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Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887.

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werk zuerst für das Gesammtbedürfniss da: als Baukunst
für Mauern, Thürme und Thore, für Rathhäuser und Gottes-
häuser der Stadt; als Plastik und Malerei, um solche Häuser
aussen und innen zu schmücken, das Gedächtniss der Gott-
heiten und hervorragender Menschen durch Bildnisse zu
erhalten und zu pflegen, überhaupt aber das Würdige und
Ewige auch den Sinnen nahe zu bringen. Der enge Zu-
sammenhang, insbesondere von Kunst und Religion (die
Kunst beruht, wie Goethe gesagt hat, auf einer Art von
religiösem Sinn) ist schon im Leben des Hauses begründet.
Aller ursprünglicher Kultus ist familienhaft, daher als häus-
licher Kultus, wo Herd und Altar in ihren Anfängen eines
und dasselbe sind, am meisten kräftig gestaltet; und der
Kultus selbst ist eine Kunst. Was für die Abgeschiedenen
und Verehrten gethan wird, geschieht aus feierlicher, ernster
Stimmung, auf eine besonnene abgemessene Weise, dazu
angethan, dieselbe Stimmung zu erhalten und folglich her-
vorzurufen. Hier wird auf das Gefällige in den Verhält-
nissen der Reden, der Handlungen, der Werke, und das ist,
was in sich selber ein Maass -- Rhythmus und Harmonie --
hat, aber auch dem ruhigen Sinne des Geniessenden, als
ob er es aus sich selber erzeugt hätte, gemäss ist, mit
Strenge geachtet; das Misfällige, Maasslose, dem Herkommen
Widrige, verabscheut und ausgestossen. Denn freilich kann
das Alte und Gewohnte, aber auch dieses allein, das Streben
nach Schönheit im Kultus hemmen; und doch nur, weil es
für die Gewohnheit und das ehrfürchtig-fromme Gemüth
eine eigenthümliche Schönheit und Heiligkeit an sich trägt.
Im städtischen Leben gibt aber die Anhänglichkeit an das
Hergebrachte nach; die Lust am Gestalten überwiegt.
In demselben Verhältnisse treten die redenden Künste gegen
die bildenden zurück; oder verbinden und assimiliren sich
die redenden den bildenden. Religion, in ihren Anfängen
der Betrachtung des Todes vorzüglich hingegeben, hat im
Dorfleben als Verehrung der Naturmächte, frohere Beziehung
auf das Leben gewonnen. In ungeheuren Phantasieen thut
sich das Jauchzen über ewig neues Werden kund. Die
Dämonen, welche als Vorfahren nur beruhigte Gespenster
sind, von unterirdischer Existenz, halten als Götter ihre
Auferstehung und werden in den Himmel erhoben. Die Stadt

werk zuerst für das Gesammtbedürfniss da: als Baukunst
für Mauern, Thürme und Thore, für Rathhäuser und Gottes-
häuser der Stadt; als Plastik und Malerei, um solche Häuser
aussen und innen zu schmücken, das Gedächtniss der Gott-
heiten und hervorragender Menschen durch Bildnisse zu
erhalten und zu pflegen, überhaupt aber das Würdige und
Ewige auch den Sinnen nahe zu bringen. Der enge Zu-
sammenhang, insbesondere von Kunst und Religion (die
Kunst beruht, wie Goethe gesagt hat, auf einer Art von
religiösem Sinn) ist schon im Leben des Hauses begründet.
Aller ursprünglicher Kultus ist familienhaft, daher als häus-
licher Kultus, wo Herd und Altar in ihren Anfängen eines
und dasselbe sind, am meisten kräftig gestaltet; und der
Kultus selbst ist eine Kunst. Was für die Abgeschiedenen
und Verehrten gethan wird, geschieht aus feierlicher, ernster
Stimmung, auf eine besonnene abgemessene Weise, dazu
angethan, dieselbe Stimmung zu erhalten und folglich her-
vorzurufen. Hier wird auf das Gefällige in den Verhält-
nissen der Reden, der Handlungen, der Werke, und das ist,
was in sich selber ein Maass — Rhythmus und Harmonie —
hat, aber auch dem ruhigen Sinne des Geniessenden, als
ob er es aus sich selber erzeugt hätte, gemäss ist, mit
Strenge geachtet; das Misfällige, Maasslose, dem Herkommen
Widrige, verabscheut und ausgestossen. Denn freilich kann
das Alte und Gewohnte, aber auch dieses allein, das Streben
nach Schönheit im Kultus hemmen; und doch nur, weil es
für die Gewohnheit und das ehrfürchtig-fromme Gemüth
eine eigenthümliche Schönheit und Heiligkeit an sich trägt.
Im städtischen Leben gibt aber die Anhänglichkeit an das
Hergebrachte nach; die Lust am Gestalten überwiegt.
In demselben Verhältnisse treten die redenden Künste gegen
die bildenden zurück; oder verbinden und assimiliren sich
die redenden den bildenden. Religion, in ihren Anfängen
der Betrachtung des Todes vorzüglich hingegeben, hat im
Dorfleben als Verehrung der Naturmächte, frohere Beziehung
auf das Leben gewonnen. In ungeheuren Phantasieen thut
sich das Jauchzen über ewig neues Werden kund. Die
Dämonen, welche als Vorfahren nur beruhigte Gespenster
sind, von unterirdischer Existenz, halten als Götter ihre
Auferstehung und werden in den Himmel erhoben. Die Stadt

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[43/0079] werk zuerst für das Gesammtbedürfniss da: als Baukunst für Mauern, Thürme und Thore, für Rathhäuser und Gottes- häuser der Stadt; als Plastik und Malerei, um solche Häuser aussen und innen zu schmücken, das Gedächtniss der Gott- heiten und hervorragender Menschen durch Bildnisse zu erhalten und zu pflegen, überhaupt aber das Würdige und Ewige auch den Sinnen nahe zu bringen. Der enge Zu- sammenhang, insbesondere von Kunst und Religion (die Kunst beruht, wie Goethe gesagt hat, auf einer Art von religiösem Sinn) ist schon im Leben des Hauses begründet. Aller ursprünglicher Kultus ist familienhaft, daher als häus- licher Kultus, wo Herd und Altar in ihren Anfängen eines und dasselbe sind, am meisten kräftig gestaltet; und der Kultus selbst ist eine Kunst. Was für die Abgeschiedenen und Verehrten gethan wird, geschieht aus feierlicher, ernster Stimmung, auf eine besonnene abgemessene Weise, dazu angethan, dieselbe Stimmung zu erhalten und folglich her- vorzurufen. Hier wird auf das Gefällige in den Verhält- nissen der Reden, der Handlungen, der Werke, und das ist, was in sich selber ein Maass — Rhythmus und Harmonie — hat, aber auch dem ruhigen Sinne des Geniessenden, als ob er es aus sich selber erzeugt hätte, gemäss ist, mit Strenge geachtet; das Misfällige, Maasslose, dem Herkommen Widrige, verabscheut und ausgestossen. Denn freilich kann das Alte und Gewohnte, aber auch dieses allein, das Streben nach Schönheit im Kultus hemmen; und doch nur, weil es für die Gewohnheit und das ehrfürchtig-fromme Gemüth eine eigenthümliche Schönheit und Heiligkeit an sich trägt. Im städtischen Leben gibt aber die Anhänglichkeit an das Hergebrachte nach; die Lust am Gestalten überwiegt. In demselben Verhältnisse treten die redenden Künste gegen die bildenden zurück; oder verbinden und assimiliren sich die redenden den bildenden. Religion, in ihren Anfängen der Betrachtung des Todes vorzüglich hingegeben, hat im Dorfleben als Verehrung der Naturmächte, frohere Beziehung auf das Leben gewonnen. In ungeheuren Phantasieen thut sich das Jauchzen über ewig neues Werden kund. Die Dämonen, welche als Vorfahren nur beruhigte Gespenster sind, von unterirdischer Existenz, halten als Götter ihre Auferstehung und werden in den Himmel erhoben. Die Stadt

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Zitationshilfe: Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/79>, abgerufen am 18.04.2024.