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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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E. M. Arndt und Wrede.
angeklopft, erhielt ich endlich aus Breslau durch die Güte des Herrn Archivdirectors
Grünhagen, und gleichzeitig aus Oels mehrere Mittheilungen, welche, im Wesentlichen
übereinstimmend, den Bericht Arndts vollständig widerlegen. Daß der Alte seine so zu-
versichtlich vertheidigte Erzählung nicht einfach aus der Luft gegriffen haben kann, wird
jedem Unbefangenen einleuchten. Wenn irgend wer, so darf doch sicherlich Arndt die
Vermuthung der bona fides für sich in Anspruch nehmen. Man lese nur in Heilmanns
Werke die unglaublich brutalen Briefe, in denen Wrede seine Wuth gegen diesen Teufel,
diesen Narren von Stein ausspricht; ein so maßloser Haß läßt sich aus der politischen
Gegnerschaft der beiden Männer allein kaum erklären. Aber wie ist Arndt zu seinem
Irrthum gelangt? Hat Wrede an anderen Orten Gewaltthaten verübt, welche ihm den
in Schlesien einst weit verbreiteten Beinamen des Löffeldiebs verschafften? Oder war er
ganz schuldlos an diesem üblen Leumund, und Arndt hätte etwa zwei verschiedene Per-
sonen verwechselt? Ich vermag das nicht zu entscheiden. Genug, die gegen Wrede er-
hobene Beschuldigung ist, wie sie vorliegt, durchaus falsch.

Ich habe vor mir das Promemoria eines verstorbenen herzoglich braunschweigischen
Beamten, der die Zeit seit 1806 als junger Mann im Oelser Schlosse verlebte und im
Juli 1858, in Folge des durch Arndts "Wanderungen" erregten Zeitungslärms, amtlich
vernommen wurde. Nach diesem Berichte, der durch die Aussagen anderer gleichzeitig
verhörter Beamten durchweg bestätigt wird, haben Prinz Jerome Napoleon und General
Lefevre im Dezember 1806, zu der Zeit, da die Belagerung von Breslau begann, einige
Tage lang im Schlosse Oels ihr Hauptquartier gehalten; mit ihnen kamen französische
und bairische Truppen. In diesen Tagen -- also nicht im Februar 1807 -- wurden
ein Theil des Silberzeugs und der Schimmelzug des Herzogs geraubt. Die Thäter
blieben unbekannt. Alle Berichte klagen übereinstimmend über die Roheit der bairischen
Truppen, aber keiner weiß anzugeben, ob Franzosen oder Baiern bei dem Raube be-
theiligt waren. Gewiß ist nur, daß Wrede damals noch in Baiern weilte. Die nämliche
Denkschrift versichert sodann auf das Bestimmteste, daß seitdem niemals mehr ein bairischer
General auf dem Schlosse im Quartier gelegen hat. Damit fällt Arndts Erzählung
zusammen.

So lebhaft ich bedauere, daß der Sachverhalt erst jetzt bekannt wird, in einem
Augenblicke, da Arndt sich über die Gründe seines Irrthums nicht mehr erklären kann,
ebenso willkommen ist es mir, dem Biographen Wredes einen kleinen Beitrag für eine
neue Ausgabe seines Buchs zu bieten. Vielleicht erkennt er jetzt, daß wir preußischen
Wilden doch bessere Menschen sind. Er sagt nach seiner sanften Weise, Arndts "infame
Lüge werde aller historischen Wahrheit und aller Moralität zum Hohn" immer wiederholt
werden. Mit Verlaub, sie wird es nicht -- seit die Grundlosigkeit der Beschuldigung
endlich erwiesen ist. So lange aber der Erzählung Arndts nichts weiter entgegenstand
als die willkürliche und -- falsche Behauptung, daß der Raub im Februar 1807 geschehen
sein sollte: ebenso lange war jeder Historiker berechtigt, den Bericht eines Buches, das
zu den besten und zuverlässigsten Werken unserer Memoiren-Literatur zählt, für wahr
zu halten. Die Schuld jener napoleonischen Tage ist durch treue Waffenbrüderschaft längst
gesühnt; wir haben die Wiederkehr der alten Bruderkämpfe nicht mehr zu fürchten. Es
wird hohe Zeit, daß wir Alle eine für immer überwundene Vergangenheit mit einigem
Gleichmuth betrachten. Auch die Baiern sollten endlich lernen über die Sünden ihrer
Rheinbundszeit ebenso unbefangen zu sprechen, wie schon längst jeder verständige Preuße
über das Jahr 1806 redet. Daran fehlt leider noch viel. Als Gustav Freytag vor
Kurzem in dem letzten Bande seiner "Ahnen" das Verhalten der Baiern in Schlesien
durchaus der historischen Wahrheit gemäß darstellte, da mußte er von der bairischen
Presse die gröbsten Beleidigungen hinnehmen. So hat sich auch General Heilmann durch
seinen bairischen Uebereifer um einen Erfolg gebracht, den ich einem so tüchtigen Forscher
gern gönnen würde. Hätte er bei der Erörterung jener schlesischen Episode etwas weniger
Entrüstung und etwas mehr Forscherfleiß aufgewendet, so konnte er selber den Beweis

E. M. Arndt und Wrede.
angeklopft, erhielt ich endlich aus Breslau durch die Güte des Herrn Archivdirectors
Grünhagen, und gleichzeitig aus Oels mehrere Mittheilungen, welche, im Weſentlichen
übereinſtimmend, den Bericht Arndts vollſtändig widerlegen. Daß der Alte ſeine ſo zu-
verſichtlich vertheidigte Erzählung nicht einfach aus der Luft gegriffen haben kann, wird
jedem Unbefangenen einleuchten. Wenn irgend wer, ſo darf doch ſicherlich Arndt die
Vermuthung der bona fides für ſich in Anſpruch nehmen. Man leſe nur in Heilmanns
Werke die unglaublich brutalen Briefe, in denen Wrede ſeine Wuth gegen dieſen Teufel,
dieſen Narren von Stein ausſpricht; ein ſo maßloſer Haß läßt ſich aus der politiſchen
Gegnerſchaft der beiden Männer allein kaum erklären. Aber wie iſt Arndt zu ſeinem
Irrthum gelangt? Hat Wrede an anderen Orten Gewaltthaten verübt, welche ihm den
in Schleſien einſt weit verbreiteten Beinamen des Löffeldiebs verſchafften? Oder war er
ganz ſchuldlos an dieſem üblen Leumund, und Arndt hätte etwa zwei verſchiedene Per-
ſonen verwechſelt? Ich vermag das nicht zu entſcheiden. Genug, die gegen Wrede er-
hobene Beſchuldigung iſt, wie ſie vorliegt, durchaus falſch.

Ich habe vor mir das Promemoria eines verſtorbenen herzoglich braunſchweigiſchen
Beamten, der die Zeit ſeit 1806 als junger Mann im Oelſer Schloſſe verlebte und im
Juli 1858, in Folge des durch Arndts „Wanderungen“ erregten Zeitungslärms, amtlich
vernommen wurde. Nach dieſem Berichte, der durch die Ausſagen anderer gleichzeitig
verhörter Beamten durchweg beſtätigt wird, haben Prinz Jerome Napoleon und General
Lefevre im Dezember 1806, zu der Zeit, da die Belagerung von Breslau begann, einige
Tage lang im Schloſſe Oels ihr Hauptquartier gehalten; mit ihnen kamen franzöſiſche
und bairiſche Truppen. In dieſen Tagen — alſo nicht im Februar 1807 — wurden
ein Theil des Silberzeugs und der Schimmelzug des Herzogs geraubt. Die Thäter
blieben unbekannt. Alle Berichte klagen übereinſtimmend über die Roheit der bairiſchen
Truppen, aber keiner weiß anzugeben, ob Franzoſen oder Baiern bei dem Raube be-
theiligt waren. Gewiß iſt nur, daß Wrede damals noch in Baiern weilte. Die nämliche
Denkſchrift verſichert ſodann auf das Beſtimmteſte, daß ſeitdem niemals mehr ein bairiſcher
General auf dem Schloſſe im Quartier gelegen hat. Damit fällt Arndts Erzählung
zuſammen.

So lebhaft ich bedauere, daß der Sachverhalt erſt jetzt bekannt wird, in einem
Augenblicke, da Arndt ſich über die Gründe ſeines Irrthums nicht mehr erklären kann,
ebenſo willkommen iſt es mir, dem Biographen Wredes einen kleinen Beitrag für eine
neue Ausgabe ſeines Buchs zu bieten. Vielleicht erkennt er jetzt, daß wir preußiſchen
Wilden doch beſſere Menſchen ſind. Er ſagt nach ſeiner ſanften Weiſe, Arndts „infame
Lüge werde aller hiſtoriſchen Wahrheit und aller Moralität zum Hohn“ immer wiederholt
werden. Mit Verlaub, ſie wird es nicht — ſeit die Grundloſigkeit der Beſchuldigung
endlich erwieſen iſt. So lange aber der Erzählung Arndts nichts weiter entgegenſtand
als die willkürliche und — falſche Behauptung, daß der Raub im Februar 1807 geſchehen
ſein ſollte: ebenſo lange war jeder Hiſtoriker berechtigt, den Bericht eines Buches, das
zu den beſten und zuverläſſigſten Werken unſerer Memoiren-Literatur zählt, für wahr
zu halten. Die Schuld jener napoleoniſchen Tage iſt durch treue Waffenbrüderſchaft längſt
geſühnt; wir haben die Wiederkehr der alten Bruderkämpfe nicht mehr zu fürchten. Es
wird hohe Zeit, daß wir Alle eine für immer überwundene Vergangenheit mit einigem
Gleichmuth betrachten. Auch die Baiern ſollten endlich lernen über die Sünden ihrer
Rheinbundszeit ebenſo unbefangen zu ſprechen, wie ſchon längſt jeder verſtändige Preuße
über das Jahr 1806 redet. Daran fehlt leider noch viel. Als Guſtav Freytag vor
Kurzem in dem letzten Bande ſeiner „Ahnen“ das Verhalten der Baiern in Schleſien
durchaus der hiſtoriſchen Wahrheit gemäß darſtellte, da mußte er von der bairiſchen
Preſſe die gröbſten Beleidigungen hinnehmen. So hat ſich auch General Heilmann durch
ſeinen bairiſchen Uebereifer um einen Erfolg gebracht, den ich einem ſo tüchtigen Forſcher
gern gönnen würde. Hätte er bei der Erörterung jener ſchleſiſchen Epiſode etwas weniger
Entrüſtung und etwas mehr Forſcherfleiß aufgewendet, ſo konnte er ſelber den Beweis

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[631/0645] E. M. Arndt und Wrede. angeklopft, erhielt ich endlich aus Breslau durch die Güte des Herrn Archivdirectors Grünhagen, und gleichzeitig aus Oels mehrere Mittheilungen, welche, im Weſentlichen übereinſtimmend, den Bericht Arndts vollſtändig widerlegen. Daß der Alte ſeine ſo zu- verſichtlich vertheidigte Erzählung nicht einfach aus der Luft gegriffen haben kann, wird jedem Unbefangenen einleuchten. Wenn irgend wer, ſo darf doch ſicherlich Arndt die Vermuthung der bona fides für ſich in Anſpruch nehmen. Man leſe nur in Heilmanns Werke die unglaublich brutalen Briefe, in denen Wrede ſeine Wuth gegen dieſen Teufel, dieſen Narren von Stein ausſpricht; ein ſo maßloſer Haß läßt ſich aus der politiſchen Gegnerſchaft der beiden Männer allein kaum erklären. Aber wie iſt Arndt zu ſeinem Irrthum gelangt? Hat Wrede an anderen Orten Gewaltthaten verübt, welche ihm den in Schleſien einſt weit verbreiteten Beinamen des Löffeldiebs verſchafften? Oder war er ganz ſchuldlos an dieſem üblen Leumund, und Arndt hätte etwa zwei verſchiedene Per- ſonen verwechſelt? Ich vermag das nicht zu entſcheiden. Genug, die gegen Wrede er- hobene Beſchuldigung iſt, wie ſie vorliegt, durchaus falſch. Ich habe vor mir das Promemoria eines verſtorbenen herzoglich braunſchweigiſchen Beamten, der die Zeit ſeit 1806 als junger Mann im Oelſer Schloſſe verlebte und im Juli 1858, in Folge des durch Arndts „Wanderungen“ erregten Zeitungslärms, amtlich vernommen wurde. Nach dieſem Berichte, der durch die Ausſagen anderer gleichzeitig verhörter Beamten durchweg beſtätigt wird, haben Prinz Jerome Napoleon und General Lefevre im Dezember 1806, zu der Zeit, da die Belagerung von Breslau begann, einige Tage lang im Schloſſe Oels ihr Hauptquartier gehalten; mit ihnen kamen franzöſiſche und bairiſche Truppen. In dieſen Tagen — alſo nicht im Februar 1807 — wurden ein Theil des Silberzeugs und der Schimmelzug des Herzogs geraubt. Die Thäter blieben unbekannt. Alle Berichte klagen übereinſtimmend über die Roheit der bairiſchen Truppen, aber keiner weiß anzugeben, ob Franzoſen oder Baiern bei dem Raube be- theiligt waren. Gewiß iſt nur, daß Wrede damals noch in Baiern weilte. Die nämliche Denkſchrift verſichert ſodann auf das Beſtimmteſte, daß ſeitdem niemals mehr ein bairiſcher General auf dem Schloſſe im Quartier gelegen hat. Damit fällt Arndts Erzählung zuſammen. So lebhaft ich bedauere, daß der Sachverhalt erſt jetzt bekannt wird, in einem Augenblicke, da Arndt ſich über die Gründe ſeines Irrthums nicht mehr erklären kann, ebenſo willkommen iſt es mir, dem Biographen Wredes einen kleinen Beitrag für eine neue Ausgabe ſeines Buchs zu bieten. Vielleicht erkennt er jetzt, daß wir preußiſchen Wilden doch beſſere Menſchen ſind. Er ſagt nach ſeiner ſanften Weiſe, Arndts „infame Lüge werde aller hiſtoriſchen Wahrheit und aller Moralität zum Hohn“ immer wiederholt werden. Mit Verlaub, ſie wird es nicht — ſeit die Grundloſigkeit der Beſchuldigung endlich erwieſen iſt. So lange aber der Erzählung Arndts nichts weiter entgegenſtand als die willkürliche und — falſche Behauptung, daß der Raub im Februar 1807 geſchehen ſein ſollte: ebenſo lange war jeder Hiſtoriker berechtigt, den Bericht eines Buches, das zu den beſten und zuverläſſigſten Werken unſerer Memoiren-Literatur zählt, für wahr zu halten. Die Schuld jener napoleoniſchen Tage iſt durch treue Waffenbrüderſchaft längſt geſühnt; wir haben die Wiederkehr der alten Bruderkämpfe nicht mehr zu fürchten. Es wird hohe Zeit, daß wir Alle eine für immer überwundene Vergangenheit mit einigem Gleichmuth betrachten. Auch die Baiern ſollten endlich lernen über die Sünden ihrer Rheinbundszeit ebenſo unbefangen zu ſprechen, wie ſchon längſt jeder verſtändige Preuße über das Jahr 1806 redet. Daran fehlt leider noch viel. Als Guſtav Freytag vor Kurzem in dem letzten Bande ſeiner „Ahnen“ das Verhalten der Baiern in Schleſien durchaus der hiſtoriſchen Wahrheit gemäß darſtellte, da mußte er von der bairiſchen Preſſe die gröbſten Beleidigungen hinnehmen. So hat ſich auch General Heilmann durch ſeinen bairiſchen Uebereifer um einen Erfolg gebracht, den ich einem ſo tüchtigen Forſcher gern gönnen würde. Hätte er bei der Erörterung jener ſchleſiſchen Epiſode etwas weniger Entrüſtung und etwas mehr Forſcherfleiß aufgewendet, ſo konnte er ſelber den Beweis

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 631. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/645>, abgerufen am 25.04.2024.