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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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IV. 2. Die constitutionelle Bewegung in Norddeutschland.
haushalt, da sie das Deficit fünfmal höher schätzten als die Regierung
angab. Zwischen dem Herzog von Augustenburg, dem harten Aristokraten,
und den bäuerlichen Abgeordneten Schleswigs kam es auch schon zu
lebhaften Wortgefechten, welche den verhaltenen Parteihaß errathen ließen.

Ernste Kämpfe brachte aber erst die zweite Tagung im Jahre 1838,
als die dreisten Uebergriffe der Kopenhagener Demokratie das Selbstgefühl
der Deutschen geweckt hatten. Auf den Vorschlag des jungen Anwalts
Orla Lehmann, eines feurigen, rücksichtslosen Demagogen beschloß die
dänische Gesellschaft für Preßfreiheit (1836) ihre Thätigkeit auch auf Nord-
schleswig zu erstrecken. Ueberall im Norden der Schlei bildete sie ihre
Zweigvereine. Bald darauf ward die Schleswigsche Gesellschaft zur Ver-
breitung dänischer Bücher gegründet. In der deutschen Stadt Hadersleben
erschien ein dänisches Blatt Dannevirke, das schon durch seinen Namen
den Kampf um die Eidergrenze ankündigte. Seitdem begann ein unruhiges
Drängen und Treiben auf dem flachen Lande Nordschleswigs. So viele
Jahrhunderte hindurch redete dies Grenzvolk im Hause seinen dänischen
Dialekt, den die Inseldänen kaum verstanden, und ehrte das Deutsche
als die Sprache der Bildung und des großen Verkehrs; Niemand nahm
Anstoß an einem Zustande, der sich ohne jeden Zwang aus der Geschichte
des Landes herausgebildet hatte. Jetzt wurde den friedfertigen Bauern
Nordschleswigs Tag für Tag der Haß gegen die deutschen Unterdrücker
durch die Zeitschriften und Sendboten der Kopenhagener gepredigt, und
bald zeigte sich auch hier, wie übermächtig der nationale Gedanke in diesem
Zeitalter herrschte, das sich im Streite gegen das napoleonische Weltreich
seinen Charakter gebildet hatte. Eine von außen hereingetragene nationale
Propaganda genügte, um einen gefährlichen Gegensatz von Nord und Süd
hervorzurufen in diesem Schleswig, das zu allen Zeiten, auch in seinen
Kämpfen wider Dänemark, treu zusammen geblieben war. Im Sundewitt
vornehmlich, dicht vor den Thoren der deutschen Stadt Flensburg, trugen
die Bauern ihre Begeisterung für Gammel Dannemark herausfordernd
zur Schau.

Diese Umtriebe der Dänen nöthigten die Deutschen endlich zur Ab-
wehr. Auf beiden Landtagen, in Schleswig wie in Itzehoe wurde die
Bitte um Vereinigung der schleswigholsteinischen Landstände, die vor drei
Jahren noch zu kühn erschienen war, jetzt beschlossen. Aber noch fehlte viel
daran, daß die deutsche Gutmüthigkeit den ganzen Umfang der Gefahr
erkannt hätte. Als der Abgeordnete Lorentzen, ein beredter, liberaler
Bauer aus Nordschleswig, die Einführung der dänischen Gerichtssprache
in den dänisch redenden Bezirken Schleswigs befürwortete, da fand selbst
Falck den Vorschlag unverfänglich; der arglose Gelehrte ahnte nicht, wie
unheimlich das Stillleben seiner nordschleswigschen Heimath in den letzten
Jahren sich verändert hatte. Vergeblich warnte der Herzog von Augusten-
burg, der diesmal weiter sah. Der Antrag wurde mit geringer Mehrheit

IV. 2. Die conſtitutionelle Bewegung in Norddeutſchland.
haushalt, da ſie das Deficit fünfmal höher ſchätzten als die Regierung
angab. Zwiſchen dem Herzog von Auguſtenburg, dem harten Ariſtokraten,
und den bäuerlichen Abgeordneten Schleswigs kam es auch ſchon zu
lebhaften Wortgefechten, welche den verhaltenen Parteihaß errathen ließen.

Ernſte Kämpfe brachte aber erſt die zweite Tagung im Jahre 1838,
als die dreiſten Uebergriffe der Kopenhagener Demokratie das Selbſtgefühl
der Deutſchen geweckt hatten. Auf den Vorſchlag des jungen Anwalts
Orla Lehmann, eines feurigen, rückſichtsloſen Demagogen beſchloß die
däniſche Geſellſchaft für Preßfreiheit (1836) ihre Thätigkeit auch auf Nord-
ſchleswig zu erſtrecken. Ueberall im Norden der Schlei bildete ſie ihre
Zweigvereine. Bald darauf ward die Schleswigſche Geſellſchaft zur Ver-
breitung däniſcher Bücher gegründet. In der deutſchen Stadt Hadersleben
erſchien ein däniſches Blatt Dannevirke, das ſchon durch ſeinen Namen
den Kampf um die Eidergrenze ankündigte. Seitdem begann ein unruhiges
Drängen und Treiben auf dem flachen Lande Nordſchleswigs. So viele
Jahrhunderte hindurch redete dies Grenzvolk im Hauſe ſeinen däniſchen
Dialekt, den die Inſeldänen kaum verſtanden, und ehrte das Deutſche
als die Sprache der Bildung und des großen Verkehrs; Niemand nahm
Anſtoß an einem Zuſtande, der ſich ohne jeden Zwang aus der Geſchichte
des Landes herausgebildet hatte. Jetzt wurde den friedfertigen Bauern
Nordſchleswigs Tag für Tag der Haß gegen die deutſchen Unterdrücker
durch die Zeitſchriften und Sendboten der Kopenhagener gepredigt, und
bald zeigte ſich auch hier, wie übermächtig der nationale Gedanke in dieſem
Zeitalter herrſchte, das ſich im Streite gegen das napoleoniſche Weltreich
ſeinen Charakter gebildet hatte. Eine von außen hereingetragene nationale
Propaganda genügte, um einen gefährlichen Gegenſatz von Nord und Süd
hervorzurufen in dieſem Schleswig, das zu allen Zeiten, auch in ſeinen
Kämpfen wider Dänemark, treu zuſammen geblieben war. Im Sundewitt
vornehmlich, dicht vor den Thoren der deutſchen Stadt Flensburg, trugen
die Bauern ihre Begeiſterung für Gammel Dannemark herausfordernd
zur Schau.

Dieſe Umtriebe der Dänen nöthigten die Deutſchen endlich zur Ab-
wehr. Auf beiden Landtagen, in Schleswig wie in Itzehoe wurde die
Bitte um Vereinigung der ſchleswigholſteiniſchen Landſtände, die vor drei
Jahren noch zu kühn erſchienen war, jetzt beſchloſſen. Aber noch fehlte viel
daran, daß die deutſche Gutmüthigkeit den ganzen Umfang der Gefahr
erkannt hätte. Als der Abgeordnete Lorentzen, ein beredter, liberaler
Bauer aus Nordſchleswig, die Einführung der däniſchen Gerichtsſprache
in den däniſch redenden Bezirken Schleswigs befürwortete, da fand ſelbſt
Falck den Vorſchlag unverfänglich; der argloſe Gelehrte ahnte nicht, wie
unheimlich das Stillleben ſeiner nordſchleswigſchen Heimath in den letzten
Jahren ſich verändert hatte. Vergeblich warnte der Herzog von Auguſten-
burg, der diesmal weiter ſah. Der Antrag wurde mit geringer Mehrheit

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[176/0190] IV. 2. Die conſtitutionelle Bewegung in Norddeutſchland. haushalt, da ſie das Deficit fünfmal höher ſchätzten als die Regierung angab. Zwiſchen dem Herzog von Auguſtenburg, dem harten Ariſtokraten, und den bäuerlichen Abgeordneten Schleswigs kam es auch ſchon zu lebhaften Wortgefechten, welche den verhaltenen Parteihaß errathen ließen. Ernſte Kämpfe brachte aber erſt die zweite Tagung im Jahre 1838, als die dreiſten Uebergriffe der Kopenhagener Demokratie das Selbſtgefühl der Deutſchen geweckt hatten. Auf den Vorſchlag des jungen Anwalts Orla Lehmann, eines feurigen, rückſichtsloſen Demagogen beſchloß die däniſche Geſellſchaft für Preßfreiheit (1836) ihre Thätigkeit auch auf Nord- ſchleswig zu erſtrecken. Ueberall im Norden der Schlei bildete ſie ihre Zweigvereine. Bald darauf ward die Schleswigſche Geſellſchaft zur Ver- breitung däniſcher Bücher gegründet. In der deutſchen Stadt Hadersleben erſchien ein däniſches Blatt Dannevirke, das ſchon durch ſeinen Namen den Kampf um die Eidergrenze ankündigte. Seitdem begann ein unruhiges Drängen und Treiben auf dem flachen Lande Nordſchleswigs. So viele Jahrhunderte hindurch redete dies Grenzvolk im Hauſe ſeinen däniſchen Dialekt, den die Inſeldänen kaum verſtanden, und ehrte das Deutſche als die Sprache der Bildung und des großen Verkehrs; Niemand nahm Anſtoß an einem Zuſtande, der ſich ohne jeden Zwang aus der Geſchichte des Landes herausgebildet hatte. Jetzt wurde den friedfertigen Bauern Nordſchleswigs Tag für Tag der Haß gegen die deutſchen Unterdrücker durch die Zeitſchriften und Sendboten der Kopenhagener gepredigt, und bald zeigte ſich auch hier, wie übermächtig der nationale Gedanke in dieſem Zeitalter herrſchte, das ſich im Streite gegen das napoleoniſche Weltreich ſeinen Charakter gebildet hatte. Eine von außen hereingetragene nationale Propaganda genügte, um einen gefährlichen Gegenſatz von Nord und Süd hervorzurufen in dieſem Schleswig, das zu allen Zeiten, auch in ſeinen Kämpfen wider Dänemark, treu zuſammen geblieben war. Im Sundewitt vornehmlich, dicht vor den Thoren der deutſchen Stadt Flensburg, trugen die Bauern ihre Begeiſterung für Gammel Dannemark herausfordernd zur Schau. Dieſe Umtriebe der Dänen nöthigten die Deutſchen endlich zur Ab- wehr. Auf beiden Landtagen, in Schleswig wie in Itzehoe wurde die Bitte um Vereinigung der ſchleswigholſteiniſchen Landſtände, die vor drei Jahren noch zu kühn erſchienen war, jetzt beſchloſſen. Aber noch fehlte viel daran, daß die deutſche Gutmüthigkeit den ganzen Umfang der Gefahr erkannt hätte. Als der Abgeordnete Lorentzen, ein beredter, liberaler Bauer aus Nordſchleswig, die Einführung der däniſchen Gerichtsſprache in den däniſch redenden Bezirken Schleswigs befürwortete, da fand ſelbſt Falck den Vorſchlag unverfänglich; der argloſe Gelehrte ahnte nicht, wie unheimlich das Stillleben ſeiner nordſchleswigſchen Heimath in den letzten Jahren ſich verändert hatte. Vergeblich warnte der Herzog von Auguſten- burg, der diesmal weiter ſah. Der Antrag wurde mit geringer Mehrheit

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/190>, abgerufen am 28.03.2024.