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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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Ministerium Lindenau-Zeschau.
hatten. Man prahlte mit dem Heldenmuthe der "sächsischen Julikämpfer",
der die widerstrebende Krone zur Gewährung der Freiheit fortgerissen
habe. "Alle Bewohner Europas in allen Städten und Dörfern theilen
gleiche politische Gesinnung -- meinte der Bienenvater Richter -- darum
wurde die große Woche von Paris sofort die von ganz Europa." Der
neue weltbürgerliche Radicalismus, der überall in der Luft lag, drang
unmerklich auch in Sachsen ein, und die ausländischen Schriftsteller,
welche sich nach und nach in Leipzig zusammenfanden, nährten ihn ebenso
eifrig wie die polnischen Flüchtlinge in Dresden. Im Erzgebirge war der
Nothstand groß, und es zeigten sich schon die ersten Keime socialen Un-
friedens; die Regierung aber that wenig um die Arbeiter vor Ausbeutung
zu schützen, sie stand noch rathlos vor der so plötzlich aufschießenden Macht
der Großindustrie. Die undeutsche Soldatenspielerei der Communalgarden
nährte den Uebermuth der Mittelklassen. Kleine Reibungen konnten nicht
ausbleiben, da die Truppen ihre Meinung über dies Bürgerheer, das
sich gegen die Aufrührer so schlecht bewährt hatte, oft sehr deutlich aus-
sprachen; auf den Exercirplätzen lautete der schlimmste Tadel: das geht
ja wie bei der Communalgarde! Boshafte Märchen kamen in Umlauf,
als der unglückliche Mosdorf in seiner Festungshaft sich erhängte, als der
Bienenvater Richter sein ganz verwildertes Blatt aufgeben mußte und
nach Amerika auswanderte. Die schwarzen Schützen hießen die sächsischen
Prätorianer, und mit unbegreiflicher Gehässigkeit richtete sich das Miß-
trauen des lutherischen Volkes gegen den Prinzen Johann, der seine
Beliebtheit rasch verlor: er sollte durchaus ein Jesuit sein, obwohl man
gerade ihm das Verbot des Jesuitenordens verdankte, er sollte am Hofe
geheime Ränke spinnen -- und was der Thorheit mehr war. Die Klatscherei
der Philister hatte freies Feld, da eine gebildete liberale Presse hierzulande
noch ganz fehlte, und wenn sich dereinst die rechten Demagogen fanden,
so konnte die kleinliche Verstimmung leicht in wüsten Radicalismus aus-
arten. --


Später als in Kursachsen entbrannte in Hannover der Kampf gegen
die Adelsherrschaft. "Bei uns bleibt Alles ruhig, wir haben ja auch
keinen Grund zur Klage" -- so sprach man stolz in den Göttinger Pro-
fessorenkreisen, als die ersten Nachrichten von den Kasseler Unruhen an-
langten. Die von der letzten Mißernte schwer heimgesuchten Bauern
dachten anders; man sah sie häufig auf dem Ti zusammentreten um über
die Barschheit der Beamten, den Hochmuth der Gutsherren, die Zehnten,
die Frohnden, die Jagdrechte zu klagen; in einzelnen kleinen Amtsstädten
bildeten die Bürger schon im Herbst Sicherheitswachen, weil sie Angriffe des
aufgeregten Landvolks befürchteten. Der dumpfe, unklare Groll bedurfte
eines Namens, dem sich alle Sünden des Adelsregimentes aufbürden
ließen; und dieser Feind ward ihm gewiesen, als gegen Weihnachten 1830

Miniſterium Lindenau-Zeſchau.
hatten. Man prahlte mit dem Heldenmuthe der „ſächſiſchen Julikämpfer“,
der die widerſtrebende Krone zur Gewährung der Freiheit fortgeriſſen
habe. „Alle Bewohner Europas in allen Städten und Dörfern theilen
gleiche politiſche Geſinnung — meinte der Bienenvater Richter — darum
wurde die große Woche von Paris ſofort die von ganz Europa.“ Der
neue weltbürgerliche Radicalismus, der überall in der Luft lag, drang
unmerklich auch in Sachſen ein, und die ausländiſchen Schriftſteller,
welche ſich nach und nach in Leipzig zuſammenfanden, nährten ihn ebenſo
eifrig wie die polniſchen Flüchtlinge in Dresden. Im Erzgebirge war der
Nothſtand groß, und es zeigten ſich ſchon die erſten Keime ſocialen Un-
friedens; die Regierung aber that wenig um die Arbeiter vor Ausbeutung
zu ſchützen, ſie ſtand noch rathlos vor der ſo plötzlich aufſchießenden Macht
der Großinduſtrie. Die undeutſche Soldatenſpielerei der Communalgarden
nährte den Uebermuth der Mittelklaſſen. Kleine Reibungen konnten nicht
ausbleiben, da die Truppen ihre Meinung über dies Bürgerheer, das
ſich gegen die Aufrührer ſo ſchlecht bewährt hatte, oft ſehr deutlich aus-
ſprachen; auf den Exercirplätzen lautete der ſchlimmſte Tadel: das geht
ja wie bei der Communalgarde! Boshafte Märchen kamen in Umlauf,
als der unglückliche Mosdorf in ſeiner Feſtungshaft ſich erhängte, als der
Bienenvater Richter ſein ganz verwildertes Blatt aufgeben mußte und
nach Amerika auswanderte. Die ſchwarzen Schützen hießen die ſächſiſchen
Prätorianer, und mit unbegreiflicher Gehäſſigkeit richtete ſich das Miß-
trauen des lutheriſchen Volkes gegen den Prinzen Johann, der ſeine
Beliebtheit raſch verlor: er ſollte durchaus ein Jeſuit ſein, obwohl man
gerade ihm das Verbot des Jeſuitenordens verdankte, er ſollte am Hofe
geheime Ränke ſpinnen — und was der Thorheit mehr war. Die Klatſcherei
der Philiſter hatte freies Feld, da eine gebildete liberale Preſſe hierzulande
noch ganz fehlte, und wenn ſich dereinſt die rechten Demagogen fanden,
ſo konnte die kleinliche Verſtimmung leicht in wüſten Radicalismus aus-
arten. —


Später als in Kurſachſen entbrannte in Hannover der Kampf gegen
die Adelsherrſchaft. „Bei uns bleibt Alles ruhig, wir haben ja auch
keinen Grund zur Klage“ — ſo ſprach man ſtolz in den Göttinger Pro-
feſſorenkreiſen, als die erſten Nachrichten von den Kaſſeler Unruhen an-
langten. Die von der letzten Mißernte ſchwer heimgeſuchten Bauern
dachten anders; man ſah ſie häufig auf dem Ti zuſammentreten um über
die Barſchheit der Beamten, den Hochmuth der Gutsherren, die Zehnten,
die Frohnden, die Jagdrechte zu klagen; in einzelnen kleinen Amtsſtädten
bildeten die Bürger ſchon im Herbſt Sicherheitswachen, weil ſie Angriffe des
aufgeregten Landvolks befürchteten. Der dumpfe, unklare Groll bedurfte
eines Namens, dem ſich alle Sünden des Adelsregimentes aufbürden
ließen; und dieſer Feind ward ihm gewieſen, als gegen Weihnachten 1830

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[153/0167] Miniſterium Lindenau-Zeſchau. hatten. Man prahlte mit dem Heldenmuthe der „ſächſiſchen Julikämpfer“, der die widerſtrebende Krone zur Gewährung der Freiheit fortgeriſſen habe. „Alle Bewohner Europas in allen Städten und Dörfern theilen gleiche politiſche Geſinnung — meinte der Bienenvater Richter — darum wurde die große Woche von Paris ſofort die von ganz Europa.“ Der neue weltbürgerliche Radicalismus, der überall in der Luft lag, drang unmerklich auch in Sachſen ein, und die ausländiſchen Schriftſteller, welche ſich nach und nach in Leipzig zuſammenfanden, nährten ihn ebenſo eifrig wie die polniſchen Flüchtlinge in Dresden. Im Erzgebirge war der Nothſtand groß, und es zeigten ſich ſchon die erſten Keime ſocialen Un- friedens; die Regierung aber that wenig um die Arbeiter vor Ausbeutung zu ſchützen, ſie ſtand noch rathlos vor der ſo plötzlich aufſchießenden Macht der Großinduſtrie. Die undeutſche Soldatenſpielerei der Communalgarden nährte den Uebermuth der Mittelklaſſen. Kleine Reibungen konnten nicht ausbleiben, da die Truppen ihre Meinung über dies Bürgerheer, das ſich gegen die Aufrührer ſo ſchlecht bewährt hatte, oft ſehr deutlich aus- ſprachen; auf den Exercirplätzen lautete der ſchlimmſte Tadel: das geht ja wie bei der Communalgarde! Boshafte Märchen kamen in Umlauf, als der unglückliche Mosdorf in ſeiner Feſtungshaft ſich erhängte, als der Bienenvater Richter ſein ganz verwildertes Blatt aufgeben mußte und nach Amerika auswanderte. Die ſchwarzen Schützen hießen die ſächſiſchen Prätorianer, und mit unbegreiflicher Gehäſſigkeit richtete ſich das Miß- trauen des lutheriſchen Volkes gegen den Prinzen Johann, der ſeine Beliebtheit raſch verlor: er ſollte durchaus ein Jeſuit ſein, obwohl man gerade ihm das Verbot des Jeſuitenordens verdankte, er ſollte am Hofe geheime Ränke ſpinnen — und was der Thorheit mehr war. Die Klatſcherei der Philiſter hatte freies Feld, da eine gebildete liberale Preſſe hierzulande noch ganz fehlte, und wenn ſich dereinſt die rechten Demagogen fanden, ſo konnte die kleinliche Verſtimmung leicht in wüſten Radicalismus aus- arten. — Später als in Kurſachſen entbrannte in Hannover der Kampf gegen die Adelsherrſchaft. „Bei uns bleibt Alles ruhig, wir haben ja auch keinen Grund zur Klage“ — ſo ſprach man ſtolz in den Göttinger Pro- feſſorenkreiſen, als die erſten Nachrichten von den Kaſſeler Unruhen an- langten. Die von der letzten Mißernte ſchwer heimgeſuchten Bauern dachten anders; man ſah ſie häufig auf dem Ti zuſammentreten um über die Barſchheit der Beamten, den Hochmuth der Gutsherren, die Zehnten, die Frohnden, die Jagdrechte zu klagen; in einzelnen kleinen Amtsſtädten bildeten die Bürger ſchon im Herbſt Sicherheitswachen, weil ſie Angriffe des aufgeregten Landvolks befürchteten. Der dumpfe, unklare Groll bedurfte eines Namens, dem ſich alle Sünden des Adelsregimentes aufbürden ließen; und dieſer Feind ward ihm gewieſen, als gegen Weihnachten 1830

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/167>, abgerufen am 18.04.2024.