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Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887.

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Ueberschuss des Genusses für die Stärkeren ist zum Theile
das Gefühl der Ueberlegenheit selbst, der Macht und des
Befehlens, während hingegen das Beschützt-, Geleitet-
werden und Gehorchenmüssen, also das Gefühl der
Inferiorität, immer mit einiger Unlust, nach Art eines
Druckes und Zwanges, empfunden wird, auch wenn es
durch Liebe, Gewohnheit, Dankbarkeit noch so sehr er-
leichtert sein mag. Das Verhältniss der Gewichte, mit
denen die Willen auf einander wirken, ist aber noch deut-
licher durch die folgende Erwägung: aller Ueberlegenheit
hängt die Gefahr des Hochmuths und der Grausamkeit
und somit einer feindseligen, nöthigenden Behandlung
an, wenn nicht mit ihr auch die Tendenz und Nei-
gung, dem in die Hand gegebenen Wesen Gutes zu thun,
grösser ist oder wächst. Und von Natur ist dem wirklich
so: grössere Kraft überhaupt ist auch grössere Kraft, Hülfe
zu leisten; wenn dazu ein Wille überhaupt vorhanden ist,
so ist er auch durch die empfundene Kraft (weil diese selber
Wille ist) um so grösser und entschiedener: und so gibt es,
zumal innerhalb dieser leiblich-organischen Beziehungen,
eine instinctive und naive Zärtlichkeit des Starken zu
den Schwachen, welche, im Allgemeinen, von der Zärtlichkeit
der Mutter -- da ja diese Triebe in irgendwelchem Masse
auch auf das männliche Geschlecht vererbt werden -- ihren
Ursprung und darin ihr Vorbild zu haben gedacht werde.

§ 5.

Eine überlegene Kraft, welche zum Wohle des Unter-
gebenen oder seinem Willen gemäss ausgeübt, daher durch
diesen bejaht wird, nenne ich Würde oder Auctorität; und
so mögen ihrer drei Arten: die Würde des Alters, die Würde
der Stärke und die Würde der Weisheit oder des Geistes
von einander unterschieden werden. Welche wiederum sich
vereinigt darstellen in der Würde, welche dem Vater zu-
kömmt, wie er schützend, fördernd, leitend, über den Seinen
steht. Das Gefährliche solcher Macht erzeugt bei den
Schwächeren Fürcht, und diese würde allein fast nur
Verneinung, Ablehnung bedeuten (ausser sofern ihr Be-
wunderung beigemischt ist), das Wohlthätige aber und die

Ueberschuss des Genusses für die Stärkeren ist zum Theile
das Gefühl der Ueberlegenheit selbst, der Macht und des
Befehlens, während hingegen das Beschützt-, Geleitet-
werden und Gehorchenmüssen, also das Gefühl der
Inferiorität, immer mit einiger Unlust, nach Art eines
Druckes und Zwanges, empfunden wird, auch wenn es
durch Liebe, Gewohnheit, Dankbarkeit noch so sehr er-
leichtert sein mag. Das Verhältniss der Gewichte, mit
denen die Willen auf einander wirken, ist aber noch deut-
licher durch die folgende Erwägung: aller Ueberlegenheit
hängt die Gefahr des Hochmuths und der Grausamkeit
und somit einer feindseligen, nöthigenden Behandlung
an, wenn nicht mit ihr auch die Tendenz und Nei-
gung, dem in die Hand gegebenen Wesen Gutes zu thun,
grösser ist oder wächst. Und von Natur ist dem wirklich
so: grössere Kraft überhaupt ist auch grössere Kraft, Hülfe
zu leisten; wenn dazu ein Wille überhaupt vorhanden ist,
so ist er auch durch die empfundene Kraft (weil diese selber
Wille ist) um so grösser und entschiedener: und so gibt es,
zumal innerhalb dieser leiblich-organischen Beziehungen,
eine instinctive und naive Zärtlichkeit des Starken zu
den Schwachen, welche, im Allgemeinen, von der Zärtlichkeit
der Mutter — da ja diese Triebe in irgendwelchem Masse
auch auf das männliche Geschlecht vererbt werden — ihren
Ursprung und darin ihr Vorbild zu haben gedacht werde.

§ 5.

Eine überlegene Kraft, welche zum Wohle des Unter-
gebenen oder seinem Willen gemäss ausgeübt, daher durch
diesen bejaht wird, nenne ich Würde oder Auctorität; und
so mögen ihrer drei Arten: die Würde des Alters, die Würde
der Stärke und die Würde der Weisheit oder des Geistes
von einander unterschieden werden. Welche wiederum sich
vereinigt darstellen in der Würde, welche dem Vater zu-
kömmt, wie er schützend, fördernd, leitend, über den Seinen
steht. Das Gefährliche solcher Macht erzeugt bei den
Schwächeren Fürcht, und diese würde allein fast nur
Verneinung, Ablehnung bedeuten (ausser sofern ihr Be-
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[15/0051] Ueberschuss des Genusses für die Stärkeren ist zum Theile das Gefühl der Ueberlegenheit selbst, der Macht und des Befehlens, während hingegen das Beschützt-, Geleitet- werden und Gehorchenmüssen, also das Gefühl der Inferiorität, immer mit einiger Unlust, nach Art eines Druckes und Zwanges, empfunden wird, auch wenn es durch Liebe, Gewohnheit, Dankbarkeit noch so sehr er- leichtert sein mag. Das Verhältniss der Gewichte, mit denen die Willen auf einander wirken, ist aber noch deut- licher durch die folgende Erwägung: aller Ueberlegenheit hängt die Gefahr des Hochmuths und der Grausamkeit und somit einer feindseligen, nöthigenden Behandlung an, wenn nicht mit ihr auch die Tendenz und Nei- gung, dem in die Hand gegebenen Wesen Gutes zu thun, grösser ist oder wächst. Und von Natur ist dem wirklich so: grössere Kraft überhaupt ist auch grössere Kraft, Hülfe zu leisten; wenn dazu ein Wille überhaupt vorhanden ist, so ist er auch durch die empfundene Kraft (weil diese selber Wille ist) um so grösser und entschiedener: und so gibt es, zumal innerhalb dieser leiblich-organischen Beziehungen, eine instinctive und naive Zärtlichkeit des Starken zu den Schwachen, welche, im Allgemeinen, von der Zärtlichkeit der Mutter — da ja diese Triebe in irgendwelchem Masse auch auf das männliche Geschlecht vererbt werden — ihren Ursprung und darin ihr Vorbild zu haben gedacht werde. § 5. Eine überlegene Kraft, welche zum Wohle des Unter- gebenen oder seinem Willen gemäss ausgeübt, daher durch diesen bejaht wird, nenne ich Würde oder Auctorität; und so mögen ihrer drei Arten: die Würde des Alters, die Würde der Stärke und die Würde der Weisheit oder des Geistes von einander unterschieden werden. Welche wiederum sich vereinigt darstellen in der Würde, welche dem Vater zu- kömmt, wie er schützend, fördernd, leitend, über den Seinen steht. Das Gefährliche solcher Macht erzeugt bei den Schwächeren Fürcht, und diese würde allein fast nur Verneinung, Ablehnung bedeuten (ausser sofern ihr Be- wunderung beigemischt ist), das Wohlthätige aber und die

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Zitationshilfe: Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/51>, abgerufen am 29.03.2024.