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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 7. Altständisches Stillleben in Norddeutschland.
schrift der Ritterschaft erledigt, und zum Ueberfluß beschloß man noch, fortan
jede gedruckte Eingabe an den Bund der Censur zu unterwerfen. Nach
Jahren, als die Denkschrift längst werthlos geworden, ließ Münch dem
Secretär der Ritterschaft schreiben, jene tausend Exemplare ständen jetzt
zu seiner Verfügung.

Also klopfte die bedrängte Nordmark zum ersten male an die Pforten
des Bundestags. Niemand wollte sie hören. Die Nation verstand den
Sinn des Streites noch nicht, am Bunde herrschten Willkür und subal-
terner Formalismus. Von Deutschland verlassen mußte die Ritterschaft
der Uebermacht weichen; denn das Einzige was noch übrig blieb, eine
Beschwerde bei dem russischen Hofe, der im Jahre 1773 die ständischen
Privilegien bestätigt hatte, war für deutsche Patrioten unmöglich. Das
absolute Regiment währte fort, von der verheißenen neuen Verfassung
hörte man bald nichts mehr. Das Land schien beruhigt, da sein Wohl-
stand wuchs. Als Dr. Franzen im Jahre 1828 auf "das unumschränkte
Dänemark, das Land der Freiheit" eine prahlerische Lobrede veröffentlichte,
fand sich kein Deutscher bemüßigt ihm zu antworten. Aber die Saat, welche
jene wackeren Kieler Gelehrten ausgestreut, trug in der Stille ihre Frucht.
Freudig wie nie zuvor schloß sich das heranwachsende Geschlecht dem großen
Deutschland an; die Zeit der bewußtlosen politischen Unschuld war für
Schleswigholstein vorüber. --

So kläglich stand es mit den Kleinstaaten des Nordens. Fast überall
unhaltbare Verhältnisse, überreif zum Untergange, und nirgends auch nur
ein Verständniß für das nächste erreichbare Ziel der nationalen Politik,
für die wirthschaftliche Einheit des Vaterlandes. --


III. 7. Altſtändiſches Stillleben in Norddeutſchland.
ſchrift der Ritterſchaft erledigt, und zum Ueberfluß beſchloß man noch, fortan
jede gedruckte Eingabe an den Bund der Cenſur zu unterwerfen. Nach
Jahren, als die Denkſchrift längſt werthlos geworden, ließ Münch dem
Secretär der Ritterſchaft ſchreiben, jene tauſend Exemplare ſtänden jetzt
zu ſeiner Verfügung.

Alſo klopfte die bedrängte Nordmark zum erſten male an die Pforten
des Bundestags. Niemand wollte ſie hören. Die Nation verſtand den
Sinn des Streites noch nicht, am Bunde herrſchten Willkür und ſubal-
terner Formalismus. Von Deutſchland verlaſſen mußte die Ritterſchaft
der Uebermacht weichen; denn das Einzige was noch übrig blieb, eine
Beſchwerde bei dem ruſſiſchen Hofe, der im Jahre 1773 die ſtändiſchen
Privilegien beſtätigt hatte, war für deutſche Patrioten unmöglich. Das
abſolute Regiment währte fort, von der verheißenen neuen Verfaſſung
hörte man bald nichts mehr. Das Land ſchien beruhigt, da ſein Wohl-
ſtand wuchs. Als Dr. Franzen im Jahre 1828 auf „das unumſchränkte
Dänemark, das Land der Freiheit“ eine prahleriſche Lobrede veröffentlichte,
fand ſich kein Deutſcher bemüßigt ihm zu antworten. Aber die Saat, welche
jene wackeren Kieler Gelehrten ausgeſtreut, trug in der Stille ihre Frucht.
Freudig wie nie zuvor ſchloß ſich das heranwachſende Geſchlecht dem großen
Deutſchland an; die Zeit der bewußtloſen politiſchen Unſchuld war für
Schleswigholſtein vorüber. —

So kläglich ſtand es mit den Kleinſtaaten des Nordens. Faſt überall
unhaltbare Verhältniſſe, überreif zum Untergange, und nirgends auch nur
ein Verſtändniß für das nächſte erreichbare Ziel der nationalen Politik,
für die wirthſchaftliche Einheit des Vaterlandes. —


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[602/0618] III. 7. Altſtändiſches Stillleben in Norddeutſchland. ſchrift der Ritterſchaft erledigt, und zum Ueberfluß beſchloß man noch, fortan jede gedruckte Eingabe an den Bund der Cenſur zu unterwerfen. Nach Jahren, als die Denkſchrift längſt werthlos geworden, ließ Münch dem Secretär der Ritterſchaft ſchreiben, jene tauſend Exemplare ſtänden jetzt zu ſeiner Verfügung. Alſo klopfte die bedrängte Nordmark zum erſten male an die Pforten des Bundestags. Niemand wollte ſie hören. Die Nation verſtand den Sinn des Streites noch nicht, am Bunde herrſchten Willkür und ſubal- terner Formalismus. Von Deutſchland verlaſſen mußte die Ritterſchaft der Uebermacht weichen; denn das Einzige was noch übrig blieb, eine Beſchwerde bei dem ruſſiſchen Hofe, der im Jahre 1773 die ſtändiſchen Privilegien beſtätigt hatte, war für deutſche Patrioten unmöglich. Das abſolute Regiment währte fort, von der verheißenen neuen Verfaſſung hörte man bald nichts mehr. Das Land ſchien beruhigt, da ſein Wohl- ſtand wuchs. Als Dr. Franzen im Jahre 1828 auf „das unumſchränkte Dänemark, das Land der Freiheit“ eine prahleriſche Lobrede veröffentlichte, fand ſich kein Deutſcher bemüßigt ihm zu antworten. Aber die Saat, welche jene wackeren Kieler Gelehrten ausgeſtreut, trug in der Stille ihre Frucht. Freudig wie nie zuvor ſchloß ſich das heranwachſende Geſchlecht dem großen Deutſchland an; die Zeit der bewußtloſen politiſchen Unſchuld war für Schleswigholſtein vorüber. — So kläglich ſtand es mit den Kleinſtaaten des Nordens. Faſt überall unhaltbare Verhältniſſe, überreif zum Untergange, und nirgends auch nur ein Verſtändniß für das nächſte erreichbare Ziel der nationalen Politik, für die wirthſchaftliche Einheit des Vaterlandes. —

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 602. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/618>, abgerufen am 29.03.2024.