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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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Herzog Karl in England.
schaffen.*) König Wilhelm IV. äußerte sich tief entrüstet über den Aufruhr
und die dem welfischen Hause angethane Schmach. Der gutmüthige Herr
theilte den Haß seines verstorbenen Bruders gegen Herzog Karl durchaus
nicht, sondern empfing den Flüchtling wohlwollend, als dieser ihn wenige
Tage nach der Landung im Pavillon zu Brighton aufsuchte. Aber wie
groß war sein Befremden, da er nun den geckenhaften Uebermuth, die
schamlose Verlogenheit seines Neffen kennen lernte. Karl hatte noch immer
keine Ahnung von dem Ernst seiner Lage; er hoffte bestimmt, durch die
großen Mächte, deren Hilfe er angerufen, alsbald wieder eingesetzt zu
werden, und erzählte seinem Oheim lachend: nur aus Liebe, nur um ihn
im Lande zu behalten und seine längst beabsichtigte englische Reise zu ver-
hindern hätten ihm die Braunschweiger sein Schloß angezündet.**) Durch
die englischen Minister ließ er sich indeß bereden, seinem Bruder, der
ihm über alles Geschehene gewissenhaft Bericht erstattete, mindestens eine
widerrufliche Vollmacht zu ertheilen (21. Sept.): Herzog Wilhelm sollte
als Generalgouverneur vorläufig die Regierung führen, jedoch nur pro-
visorische Ernennungen vornehmen und an den organischen Gesetzen nichts
ändern.***)

Aber welch eine lächerliche Rolle spielte unterdessen der Bundestag.
Die Abstimmungen über den Bundesbeschluß, welcher den Herzog Karl
zur Anerkennung der neuen Verfassung nöthigen sollte, waren noch immer
nicht alle eingelaufen; da kam schon die Nachricht von der Vertreibung des
Bösewichts. Unbeschreiblich war der Schrecken. Alle fühlten, daß Karl's
Sturz selbstverschuldet und unwiderruflich sei. Doch so leichthin wollte
Oesterreich seinen Schützling nicht preisgeben. Die kleinen Höfe, zumal
die weitverzweigte Verwandtschaft des Braunschweigischen Hauses, zitterten
vor der Zumuthung, daß sie die Revolution anerkennen, das legitime
Fürstenrecht verleugnen sollten. Wirr wogten die Meinungen durch ein-
ander, an rasches Handeln war gar nicht zu denken. Die rathlose Ver-
sammlung ermannte sich vorerst nur zu dem Beschlusse, einen Bericht
der braunschweigischen Regierung einzufordern.

Wie hätten die Braunschweiger in solcher Lage nicht die Geduld ver-
lieren sollen? Das aufgeregte Land bedurfte durchaus einer endgiltigen
Ordnung. Die Landstände versammelten sich und überreichten dem Herzog
Wilhelm am 27. September eine Adresse, worin sie, nach einer grell gefärbten
Darstellung der Landesbeschwerden, kühnlich aussprachen, er müsse die Re-
gierung übernehmen, weil Herzog Karl "nach den Grundsätzen des allge-
meinen Staatsrechts" sie unmöglich fortführen könne. Der junge Welfe

*) Minister v. Ompteda an Bernstorff, 14. Sept. Bericht des hannov. Ministe-
riums an K. Wilhelm IV., 14. Sept. 1830.
**) Bülow's Berichte, London 16. 20. Sept. Münster an das hannov. Ministe-
rium, 5. Oct. 1830.
***) Vollmacht Herzog Karl's für H. Wilhelm, London 21. Sept. 1830.

Herzog Karl in England.
ſchaffen.*) König Wilhelm IV. äußerte ſich tief entrüſtet über den Aufruhr
und die dem welfiſchen Hauſe angethane Schmach. Der gutmüthige Herr
theilte den Haß ſeines verſtorbenen Bruders gegen Herzog Karl durchaus
nicht, ſondern empfing den Flüchtling wohlwollend, als dieſer ihn wenige
Tage nach der Landung im Pavillon zu Brighton aufſuchte. Aber wie
groß war ſein Befremden, da er nun den geckenhaften Uebermuth, die
ſchamloſe Verlogenheit ſeines Neffen kennen lernte. Karl hatte noch immer
keine Ahnung von dem Ernſt ſeiner Lage; er hoffte beſtimmt, durch die
großen Mächte, deren Hilfe er angerufen, alsbald wieder eingeſetzt zu
werden, und erzählte ſeinem Oheim lachend: nur aus Liebe, nur um ihn
im Lande zu behalten und ſeine längſt beabſichtigte engliſche Reiſe zu ver-
hindern hätten ihm die Braunſchweiger ſein Schloß angezündet.**) Durch
die engliſchen Miniſter ließ er ſich indeß bereden, ſeinem Bruder, der
ihm über alles Geſchehene gewiſſenhaft Bericht erſtattete, mindeſtens eine
widerrufliche Vollmacht zu ertheilen (21. Sept.): Herzog Wilhelm ſollte
als Generalgouverneur vorläufig die Regierung führen, jedoch nur pro-
viſoriſche Ernennungen vornehmen und an den organiſchen Geſetzen nichts
ändern.***)

Aber welch eine lächerliche Rolle ſpielte unterdeſſen der Bundestag.
Die Abſtimmungen über den Bundesbeſchluß, welcher den Herzog Karl
zur Anerkennung der neuen Verfaſſung nöthigen ſollte, waren noch immer
nicht alle eingelaufen; da kam ſchon die Nachricht von der Vertreibung des
Böſewichts. Unbeſchreiblich war der Schrecken. Alle fühlten, daß Karl’s
Sturz ſelbſtverſchuldet und unwiderruflich ſei. Doch ſo leichthin wollte
Oeſterreich ſeinen Schützling nicht preisgeben. Die kleinen Höfe, zumal
die weitverzweigte Verwandtſchaft des Braunſchweigiſchen Hauſes, zitterten
vor der Zumuthung, daß ſie die Revolution anerkennen, das legitime
Fürſtenrecht verleugnen ſollten. Wirr wogten die Meinungen durch ein-
ander, an raſches Handeln war gar nicht zu denken. Die rathloſe Ver-
ſammlung ermannte ſich vorerſt nur zu dem Beſchluſſe, einen Bericht
der braunſchweigiſchen Regierung einzufordern.

Wie hätten die Braunſchweiger in ſolcher Lage nicht die Geduld ver-
lieren ſollen? Das aufgeregte Land bedurfte durchaus einer endgiltigen
Ordnung. Die Landſtände verſammelten ſich und überreichten dem Herzog
Wilhelm am 27. September eine Adreſſe, worin ſie, nach einer grell gefärbten
Darſtellung der Landesbeſchwerden, kühnlich ausſprachen, er müſſe die Re-
gierung übernehmen, weil Herzog Karl „nach den Grundſätzen des allge-
meinen Staatsrechts“ ſie unmöglich fortführen könne. Der junge Welfe

*) Miniſter v. Ompteda an Bernſtorff, 14. Sept. Bericht des hannov. Miniſte-
riums an K. Wilhelm IV., 14. Sept. 1830.
**) Bülow’s Berichte, London 16. 20. Sept. Münſter an das hannov. Miniſte-
rium, 5. Oct. 1830.
***) Vollmacht Herzog Karl’s für H. Wilhelm, London 21. Sept. 1830.
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[105/0119] Herzog Karl in England. ſchaffen. *) König Wilhelm IV. äußerte ſich tief entrüſtet über den Aufruhr und die dem welfiſchen Hauſe angethane Schmach. Der gutmüthige Herr theilte den Haß ſeines verſtorbenen Bruders gegen Herzog Karl durchaus nicht, ſondern empfing den Flüchtling wohlwollend, als dieſer ihn wenige Tage nach der Landung im Pavillon zu Brighton aufſuchte. Aber wie groß war ſein Befremden, da er nun den geckenhaften Uebermuth, die ſchamloſe Verlogenheit ſeines Neffen kennen lernte. Karl hatte noch immer keine Ahnung von dem Ernſt ſeiner Lage; er hoffte beſtimmt, durch die großen Mächte, deren Hilfe er angerufen, alsbald wieder eingeſetzt zu werden, und erzählte ſeinem Oheim lachend: nur aus Liebe, nur um ihn im Lande zu behalten und ſeine längſt beabſichtigte engliſche Reiſe zu ver- hindern hätten ihm die Braunſchweiger ſein Schloß angezündet. **) Durch die engliſchen Miniſter ließ er ſich indeß bereden, ſeinem Bruder, der ihm über alles Geſchehene gewiſſenhaft Bericht erſtattete, mindeſtens eine widerrufliche Vollmacht zu ertheilen (21. Sept.): Herzog Wilhelm ſollte als Generalgouverneur vorläufig die Regierung führen, jedoch nur pro- viſoriſche Ernennungen vornehmen und an den organiſchen Geſetzen nichts ändern. ***) Aber welch eine lächerliche Rolle ſpielte unterdeſſen der Bundestag. Die Abſtimmungen über den Bundesbeſchluß, welcher den Herzog Karl zur Anerkennung der neuen Verfaſſung nöthigen ſollte, waren noch immer nicht alle eingelaufen; da kam ſchon die Nachricht von der Vertreibung des Böſewichts. Unbeſchreiblich war der Schrecken. Alle fühlten, daß Karl’s Sturz ſelbſtverſchuldet und unwiderruflich ſei. Doch ſo leichthin wollte Oeſterreich ſeinen Schützling nicht preisgeben. Die kleinen Höfe, zumal die weitverzweigte Verwandtſchaft des Braunſchweigiſchen Hauſes, zitterten vor der Zumuthung, daß ſie die Revolution anerkennen, das legitime Fürſtenrecht verleugnen ſollten. Wirr wogten die Meinungen durch ein- ander, an raſches Handeln war gar nicht zu denken. Die rathloſe Ver- ſammlung ermannte ſich vorerſt nur zu dem Beſchluſſe, einen Bericht der braunſchweigiſchen Regierung einzufordern. Wie hätten die Braunſchweiger in ſolcher Lage nicht die Geduld ver- lieren ſollen? Das aufgeregte Land bedurfte durchaus einer endgiltigen Ordnung. Die Landſtände verſammelten ſich und überreichten dem Herzog Wilhelm am 27. September eine Adreſſe, worin ſie, nach einer grell gefärbten Darſtellung der Landesbeſchwerden, kühnlich ausſprachen, er müſſe die Re- gierung übernehmen, weil Herzog Karl „nach den Grundſätzen des allge- meinen Staatsrechts“ ſie unmöglich fortführen könne. Der junge Welfe *) Miniſter v. Ompteda an Bernſtorff, 14. Sept. Bericht des hannov. Miniſte- riums an K. Wilhelm IV., 14. Sept. 1830. **) Bülow’s Berichte, London 16. 20. Sept. Münſter an das hannov. Miniſte- rium, 5. Oct. 1830. ***) Vollmacht Herzog Karl’s für H. Wilhelm, London 21. Sept. 1830.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/119>, abgerufen am 29.03.2024.