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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 9. Die Karlsbader Beschlüsse.
noch benutzt werden sollte.*) Das veröffentlichte Protokoll aber erzählte
von der "einmüthigen" Annahme der Karlsbader Beschlüsse und bestimmte,
daß alle vier Gesetze "sogleich in allen Bundesstaaten in Vollziehung
treten" sollten. Erschütternd war der Eindruck, als die Deutschen plötzlich
erfuhren, daß der Bundestag, der für alle dringenden Anliegen der Nation
immer taub gewesen, die zur Knebelung ihres geistigen Lebens bestimmten
Zwangsgesetze in so würdeloser Hast, mit offenbarer Mißachtung der Vor-
schriften der Bundesakte, angenommen hatte. Die kleinen Höfe selbst
empfanden die Vergewaltigung so lebhaft, daß der preußische Gesandte
seiner Regierung dringend rieth, den Bogen nicht zu überspannen und zu
den Wiener Conferenzen alle Regierungen ohne Ausnahme einzuladen.
Nach vollbrachtem Werke gab der Präsidialgesandte seinen Genossen ein
glänzendes Festmahl. Graf Goltz aber empfing Verzeihung für frühere
Mißgriffe und die warme Anerkennung seines Hofes für die glückliche
Lösung der schwierigen Aufgabe.**)

Unter solchen Anzeichen, mit einer gefälschten Abstimmung, begann
die Herrschaft des Hauses Oesterreich am Deutschen Bundestage. Mit
einer anderen gefälschten Abstimmung, mit der erschlichenen Kriegserklärung
gegen Preußen sollte sie im Jahre 1866 ihr würdiges Ende finden. --


*) Zuerst veröffentlicht im Jahre 1861 in der Schrift von K. L. Aegidi, Aus dem
Jahre 1819.
**) Bernstorff an Goltz, 9. Okt. 1819.

II. 9. Die Karlsbader Beſchlüſſe.
noch benutzt werden ſollte.*) Das veröffentlichte Protokoll aber erzählte
von der „einmüthigen“ Annahme der Karlsbader Beſchlüſſe und beſtimmte,
daß alle vier Geſetze „ſogleich in allen Bundesſtaaten in Vollziehung
treten“ ſollten. Erſchütternd war der Eindruck, als die Deutſchen plötzlich
erfuhren, daß der Bundestag, der für alle dringenden Anliegen der Nation
immer taub geweſen, die zur Knebelung ihres geiſtigen Lebens beſtimmten
Zwangsgeſetze in ſo würdeloſer Haſt, mit offenbarer Mißachtung der Vor-
ſchriften der Bundesakte, angenommen hatte. Die kleinen Höfe ſelbſt
empfanden die Vergewaltigung ſo lebhaft, daß der preußiſche Geſandte
ſeiner Regierung dringend rieth, den Bogen nicht zu überſpannen und zu
den Wiener Conferenzen alle Regierungen ohne Ausnahme einzuladen.
Nach vollbrachtem Werke gab der Präſidialgeſandte ſeinen Genoſſen ein
glänzendes Feſtmahl. Graf Goltz aber empfing Verzeihung für frühere
Mißgriffe und die warme Anerkennung ſeines Hofes für die glückliche
Löſung der ſchwierigen Aufgabe.**)

Unter ſolchen Anzeichen, mit einer gefälſchten Abſtimmung, begann
die Herrſchaft des Hauſes Oeſterreich am Deutſchen Bundestage. Mit
einer anderen gefälſchten Abſtimmung, mit der erſchlichenen Kriegserklärung
gegen Preußen ſollte ſie im Jahre 1866 ihr würdiges Ende finden. —


*) Zuerſt veröffentlicht im Jahre 1861 in der Schrift von K. L. Aegidi, Aus dem
Jahre 1819.
**) Bernſtorff an Goltz, 9. Okt. 1819.
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[572/0586] II. 9. Die Karlsbader Beſchlüſſe. noch benutzt werden ſollte. *) Das veröffentlichte Protokoll aber erzählte von der „einmüthigen“ Annahme der Karlsbader Beſchlüſſe und beſtimmte, daß alle vier Geſetze „ſogleich in allen Bundesſtaaten in Vollziehung treten“ ſollten. Erſchütternd war der Eindruck, als die Deutſchen plötzlich erfuhren, daß der Bundestag, der für alle dringenden Anliegen der Nation immer taub geweſen, die zur Knebelung ihres geiſtigen Lebens beſtimmten Zwangsgeſetze in ſo würdeloſer Haſt, mit offenbarer Mißachtung der Vor- ſchriften der Bundesakte, angenommen hatte. Die kleinen Höfe ſelbſt empfanden die Vergewaltigung ſo lebhaft, daß der preußiſche Geſandte ſeiner Regierung dringend rieth, den Bogen nicht zu überſpannen und zu den Wiener Conferenzen alle Regierungen ohne Ausnahme einzuladen. Nach vollbrachtem Werke gab der Präſidialgeſandte ſeinen Genoſſen ein glänzendes Feſtmahl. Graf Goltz aber empfing Verzeihung für frühere Mißgriffe und die warme Anerkennung ſeines Hofes für die glückliche Löſung der ſchwierigen Aufgabe. **) Unter ſolchen Anzeichen, mit einer gefälſchten Abſtimmung, begann die Herrſchaft des Hauſes Oeſterreich am Deutſchen Bundestage. Mit einer anderen gefälſchten Abſtimmung, mit der erſchlichenen Kriegserklärung gegen Preußen ſollte ſie im Jahre 1866 ihr würdiges Ende finden. — *) Zuerſt veröffentlicht im Jahre 1861 in der Schrift von K. L. Aegidi, Aus dem Jahre 1819. **) Bernſtorff an Goltz, 9. Okt. 1819.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 572. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/586>, abgerufen am 28.03.2024.