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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede.

Während die Ostmächte also noch ohne Ergebniß unter sich verhan-
delten, hatte England bereits seinen Entschluß gefaßt und abermals
unzweideutig bewiesen, daß der alte Vierbund zersprengt war. Wellington
stand noch am Ruder. Derselbe Staatsmann, der vor fünfzehn Jahren
die Wiederherstellung der Bourbonen am eifrigsten gefördert hatte, zog
jetzt zuerst seine Hand von ihnen ab. Ganz ebenso unbedenklich hatte
er vor Kurzem zwei andere Freunde, den Sultan und den Dey von
Algier preisgegeben. Es war die alte Treue Albions. Selbst die Torys
durften eine Regierung, welche sich auf die Grundsätze der englischen
Revolution von 1688 berief, nicht als unrechtmäßig bekämpfen; ihr
Cabinet, das längst schon im Sattel wankte, war sofort verloren, wenn
es sich dem einmüthigen Verlangen der öffentlichen Meinung widersetzte.
Schon am 27. August wurde die Regierung der Orleans von dem eng-
lischen Hofe ohne jede Bedingung anerkannt, und Wellington erklärte
den Ostmächten in einem Rundschreiben, die Lage seines Landes habe
ihm nicht erlaubt die Beschlüsse der Alliirten abzuwarten.

So scheiterte Preußens Plan, durch eine gemeinsame Antwort der
Großmächte dem Juli-Königthum zugleich die Anerkennung zu gewähren
und ihm feste Schranken vorzuzeichnen. Nunmehr schien es dem Berliner
Hofe rathsam, daß auch die anderen Mächte jede für sich ihr Anerkennungs-
schreiben nach Paris sendeten, damit der Zwiespalt zwischen England und
den Ostmächten nicht zu auffällig hervorträte; denn nach wie vor blieben
der König und Graf Bernstorff der Meinung, diese große Krisis müsse
benutzt werden um die große Allianz neu zu beleben.*) Ludwig Philipp
hatte allen mächtigeren Fürsten durch außerordentliche Bevollmächtigte
eigenhändige Briefe gesendet, deren demüthige Haltung einem Beherrscher
Frankreichs übel anstand. Im bittenden Tone des Schuldbewußten ent-
schuldigte er seinen Thronraub. "Ich seufze über das Unglück des älteren
Zweiges meiner Familie," schrieb er an König Ludwig von Baiern. "Mein
einziger Ehrgeiz wäre gewesen, ihm vorzubeugen und auf dem Platze,
wohin mich die Vorsehung gestellt, zu bleiben. Aber die Umstände waren
gebieterisch, ich habe mich opfern müssen. Die geringste Zögerung meiner-
seits konnte das Königreich in Wirren stürzen, deren Ende sich nicht ab-
sehen ließ und die vielleicht die Fortdauer des für das Glück aller Staaten
so unentbehrlichen Friedens gefährdet hätten."**) Mit einem ähnlichen
Briefe erschien General Lobau in Berlin. Am 9. Septbr. antwortete
Friedrich Wilhelm durch ein freundliches Schreiben, worin sich freilich
die unverblümte Bemerkung befand: es ist nicht meines Amtes (il ne
m'appartient pas)
über das Geschehene zu urtheilen. Nachdem er den

*) Bernstorff an Nesselrode, 26. August. Bernstorff, Denkschrift über die An-
erkennung Ludwig Philipp's, Sept. 1830 (abgedruckt bei Natzmer, Unter den Hohen-
zollern I. 293).
**) K. Ludwig Philipp an K. Ludwig 22. August 1830.
IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede.

Während die Oſtmächte alſo noch ohne Ergebniß unter ſich verhan-
delten, hatte England bereits ſeinen Entſchluß gefaßt und abermals
unzweideutig bewieſen, daß der alte Vierbund zerſprengt war. Wellington
ſtand noch am Ruder. Derſelbe Staatsmann, der vor fünfzehn Jahren
die Wiederherſtellung der Bourbonen am eifrigſten gefördert hatte, zog
jetzt zuerſt ſeine Hand von ihnen ab. Ganz ebenſo unbedenklich hatte
er vor Kurzem zwei andere Freunde, den Sultan und den Dey von
Algier preisgegeben. Es war die alte Treue Albions. Selbſt die Torys
durften eine Regierung, welche ſich auf die Grundſätze der engliſchen
Revolution von 1688 berief, nicht als unrechtmäßig bekämpfen; ihr
Cabinet, das längſt ſchon im Sattel wankte, war ſofort verloren, wenn
es ſich dem einmüthigen Verlangen der öffentlichen Meinung widerſetzte.
Schon am 27. Auguſt wurde die Regierung der Orleans von dem eng-
liſchen Hofe ohne jede Bedingung anerkannt, und Wellington erklärte
den Oſtmächten in einem Rundſchreiben, die Lage ſeines Landes habe
ihm nicht erlaubt die Beſchlüſſe der Alliirten abzuwarten.

So ſcheiterte Preußens Plan, durch eine gemeinſame Antwort der
Großmächte dem Juli-Königthum zugleich die Anerkennung zu gewähren
und ihm feſte Schranken vorzuzeichnen. Nunmehr ſchien es dem Berliner
Hofe rathſam, daß auch die anderen Mächte jede für ſich ihr Anerkennungs-
ſchreiben nach Paris ſendeten, damit der Zwieſpalt zwiſchen England und
den Oſtmächten nicht zu auffällig hervorträte; denn nach wie vor blieben
der König und Graf Bernſtorff der Meinung, dieſe große Kriſis müſſe
benutzt werden um die große Allianz neu zu beleben.*) Ludwig Philipp
hatte allen mächtigeren Fürſten durch außerordentliche Bevollmächtigte
eigenhändige Briefe geſendet, deren demüthige Haltung einem Beherrſcher
Frankreichs übel anſtand. Im bittenden Tone des Schuldbewußten ent-
ſchuldigte er ſeinen Thronraub. „Ich ſeufze über das Unglück des älteren
Zweiges meiner Familie,“ ſchrieb er an König Ludwig von Baiern. „Mein
einziger Ehrgeiz wäre geweſen, ihm vorzubeugen und auf dem Platze,
wohin mich die Vorſehung geſtellt, zu bleiben. Aber die Umſtände waren
gebieteriſch, ich habe mich opfern müſſen. Die geringſte Zögerung meiner-
ſeits konnte das Königreich in Wirren ſtürzen, deren Ende ſich nicht ab-
ſehen ließ und die vielleicht die Fortdauer des für das Glück aller Staaten
ſo unentbehrlichen Friedens gefährdet hätten.“**) Mit einem ähnlichen
Briefe erſchien General Lobau in Berlin. Am 9. Septbr. antwortete
Friedrich Wilhelm durch ein freundliches Schreiben, worin ſich freilich
die unverblümte Bemerkung befand: es iſt nicht meines Amtes (il ne
m’appartient pas)
über das Geſchehene zu urtheilen. Nachdem er den

*) Bernſtorff an Neſſelrode, 26. Auguſt. Bernſtorff, Denkſchrift über die An-
erkennung Ludwig Philipp’s, Sept. 1830 (abgedruckt bei Natzmer, Unter den Hohen-
zollern I. 293).
**) K. Ludwig Philipp an K. Ludwig 22. Auguſt 1830.
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[42/0056] IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede. Während die Oſtmächte alſo noch ohne Ergebniß unter ſich verhan- delten, hatte England bereits ſeinen Entſchluß gefaßt und abermals unzweideutig bewieſen, daß der alte Vierbund zerſprengt war. Wellington ſtand noch am Ruder. Derſelbe Staatsmann, der vor fünfzehn Jahren die Wiederherſtellung der Bourbonen am eifrigſten gefördert hatte, zog jetzt zuerſt ſeine Hand von ihnen ab. Ganz ebenſo unbedenklich hatte er vor Kurzem zwei andere Freunde, den Sultan und den Dey von Algier preisgegeben. Es war die alte Treue Albions. Selbſt die Torys durften eine Regierung, welche ſich auf die Grundſätze der engliſchen Revolution von 1688 berief, nicht als unrechtmäßig bekämpfen; ihr Cabinet, das längſt ſchon im Sattel wankte, war ſofort verloren, wenn es ſich dem einmüthigen Verlangen der öffentlichen Meinung widerſetzte. Schon am 27. Auguſt wurde die Regierung der Orleans von dem eng- liſchen Hofe ohne jede Bedingung anerkannt, und Wellington erklärte den Oſtmächten in einem Rundſchreiben, die Lage ſeines Landes habe ihm nicht erlaubt die Beſchlüſſe der Alliirten abzuwarten. So ſcheiterte Preußens Plan, durch eine gemeinſame Antwort der Großmächte dem Juli-Königthum zugleich die Anerkennung zu gewähren und ihm feſte Schranken vorzuzeichnen. Nunmehr ſchien es dem Berliner Hofe rathſam, daß auch die anderen Mächte jede für ſich ihr Anerkennungs- ſchreiben nach Paris ſendeten, damit der Zwieſpalt zwiſchen England und den Oſtmächten nicht zu auffällig hervorträte; denn nach wie vor blieben der König und Graf Bernſtorff der Meinung, dieſe große Kriſis müſſe benutzt werden um die große Allianz neu zu beleben. *) Ludwig Philipp hatte allen mächtigeren Fürſten durch außerordentliche Bevollmächtigte eigenhändige Briefe geſendet, deren demüthige Haltung einem Beherrſcher Frankreichs übel anſtand. Im bittenden Tone des Schuldbewußten ent- ſchuldigte er ſeinen Thronraub. „Ich ſeufze über das Unglück des älteren Zweiges meiner Familie,“ ſchrieb er an König Ludwig von Baiern. „Mein einziger Ehrgeiz wäre geweſen, ihm vorzubeugen und auf dem Platze, wohin mich die Vorſehung geſtellt, zu bleiben. Aber die Umſtände waren gebieteriſch, ich habe mich opfern müſſen. Die geringſte Zögerung meiner- ſeits konnte das Königreich in Wirren ſtürzen, deren Ende ſich nicht ab- ſehen ließ und die vielleicht die Fortdauer des für das Glück aller Staaten ſo unentbehrlichen Friedens gefährdet hätten.“ **) Mit einem ähnlichen Briefe erſchien General Lobau in Berlin. Am 9. Septbr. antwortete Friedrich Wilhelm durch ein freundliches Schreiben, worin ſich freilich die unverblümte Bemerkung befand: es iſt nicht meines Amtes (il ne m’appartient pas) über das Geſchehene zu urtheilen. Nachdem er den *) Bernſtorff an Neſſelrode, 26. Auguſt. Bernſtorff, Denkſchrift über die An- erkennung Ludwig Philipp’s, Sept. 1830 (abgedruckt bei Natzmer, Unter den Hohen- zollern I. 293). **) K. Ludwig Philipp an K. Ludwig 22. Auguſt 1830.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/56>, abgerufen am 24.04.2024.