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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 3. Geistige Strömungen der ersten Friedensjahre.
das Schwert mit dem Pfluge und dem Hobel vertauschten, brannte die
Noth auf den Nägeln; sie sorgten, wie sie sich nur das arme Leben fristen,
wie sie nur wieder Hütten bauen sollten auf dem ausgeplünderten Schlacht-
felde des Völkerkrieges. Deutschland war wieder das ärmste von allen
Ländern Westeuropas; in manchen Strichen der Mark Brandenburg be-
gann zum fünften male das schwere Ringen um die ersten Anfänge bür-
gerlichen Wohlstandes. Mit ruhigem Gottvertrauen gingen die kleinen
Leute wieder an ihr schweres Tagewerk und trugen geduldig das Loos der
Entbehrung, das ihnen als Lohn so vieler Siege zufiel. Jener Geist der
Unruhe und Verwilderung, der gemeinhin nach großen Kämpfen noch eine
Zeit lang im Gemüthe der Massen nachzuzittern pflegt, zeigte sich nirgends
unter den frommen und genügsamen Menschen, die diesen heiligen Krieg
geschlagen hatten. Aber in dem Gedränge der wirthschaftlichen Sorgen
blieb auch kein Raum für die politische Leidenschaft. Sogar die Erinne-
rung an alle die Wunder der jüngsten drei Jahre fand selten lauten Aus-
druck, obwohl sie in den treuen Herzen still fortlebte. Zwei, dreimal noch
flammten am Abend des achtzehnten Oktobers die Freudenfeuer auf den
Bergen; dann verstummte die Feier, hier vor den Verboten der Polizei,
dort vor der Gleichgiltigkeit der Menge. Auffällig gering blieb in diesem
schreiblustigen Geschlechte die Zahl der Volksbücher und Holzschnitte, welche
der Nation von der schönsten Zeit ihrer neuen Geschichte erzählten. Ein
gespreiztes Bild, "die Rückkehr des jungen Helden", sah man zuweilen
an den Wänden guter Bürgerhäuser, die ihre Söhne unter die freiwilligen
Jäger geschickt hatten; auf den Jahrmärkten und in den Dorfschenken
war selbst das Bildniß Blüchers, des volksthümlichen Helden, fast nirgends
zu finden.

Auch unter den Gebildeten waren es im Grunde nur drei scharf
getrennte Kreise, welche sich die gehobene Stimmung, die stolzen vater-
ländischen Hoffnungen der Kriegsjahre noch im Frieden lange bewahrten:
das preußische Offiziercorps, die akademische Jugend, endlich eine mäßige
Anzahl von patriotischen Schriftstellern und Gelehrten, die man jetzt mit
dem neuen spanischen Parteinamen der Liberalen zu bezeichnen anfing.
Die preußischen Offiziere lebten und webten in den Erinnerungen der
Feldzüge; sie blickten mit starkem Selbstgefühl auf den wiederhergestellten
Glanz ihrer Fahnen, mit Unmuth auf den gebrechlichen Bau des deut-
schen Bundes und das traurige Ergebniß der Friedensverhandlungen.
Während des Kampfes hatten sie die kriegerische Kraft des Bürgerthums
achten gelernt, manchen tapferen Kameraden aus den Reihen der Frei-
willigen in ihren Kreis aufgenommen. Nun wurde ihnen durch das neue
Wehrgesetz die Erziehung der gesammten wehrhaften Jugend anvertraut,
sie traten mit allen Klassen des Volkes in Verkehr und bewahrten sich
auch den freien, einst durch Scharnhorst geweckten wissenschaftlichen Sinn;
der Kastenhochmuth der alten Zeit kehrte nur in vereinzelten Rückfällen

II. 3. Geiſtige Strömungen der erſten Friedensjahre.
das Schwert mit dem Pfluge und dem Hobel vertauſchten, brannte die
Noth auf den Nägeln; ſie ſorgten, wie ſie ſich nur das arme Leben friſten,
wie ſie nur wieder Hütten bauen ſollten auf dem ausgeplünderten Schlacht-
felde des Völkerkrieges. Deutſchland war wieder das ärmſte von allen
Ländern Weſteuropas; in manchen Strichen der Mark Brandenburg be-
gann zum fünften male das ſchwere Ringen um die erſten Anfänge bür-
gerlichen Wohlſtandes. Mit ruhigem Gottvertrauen gingen die kleinen
Leute wieder an ihr ſchweres Tagewerk und trugen geduldig das Loos der
Entbehrung, das ihnen als Lohn ſo vieler Siege zufiel. Jener Geiſt der
Unruhe und Verwilderung, der gemeinhin nach großen Kämpfen noch eine
Zeit lang im Gemüthe der Maſſen nachzuzittern pflegt, zeigte ſich nirgends
unter den frommen und genügſamen Menſchen, die dieſen heiligen Krieg
geſchlagen hatten. Aber in dem Gedränge der wirthſchaftlichen Sorgen
blieb auch kein Raum für die politiſche Leidenſchaft. Sogar die Erinne-
rung an alle die Wunder der jüngſten drei Jahre fand ſelten lauten Aus-
druck, obwohl ſie in den treuen Herzen ſtill fortlebte. Zwei, dreimal noch
flammten am Abend des achtzehnten Oktobers die Freudenfeuer auf den
Bergen; dann verſtummte die Feier, hier vor den Verboten der Polizei,
dort vor der Gleichgiltigkeit der Menge. Auffällig gering blieb in dieſem
ſchreibluſtigen Geſchlechte die Zahl der Volksbücher und Holzſchnitte, welche
der Nation von der ſchönſten Zeit ihrer neuen Geſchichte erzählten. Ein
geſpreiztes Bild, „die Rückkehr des jungen Helden“, ſah man zuweilen
an den Wänden guter Bürgerhäuſer, die ihre Söhne unter die freiwilligen
Jäger geſchickt hatten; auf den Jahrmärkten und in den Dorfſchenken
war ſelbſt das Bildniß Blüchers, des volksthümlichen Helden, faſt nirgends
zu finden.

Auch unter den Gebildeten waren es im Grunde nur drei ſcharf
getrennte Kreiſe, welche ſich die gehobene Stimmung, die ſtolzen vater-
ländiſchen Hoffnungen der Kriegsjahre noch im Frieden lange bewahrten:
das preußiſche Offiziercorps, die akademiſche Jugend, endlich eine mäßige
Anzahl von patriotiſchen Schriftſtellern und Gelehrten, die man jetzt mit
dem neuen ſpaniſchen Parteinamen der Liberalen zu bezeichnen anfing.
Die preußiſchen Offiziere lebten und webten in den Erinnerungen der
Feldzüge; ſie blickten mit ſtarkem Selbſtgefühl auf den wiederhergeſtellten
Glanz ihrer Fahnen, mit Unmuth auf den gebrechlichen Bau des deut-
ſchen Bundes und das traurige Ergebniß der Friedensverhandlungen.
Während des Kampfes hatten ſie die kriegeriſche Kraft des Bürgerthums
achten gelernt, manchen tapferen Kameraden aus den Reihen der Frei-
willigen in ihren Kreis aufgenommen. Nun wurde ihnen durch das neue
Wehrgeſetz die Erziehung der geſammten wehrhaften Jugend anvertraut,
ſie traten mit allen Klaſſen des Volkes in Verkehr und bewahrten ſich
auch den freien, einſt durch Scharnhorſt geweckten wiſſenſchaftlichen Sinn;
der Kaſtenhochmuth der alten Zeit kehrte nur in vereinzelten Rückfällen

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[4/0018] II. 3. Geiſtige Strömungen der erſten Friedensjahre. das Schwert mit dem Pfluge und dem Hobel vertauſchten, brannte die Noth auf den Nägeln; ſie ſorgten, wie ſie ſich nur das arme Leben friſten, wie ſie nur wieder Hütten bauen ſollten auf dem ausgeplünderten Schlacht- felde des Völkerkrieges. Deutſchland war wieder das ärmſte von allen Ländern Weſteuropas; in manchen Strichen der Mark Brandenburg be- gann zum fünften male das ſchwere Ringen um die erſten Anfänge bür- gerlichen Wohlſtandes. Mit ruhigem Gottvertrauen gingen die kleinen Leute wieder an ihr ſchweres Tagewerk und trugen geduldig das Loos der Entbehrung, das ihnen als Lohn ſo vieler Siege zufiel. Jener Geiſt der Unruhe und Verwilderung, der gemeinhin nach großen Kämpfen noch eine Zeit lang im Gemüthe der Maſſen nachzuzittern pflegt, zeigte ſich nirgends unter den frommen und genügſamen Menſchen, die dieſen heiligen Krieg geſchlagen hatten. Aber in dem Gedränge der wirthſchaftlichen Sorgen blieb auch kein Raum für die politiſche Leidenſchaft. Sogar die Erinne- rung an alle die Wunder der jüngſten drei Jahre fand ſelten lauten Aus- druck, obwohl ſie in den treuen Herzen ſtill fortlebte. Zwei, dreimal noch flammten am Abend des achtzehnten Oktobers die Freudenfeuer auf den Bergen; dann verſtummte die Feier, hier vor den Verboten der Polizei, dort vor der Gleichgiltigkeit der Menge. Auffällig gering blieb in dieſem ſchreibluſtigen Geſchlechte die Zahl der Volksbücher und Holzſchnitte, welche der Nation von der ſchönſten Zeit ihrer neuen Geſchichte erzählten. Ein geſpreiztes Bild, „die Rückkehr des jungen Helden“, ſah man zuweilen an den Wänden guter Bürgerhäuſer, die ihre Söhne unter die freiwilligen Jäger geſchickt hatten; auf den Jahrmärkten und in den Dorfſchenken war ſelbſt das Bildniß Blüchers, des volksthümlichen Helden, faſt nirgends zu finden. Auch unter den Gebildeten waren es im Grunde nur drei ſcharf getrennte Kreiſe, welche ſich die gehobene Stimmung, die ſtolzen vater- ländiſchen Hoffnungen der Kriegsjahre noch im Frieden lange bewahrten: das preußiſche Offiziercorps, die akademiſche Jugend, endlich eine mäßige Anzahl von patriotiſchen Schriftſtellern und Gelehrten, die man jetzt mit dem neuen ſpaniſchen Parteinamen der Liberalen zu bezeichnen anfing. Die preußiſchen Offiziere lebten und webten in den Erinnerungen der Feldzüge; ſie blickten mit ſtarkem Selbſtgefühl auf den wiederhergeſtellten Glanz ihrer Fahnen, mit Unmuth auf den gebrechlichen Bau des deut- ſchen Bundes und das traurige Ergebniß der Friedensverhandlungen. Während des Kampfes hatten ſie die kriegeriſche Kraft des Bürgerthums achten gelernt, manchen tapferen Kameraden aus den Reihen der Frei- willigen in ihren Kreis aufgenommen. Nun wurde ihnen durch das neue Wehrgeſetz die Erziehung der geſammten wehrhaften Jugend anvertraut, ſie traten mit allen Klaſſen des Volkes in Verkehr und bewahrten ſich auch den freien, einſt durch Scharnhorſt geweckten wiſſenſchaftlichen Sinn; der Kaſtenhochmuth der alten Zeit kehrte nur in vereinzelten Rückfällen

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/18>, abgerufen am 24.04.2024.