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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Metternich und die preußische Verfassung.
Bailleu's Ansicht zustimmen. Denn diese Denkschrift beruft sich ausdrücklich auf das
Aachener Memoire und schließt sich eng an dasselbe an. Läge also zwischen diesen beiden
Denkschriften noch eine dritte von abweichendem oder gar entgegengesetztem Inhalt, so
müßte sich nothwendig eine Bemerkung darüber vorfinden, da alle diese Arbeiten an die
gleiche Adresse, an die Adresse des Königs von Preußen gerichtet waren.

Im Uebrigen thuen diese Zweifel nichts zur Sache. Niemand bestreitet, daß Met-
ternich eine preußische Verfassung nicht wünschte, auch nicht in der bescheidenen Form
eines Vereinigten Landtags. Die Frage ist nur: ob er wirklich so thöricht war seine
Karten vor der Zeit aufzudecken? Und diese Frage muß verneint werden. Denn es
steht fest, daß Metternich noch in Troppau nicht wagte, von einer Centralvertretung ab-
zurathen, obgleich der König damals bereits mit der mißrathenen Communalordnung
unzufrieden und an den Verfassungsplänen irre geworden war. Folglich kann der Oester-
reicher in Teplitz, wo die Aussichten für ihn noch weit weniger günstig lagen, unmög-
lich eine kühnere Sprache geführt haben als in Troppau. Eine sachliche Schwierigkeit
liegt überhaupt nicht vor. Der ganze Streit ist nur dadurch entstanden, daß Baum-
garten den Worten Metternich's "keine Volksvertretung einführen" willkürlich einen Sinn
untergeschoben hat, welchen sie vielleicht im Jahre 1882 haben konnten, aber nicht im
Jahre 1819 und nicht in Metternich's Munde.

Bailleu's Ansicht wird bestätigt durch die abgerissenen Bemerkungen über Metter-
nich's Antheil an dem preußischen Verfassungswerke, welche sich in Hardenberg's Tage-
buch vorfinden. Dieselben lauten:

Troppau 15. Nov. 1820. Mit Metternich wegen unserer Verfassungssache ge-
sprochen. Er will dem König auch sagen, daß wir nicht still stehen können. Etwas muß
geschehen. Es wäre besser gerade herauszusagen: ich will keine Constitution -- als diese
Ungewißheit.

20. Nov. Metternich hat an den König wegen der Verfassung geschrieben und ihm
das Memoire überschickt, was er 1818 in Aachen mir zustellte. Wittgenstein brachte es
mir mit der Aeußerung, der König wünsche erst in Berlin mit mir darüber zu sprechen.

Wien 31. Dec. Metternich theilte mir ein Promemoria mit, welches er dem König
entweder persönlich oder schriftlich mitzutheilen Willens ist, über die ständische Verfassung,
wenn ich es genehmige. Ich bin mit den Grundlagen einverstanden.

Daraus ergiebt sich: Metternich hat alle diese Jahre hindurch hinter Hardenberg's
Rücken gearbeitet. Der preußische Staatskanzler wußte noch im November 1820 nicht,
daß Metternich's Aachener Denkschrift ausdrücklich für den König geschrieben und schon
seit zwei Jahren in dessen Händen war. Ganz unabweisbar drängt sich also die Vermu-
thung auf, daß dies unredliche Spiel fortgedauert hat und unter dem, am 31. Dec. er-
wähnten Promemoria die alte, dem Könige längst bekannte Teplitzer Denkschrift zu ver-
stehen ist. --

Zum Glück bin ich aber jetzt in der Lage, allen Schlüssen und Vermuthungen durch
eine einfache thatsächliche Mittheilung ein Ende zu machen. Im Herbst 1884 wurden die
seit langer Zeit vermißten Akten des Geh. Cabinets K. Friedrich Wilhelm's III. in das
Geh. Staatsarchiv übergeführt. Darunter befinden sich auch die Berichte über das Ver-
fassungswerk, welche Hardenberg im Sommer 1819 dem Monarchen erstattete. Hier der
wesentliche Inhalt.

Am 2. Mai überreicht Hardenberg dem Könige den ersten Entwurf seines Ver-
fassungsplanes. Es ist im Wesentlichen derselbe Entwurf, der am 12. Oktober dem
Verfassungs-Ausschuß vorgelegt wurde, nur viel kürzer gefaßt und in einzelnen un-
wesentlichen Punkten abweichend. Am 30. Juni bittet er sodann nochmals um baldige
Entscheidung.

Darauf befiehlt der König (C.-O. v. 3. Juli 1819), daß nach Hardenberg's Vor-
schlägen das Abgaben-System und das Staatsschuldenwesen geordnet, "aber unterdessen
die Arbeiten zu dieser landständischen Verfassung, welche längst schon hätten vorgenommen

Metternich und die preußiſche Verfaſſung.
Bailleu’s Anſicht zuſtimmen. Denn dieſe Denkſchrift beruft ſich ausdrücklich auf das
Aachener Memoire und ſchließt ſich eng an daſſelbe an. Läge alſo zwiſchen dieſen beiden
Denkſchriften noch eine dritte von abweichendem oder gar entgegengeſetztem Inhalt, ſo
müßte ſich nothwendig eine Bemerkung darüber vorfinden, da alle dieſe Arbeiten an die
gleiche Adreſſe, an die Adreſſe des Königs von Preußen gerichtet waren.

Im Uebrigen thuen dieſe Zweifel nichts zur Sache. Niemand beſtreitet, daß Met-
ternich eine preußiſche Verfaſſung nicht wünſchte, auch nicht in der beſcheidenen Form
eines Vereinigten Landtags. Die Frage iſt nur: ob er wirklich ſo thöricht war ſeine
Karten vor der Zeit aufzudecken? Und dieſe Frage muß verneint werden. Denn es
ſteht feſt, daß Metternich noch in Troppau nicht wagte, von einer Centralvertretung ab-
zurathen, obgleich der König damals bereits mit der mißrathenen Communalordnung
unzufrieden und an den Verfaſſungsplänen irre geworden war. Folglich kann der Oeſter-
reicher in Teplitz, wo die Ausſichten für ihn noch weit weniger günſtig lagen, unmög-
lich eine kühnere Sprache geführt haben als in Troppau. Eine ſachliche Schwierigkeit
liegt überhaupt nicht vor. Der ganze Streit iſt nur dadurch entſtanden, daß Baum-
garten den Worten Metternich’s „keine Volksvertretung einführen“ willkürlich einen Sinn
untergeſchoben hat, welchen ſie vielleicht im Jahre 1882 haben konnten, aber nicht im
Jahre 1819 und nicht in Metternich’s Munde.

Bailleu’s Anſicht wird beſtätigt durch die abgeriſſenen Bemerkungen über Metter-
nich’s Antheil an dem preußiſchen Verfaſſungswerke, welche ſich in Hardenberg’s Tage-
buch vorfinden. Dieſelben lauten:

Troppau 15. Nov. 1820. Mit Metternich wegen unſerer Verfaſſungsſache ge-
ſprochen. Er will dem König auch ſagen, daß wir nicht ſtill ſtehen können. Etwas muß
geſchehen. Es wäre beſſer gerade herauszuſagen: ich will keine Conſtitution — als dieſe
Ungewißheit.

20. Nov. Metternich hat an den König wegen der Verfaſſung geſchrieben und ihm
das Memoire überſchickt, was er 1818 in Aachen mir zuſtellte. Wittgenſtein brachte es
mir mit der Aeußerung, der König wünſche erſt in Berlin mit mir darüber zu ſprechen.

Wien 31. Dec. Metternich theilte mir ein Promemoria mit, welches er dem König
entweder perſönlich oder ſchriftlich mitzutheilen Willens iſt, über die ſtändiſche Verfaſſung,
wenn ich es genehmige. Ich bin mit den Grundlagen einverſtanden.

Daraus ergiebt ſich: Metternich hat alle dieſe Jahre hindurch hinter Hardenberg’s
Rücken gearbeitet. Der preußiſche Staatskanzler wußte noch im November 1820 nicht,
daß Metternich’s Aachener Denkſchrift ausdrücklich für den König geſchrieben und ſchon
ſeit zwei Jahren in deſſen Händen war. Ganz unabweisbar drängt ſich alſo die Vermu-
thung auf, daß dies unredliche Spiel fortgedauert hat und unter dem, am 31. Dec. er-
wähnten Promemoria die alte, dem Könige längſt bekannte Teplitzer Denkſchrift zu ver-
ſtehen iſt. —

Zum Glück bin ich aber jetzt in der Lage, allen Schlüſſen und Vermuthungen durch
eine einfache thatſächliche Mittheilung ein Ende zu machen. Im Herbſt 1884 wurden die
ſeit langer Zeit vermißten Akten des Geh. Cabinets K. Friedrich Wilhelm’s III. in das
Geh. Staatsarchiv übergeführt. Darunter befinden ſich auch die Berichte über das Ver-
faſſungswerk, welche Hardenberg im Sommer 1819 dem Monarchen erſtattete. Hier der
weſentliche Inhalt.

Am 2. Mai überreicht Hardenberg dem Könige den erſten Entwurf ſeines Ver-
faſſungsplanes. Es iſt im Weſentlichen derſelbe Entwurf, der am 12. Oktober dem
Verfaſſungs-Ausſchuß vorgelegt wurde, nur viel kürzer gefaßt und in einzelnen un-
weſentlichen Punkten abweichend. Am 30. Juni bittet er ſodann nochmals um baldige
Entſcheidung.

Darauf befiehlt der König (C.-O. v. 3. Juli 1819), daß nach Hardenberg’s Vor-
ſchlägen das Abgaben-Syſtem und das Staatsſchuldenweſen geordnet, „aber unterdeſſen
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[760/0776] Metternich und die preußiſche Verfaſſung. Bailleu’s Anſicht zuſtimmen. Denn dieſe Denkſchrift beruft ſich ausdrücklich auf das Aachener Memoire und ſchließt ſich eng an daſſelbe an. Läge alſo zwiſchen dieſen beiden Denkſchriften noch eine dritte von abweichendem oder gar entgegengeſetztem Inhalt, ſo müßte ſich nothwendig eine Bemerkung darüber vorfinden, da alle dieſe Arbeiten an die gleiche Adreſſe, an die Adreſſe des Königs von Preußen gerichtet waren. Im Uebrigen thuen dieſe Zweifel nichts zur Sache. Niemand beſtreitet, daß Met- ternich eine preußiſche Verfaſſung nicht wünſchte, auch nicht in der beſcheidenen Form eines Vereinigten Landtags. Die Frage iſt nur: ob er wirklich ſo thöricht war ſeine Karten vor der Zeit aufzudecken? Und dieſe Frage muß verneint werden. Denn es ſteht feſt, daß Metternich noch in Troppau nicht wagte, von einer Centralvertretung ab- zurathen, obgleich der König damals bereits mit der mißrathenen Communalordnung unzufrieden und an den Verfaſſungsplänen irre geworden war. Folglich kann der Oeſter- reicher in Teplitz, wo die Ausſichten für ihn noch weit weniger günſtig lagen, unmög- lich eine kühnere Sprache geführt haben als in Troppau. Eine ſachliche Schwierigkeit liegt überhaupt nicht vor. Der ganze Streit iſt nur dadurch entſtanden, daß Baum- garten den Worten Metternich’s „keine Volksvertretung einführen“ willkürlich einen Sinn untergeſchoben hat, welchen ſie vielleicht im Jahre 1882 haben konnten, aber nicht im Jahre 1819 und nicht in Metternich’s Munde. Bailleu’s Anſicht wird beſtätigt durch die abgeriſſenen Bemerkungen über Metter- nich’s Antheil an dem preußiſchen Verfaſſungswerke, welche ſich in Hardenberg’s Tage- buch vorfinden. Dieſelben lauten: Troppau 15. Nov. 1820. Mit Metternich wegen unſerer Verfaſſungsſache ge- ſprochen. Er will dem König auch ſagen, daß wir nicht ſtill ſtehen können. Etwas muß geſchehen. Es wäre beſſer gerade herauszuſagen: ich will keine Conſtitution — als dieſe Ungewißheit. 20. Nov. Metternich hat an den König wegen der Verfaſſung geſchrieben und ihm das Memoire überſchickt, was er 1818 in Aachen mir zuſtellte. Wittgenſtein brachte es mir mit der Aeußerung, der König wünſche erſt in Berlin mit mir darüber zu ſprechen. Wien 31. Dec. Metternich theilte mir ein Promemoria mit, welches er dem König entweder perſönlich oder ſchriftlich mitzutheilen Willens iſt, über die ſtändiſche Verfaſſung, wenn ich es genehmige. Ich bin mit den Grundlagen einverſtanden. Daraus ergiebt ſich: Metternich hat alle dieſe Jahre hindurch hinter Hardenberg’s Rücken gearbeitet. Der preußiſche Staatskanzler wußte noch im November 1820 nicht, daß Metternich’s Aachener Denkſchrift ausdrücklich für den König geſchrieben und ſchon ſeit zwei Jahren in deſſen Händen war. Ganz unabweisbar drängt ſich alſo die Vermu- thung auf, daß dies unredliche Spiel fortgedauert hat und unter dem, am 31. Dec. er- wähnten Promemoria die alte, dem Könige längſt bekannte Teplitzer Denkſchrift zu ver- ſtehen iſt. — Zum Glück bin ich aber jetzt in der Lage, allen Schlüſſen und Vermuthungen durch eine einfache thatſächliche Mittheilung ein Ende zu machen. Im Herbſt 1884 wurden die ſeit langer Zeit vermißten Akten des Geh. Cabinets K. Friedrich Wilhelm’s III. in das Geh. Staatsarchiv übergeführt. Darunter befinden ſich auch die Berichte über das Ver- faſſungswerk, welche Hardenberg im Sommer 1819 dem Monarchen erſtattete. Hier der weſentliche Inhalt. Am 2. Mai überreicht Hardenberg dem Könige den erſten Entwurf ſeines Ver- faſſungsplanes. Es iſt im Weſentlichen derſelbe Entwurf, der am 12. Oktober dem Verfaſſungs-Ausſchuß vorgelegt wurde, nur viel kürzer gefaßt und in einzelnen un- weſentlichen Punkten abweichend. Am 30. Juni bittet er ſodann nochmals um baldige Entſcheidung. Darauf befiehlt der König (C.-O. v. 3. Juli 1819), daß nach Hardenberg’s Vor- ſchlägen das Abgaben-Syſtem und das Staatsſchuldenweſen geordnet, „aber unterdeſſen die Arbeiten zu dieſer landſtändiſchen Verfaſſung, welche längſt ſchon hätten vorgenommen

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 760. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/776>, abgerufen am 28.03.2024.