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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Kanzler und Staatsrath.
Gewalt, welche ihm der König einst beim Antritt des Kanzleramtes zuge-
standen, längst selber entkleidet hatte. Schon seit Jahren bestanden das
neue Staatsministerium und der Staatsrath, und die Verordnung über
die Bildung der letzteren Behörde bestimmte unzweideutig, daß sämmtliche
Vorschläge zu neuen oder zur Abänderung von bestehenden Gesetzen durch
den Staatsrath an den König gelangen müßten. Ergraut im Genusse
der Macht hatte Hardenberg diese Vorschrift freilich nicht lange einge-
halten; ihm schien es widersinnig, daß ein absoluter Monarch seinen eigenen
Beamten gegenüber an Formen gebunden sein sollte. Während die sech-
zehn neuen Gesetze des Jahres 1818 allesammt erst nach Berathung des
Staatsraths die königliche Sanktion erhielten, wurden schon im folgenden
Jahre von siebenundzwanzig neuen Gesetzen nur sechzehn dem Staats-
rathe vorgelegt.*)

So gewöhnte sich der Kanzler bereits daran den Staatsrath zu um-
gehen, und am wenigsten bei den höchst unpopulären Finanzgesetzen wollte
er auf dies kurz angebundene Verfahren verzichten. Seit Humboldt's
Sturz hatte sich die Stimmung in den Beamtenkreisen noch mehr ver-
bittert. Die Erbsünde der Hauptstädte, die Lust am Skandal trat wieder
fast ebenso dreist auf, wie einst vor der Jenaer Schlacht; Jeder schalt
und klagte, um so heftiger je höher er stand. Welche ungeheuerlichen
Lügen konnte Varnhagen allabendlich schadenfroh in den Modersumpf
seines Tagesbuchs abladen! Der war nach seiner Abberufung mit einem
reichlichen Wartegelde ausgestattet worden, weil man ihn zufrieden stellen
und seine scharfe Feder unschädlich machen wollte.**) Oeffentlich wagte er
auch nicht gegen die Regierung aufzutreten. Dafür trieb er sich jetzt, als
Wirklicher Geheimer Ober-Literat, wie der treffende Witz der Berliner ihn
nannte, zischelnd, schleichend, horchend zwischen den hohen Beamten und
den Schriftstellern der Residenz umher, und hier erfuhr er aus sicherster
Quelle, wie sündlich General Knesebeck, ein Mann von unantastbarer Recht-
schaffenheit, mit den militärischen Geldern umgehe und dabei sich selber
nicht vergesse; auch der nicht minder ehrenhafte Rother, der sich soeben
in Schlesien ein Gut gekauft, konnte das Geld natürlich nur frechem
Unterschleif verdanken; keinen Tresorschein -- hieß es in diesen Kreisen --
dürfe man die Nacht über im Hause behalten, denn einer solchen Regie-
rung sei nicht vierundzwanzig Stunden lang zu trauen. Bei diesem
Fieber der Tadelsucht schien es in der That bedenklich, den Gesetzentwurf
über die Staatsschulden mit allen den unerfreulichen Geheimnissen, die
er aufdeckte, jetzt dem Staatsrathe vorzulegen. Ein leidenschaftlicher Streit
um jeden einzelnen Posten der Rechnung stand dann unausbleiblich be-

*) Nach der Berechnung, welche Herzog Karl von Mecklenburg im Jahre 1827 als
Präsident des Staatsraths aufstellte (Denkschrift über den Staatsrath, 8. März 1827).
**) Ministerialschreiben an Küster, 7. Aug. 1819.

Kanzler und Staatsrath.
Gewalt, welche ihm der König einſt beim Antritt des Kanzleramtes zuge-
ſtanden, längſt ſelber entkleidet hatte. Schon ſeit Jahren beſtanden das
neue Staatsminiſterium und der Staatsrath, und die Verordnung über
die Bildung der letzteren Behörde beſtimmte unzweideutig, daß ſämmtliche
Vorſchläge zu neuen oder zur Abänderung von beſtehenden Geſetzen durch
den Staatsrath an den König gelangen müßten. Ergraut im Genuſſe
der Macht hatte Hardenberg dieſe Vorſchrift freilich nicht lange einge-
halten; ihm ſchien es widerſinnig, daß ein abſoluter Monarch ſeinen eigenen
Beamten gegenüber an Formen gebunden ſein ſollte. Während die ſech-
zehn neuen Geſetze des Jahres 1818 alleſammt erſt nach Berathung des
Staatsraths die königliche Sanktion erhielten, wurden ſchon im folgenden
Jahre von ſiebenundzwanzig neuen Geſetzen nur ſechzehn dem Staats-
rathe vorgelegt.*)

So gewöhnte ſich der Kanzler bereits daran den Staatsrath zu um-
gehen, und am wenigſten bei den höchſt unpopulären Finanzgeſetzen wollte
er auf dies kurz angebundene Verfahren verzichten. Seit Humboldt’s
Sturz hatte ſich die Stimmung in den Beamtenkreiſen noch mehr ver-
bittert. Die Erbſünde der Hauptſtädte, die Luſt am Skandal trat wieder
faſt ebenſo dreiſt auf, wie einſt vor der Jenaer Schlacht; Jeder ſchalt
und klagte, um ſo heftiger je höher er ſtand. Welche ungeheuerlichen
Lügen konnte Varnhagen allabendlich ſchadenfroh in den Moderſumpf
ſeines Tagesbuchs abladen! Der war nach ſeiner Abberufung mit einem
reichlichen Wartegelde ausgeſtattet worden, weil man ihn zufrieden ſtellen
und ſeine ſcharfe Feder unſchädlich machen wollte.**) Oeffentlich wagte er
auch nicht gegen die Regierung aufzutreten. Dafür trieb er ſich jetzt, als
Wirklicher Geheimer Ober-Literat, wie der treffende Witz der Berliner ihn
nannte, ziſchelnd, ſchleichend, horchend zwiſchen den hohen Beamten und
den Schriftſtellern der Reſidenz umher, und hier erfuhr er aus ſicherſter
Quelle, wie ſündlich General Kneſebeck, ein Mann von unantaſtbarer Recht-
ſchaffenheit, mit den militäriſchen Geldern umgehe und dabei ſich ſelber
nicht vergeſſe; auch der nicht minder ehrenhafte Rother, der ſich ſoeben
in Schleſien ein Gut gekauft, konnte das Geld natürlich nur frechem
Unterſchleif verdanken; keinen Treſorſchein — hieß es in dieſen Kreiſen —
dürfe man die Nacht über im Hauſe behalten, denn einer ſolchen Regie-
rung ſei nicht vierundzwanzig Stunden lang zu trauen. Bei dieſem
Fieber der Tadelſucht ſchien es in der That bedenklich, den Geſetzentwurf
über die Staatsſchulden mit allen den unerfreulichen Geheimniſſen, die
er aufdeckte, jetzt dem Staatsrathe vorzulegen. Ein leidenſchaftlicher Streit
um jeden einzelnen Poſten der Rechnung ſtand dann unausbleiblich be-

*) Nach der Berechnung, welche Herzog Karl von Mecklenburg im Jahre 1827 als
Präſident des Staatsraths aufſtellte (Denkſchrift über den Staatsrath, 8. März 1827).
**) Miniſterialſchreiben an Küſter, 7. Aug. 1819.
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[69/0085] Kanzler und Staatsrath. Gewalt, welche ihm der König einſt beim Antritt des Kanzleramtes zuge- ſtanden, längſt ſelber entkleidet hatte. Schon ſeit Jahren beſtanden das neue Staatsminiſterium und der Staatsrath, und die Verordnung über die Bildung der letzteren Behörde beſtimmte unzweideutig, daß ſämmtliche Vorſchläge zu neuen oder zur Abänderung von beſtehenden Geſetzen durch den Staatsrath an den König gelangen müßten. Ergraut im Genuſſe der Macht hatte Hardenberg dieſe Vorſchrift freilich nicht lange einge- halten; ihm ſchien es widerſinnig, daß ein abſoluter Monarch ſeinen eigenen Beamten gegenüber an Formen gebunden ſein ſollte. Während die ſech- zehn neuen Geſetze des Jahres 1818 alleſammt erſt nach Berathung des Staatsraths die königliche Sanktion erhielten, wurden ſchon im folgenden Jahre von ſiebenundzwanzig neuen Geſetzen nur ſechzehn dem Staats- rathe vorgelegt. *) So gewöhnte ſich der Kanzler bereits daran den Staatsrath zu um- gehen, und am wenigſten bei den höchſt unpopulären Finanzgeſetzen wollte er auf dies kurz angebundene Verfahren verzichten. Seit Humboldt’s Sturz hatte ſich die Stimmung in den Beamtenkreiſen noch mehr ver- bittert. Die Erbſünde der Hauptſtädte, die Luſt am Skandal trat wieder faſt ebenſo dreiſt auf, wie einſt vor der Jenaer Schlacht; Jeder ſchalt und klagte, um ſo heftiger je höher er ſtand. Welche ungeheuerlichen Lügen konnte Varnhagen allabendlich ſchadenfroh in den Moderſumpf ſeines Tagesbuchs abladen! Der war nach ſeiner Abberufung mit einem reichlichen Wartegelde ausgeſtattet worden, weil man ihn zufrieden ſtellen und ſeine ſcharfe Feder unſchädlich machen wollte. **) Oeffentlich wagte er auch nicht gegen die Regierung aufzutreten. Dafür trieb er ſich jetzt, als Wirklicher Geheimer Ober-Literat, wie der treffende Witz der Berliner ihn nannte, ziſchelnd, ſchleichend, horchend zwiſchen den hohen Beamten und den Schriftſtellern der Reſidenz umher, und hier erfuhr er aus ſicherſter Quelle, wie ſündlich General Kneſebeck, ein Mann von unantaſtbarer Recht- ſchaffenheit, mit den militäriſchen Geldern umgehe und dabei ſich ſelber nicht vergeſſe; auch der nicht minder ehrenhafte Rother, der ſich ſoeben in Schleſien ein Gut gekauft, konnte das Geld natürlich nur frechem Unterſchleif verdanken; keinen Treſorſchein — hieß es in dieſen Kreiſen — dürfe man die Nacht über im Hauſe behalten, denn einer ſolchen Regie- rung ſei nicht vierundzwanzig Stunden lang zu trauen. Bei dieſem Fieber der Tadelſucht ſchien es in der That bedenklich, den Geſetzentwurf über die Staatsſchulden mit allen den unerfreulichen Geheimniſſen, die er aufdeckte, jetzt dem Staatsrathe vorzulegen. Ein leidenſchaftlicher Streit um jeden einzelnen Poſten der Rechnung ſtand dann unausbleiblich be- *) Nach der Berechnung, welche Herzog Karl von Mecklenburg im Jahre 1827 als Präſident des Staatsraths aufſtellte (Denkſchrift über den Staatsrath, 8. März 1827). **) Miniſterialſchreiben an Küſter, 7. Aug. 1819.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/85>, abgerufen am 24.04.2024.