatt
durch Handel und Wucher beherrscht wird. Nach dem Ur-
bilde der häuslichen Verhältnisse werden alle Formen der
Abhängigkeit und Dienstbarkeit gestaltet und gedacht. Und
ihnen allen steht eine Art von patriarchalischer Würde und
Gewalt gegenüber. Das Amt des Herrschers hat einen
zwieschlächtigen Charakter. Entweder ihm liegt hauptsäch-
lich die Sorge für seine Unterthanen ob: Schutz, Füh-
rung, Unterweisung. Hier sind sie durchaus gegen ihn die
Geringeren (Inferiores), und obgleich ihr Wohl sicherlich
ebensosehr ihr eigener Wunsch und Wille ist als der seine,
so ist doch die Form des Befehles die angemessene, wo-
durch er ihren Willen wie zu seinem Besten bewegt, denn
sie werden nur als ein Stück oder ein Glied von ihm em-
pfunden. Oder aber es ist allerdings und zuvörderst
seine eigene Sache, welcher er sich widmet; er ist der
Haupturheber und Vorsteher eines Werkes, wozu er der
Hülfe bedarf. Alsdann nimmt er, wenn es möglich ist,
seines Gleichen zu sich, wenn auch zugleich unter seine
Hut und Abhängigkeit sie stellend, und hier ist die Bitte

und also die einfache und wissenschaftlich erste ist. So
gut als von Natur werthlose Dinge: Stücke Papiers, können
aber auch die Subjecte aller Werthe und Werthbestimmungen
durch Convention zu Gegenständen des Vermögens und
marktfähig gemacht werden, und in der That sind mensch-
liche Leiber natürlichere Waaren als menschliche Arbeits-
kräfte; wenn auch nur diese, und jene nicht, eigene Waaren,
von ihrem natürlichen Eigenthümer feilgehalten, sein können.
Hingegen entspricht diese absolute Knechtschaft ebensowenig
als die absolute Freiheit der Person dem Wesen einer Ge-
meinschaft
. Vielmehr ist Knechtschaft solches Rechtes
in erster Linie eine Art der Zugehörigkeit zu ihrem Ganzen,
z. B. zum Hause, wenn auch mehr eine passive, gleich den
Besitzstücken, als eine active, gleich den Selbstträgern seines
Lebens; wirklich in einer mittleren Stellung zwischen bei-
den und zum wenigsten mit einer Möglichkeit der Theil-
nahme an dem gemeinschaftlichen Frieden und Rechte, durch
Gewohnheit und aufmerksame Treue besondere Gerechtsame
zu erwerben fähig. Dieser concrete Begriff ist derjenige
einer Cultur, welche durch Ackerbau und Arbeit, anstatt
durch Handel und Wucher beherrscht wird. Nach dem Ur-
bilde der häuslichen Verhältnisse werden alle Formen der
Abhängigkeit und Dienstbarkeit gestaltet und gedacht. Und
ihnen allen steht eine Art von patriarchalischer Würde und
Gewalt gegenüber. Das Amt des Herrschers hat einen
zwieschlächtigen Charakter. Entweder ihm liegt hauptsäch-
lich die Sorge für seine Unterthanen ob: Schutz, Füh-
rung, Unterweisung. Hier sind sie durchaus gegen ihn die
Geringeren (Inferiores), und obgleich ihr Wohl sicherlich
ebensosehr ihr eigener Wunsch und Wille ist als der seine,
so ist doch die Form des Befehles die angemessene, wo-
durch er ihren Willen wie zu seinem Besten bewegt, denn
sie werden nur als ein Stück oder ein Glied von ihm em-
pfunden. Oder aber es ist allerdings und zuvörderst
seine eigene Sache, welcher er sich widmet; er ist der
Haupturheber und Vorsteher eines Werkes, wozu er der
Hülfe bedarf. Alsdann nimmt er, wenn es möglich ist,
seines Gleichen zu sich, wenn auch zugleich unter seine
Hut und Abhängigkeit sie stellend, und hier ist die Bitte

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[216/0252] und also die einfache und wissenschaftlich erste ist. So gut als von Natur werthlose Dinge: Stücke Papiers, können aber auch die Subjecte aller Werthe und Werthbestimmungen durch Convention zu Gegenständen des Vermögens und marktfähig gemacht werden, und in der That sind mensch- liche Leiber natürlichere Waaren als menschliche Arbeits- kräfte; wenn auch nur diese, und jene nicht, eigene Waaren, von ihrem natürlichen Eigenthümer feilgehalten, sein können. Hingegen entspricht diese absolute Knechtschaft ebensowenig als die absolute Freiheit der Person dem Wesen einer Ge- meinschaft. Vielmehr ist Knechtschaft solches Rechtes in erster Linie eine Art der Zugehörigkeit zu ihrem Ganzen, z. B. zum Hause, wenn auch mehr eine passive, gleich den Besitzstücken, als eine active, gleich den Selbstträgern seines Lebens; wirklich in einer mittleren Stellung zwischen bei- den und zum wenigsten mit einer Möglichkeit der Theil- nahme an dem gemeinschaftlichen Frieden und Rechte, durch Gewohnheit und aufmerksame Treue besondere Gerechtsame zu erwerben fähig. Dieser concrete Begriff ist derjenige einer Cultur, welche durch Ackerbau und Arbeit, anstatt durch Handel und Wucher beherrscht wird. Nach dem Ur- bilde der häuslichen Verhältnisse werden alle Formen der Abhängigkeit und Dienstbarkeit gestaltet und gedacht. Und ihnen allen steht eine Art von patriarchalischer Würde und Gewalt gegenüber. Das Amt des Herrschers hat einen zwieschlächtigen Charakter. Entweder ihm liegt hauptsäch- lich die Sorge für seine Unterthanen ob: Schutz, Füh- rung, Unterweisung. Hier sind sie durchaus gegen ihn die Geringeren (Inferiores), und obgleich ihr Wohl sicherlich ebensosehr ihr eigener Wunsch und Wille ist als der seine, so ist doch die Form des Befehles die angemessene, wo- durch er ihren Willen wie zu seinem Besten bewegt, denn sie werden nur als ein Stück oder ein Glied von ihm em- pfunden. Oder aber es ist allerdings und zuvörderst seine eigene Sache, welcher er sich widmet; er ist der Haupturheber und Vorsteher eines Werkes, wozu er der Hülfe bedarf. Alsdann nimmt er, wenn es möglich ist, seines Gleichen zu sich, wenn auch zugleich unter seine Hut und Abhängigkeit sie stellend, und hier ist die Bitte

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Zitationshilfe: Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/252>, abgerufen am 29.03.2024.