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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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Anerkennung Ludwig Philipp's.
schweren Schritt gethan, wollte er auch ohne Groll mit dem neuen Nach-
barfürsten verkehren, der ihm sofort mit überschwänglichen Worten seine
ewige Dankbarkeit versicherte. Alexander v. Humboldt, der alte Freund des
Hauses Orleans, erhielt daher vertrauliche Aufträge, als er in diesen
Tagen seine gewohnte Herbstreise nach Paris antrat, und er that das
Seine um ein leidliches Verhältniß zwischen den beiden Höfen herzustellen.
Unterdessen hatte auch Kaiser Franz sein Anerkennungsschreiben nach
Paris gesendet. Die kleinen Fürsten und der Bundestag folgten dem
Beispiele. Nur Czar Nikolaus zögerte noch einige Wochen, und als er
endlich das Unvermeidliche that, konnte er seine Verstimmung doch nicht
bemeistern; jahrelang gefiel er sich darin, durch allerhand diplomatische
Ungezogenheiten den Orleans seine Verachtung zu zeigen. --

Die Frage der Anerkennung Ludwig Philipp's gefährdete, wie die
Dinge standen, den Weltfrieden nicht unmittelbar; bedrohlich ward die
Lage erst, als der belgische Aufstand sich mit der Juli-Revolution ver-
kettete. Der Bürgerkönig selber sah in dem Aufruhr der Belgier nur eine
unwillkommene Verlegenheit. Anders dachte sein Volk. Zu Tausenden
strömten die französischen Freiwilligen und Aufwiegler nach Brabant;
wie ein Mann forderte die radicale Presse die Einverleibung Belgiens
zur Sühne für Leipzig und Belle-Alliance; selbst gemäßigte Blätter be-
haupteten, mit jener naiven Geringschätzung fremden Rechtes, welche die
Franzosen von jeher ausgezeichnet hat, nur durch Eroberungen könne
das neue Herrscherhaus die Herzen seines Volks gewinnen. Allem An-
schein nach mußte Belgien der Herrschaft oder doch dem übermächtigen
Einflusse Frankreichs anheimfallen, wenn der niederländische Gesammt-
staat zerfiel. Und dies Vereinigte Königreich war das eigenste Werk des
Vierbundes, vor Allem doch das Geschöpf der englischen Staatskunst;
denn nur damit England die Hälfte der holländischen Kolonien behalten
könne, hatten die Verbündeten einst den festländischen Besitz der Oranier
so übermäßig vergrößert; vor Kurzem erst waren unter Wellington's
Oberleitung jene Festungen an der belgischen Südgrenze vollendet worden,
welche der Vierbund von den französischen Contributionsgeldern hatte er-
bauen lassen. Wo nicht der Buchstabe, so doch sicherlich der Geist der
Verträge und mehr noch der politische Anstand verpflichteten den englischen
Staat, dies sein Schooßkind nicht kurzerhand preiszugeben. Und welch
ein gefährliches Beispiel gab dieser Aufstand der Priester den grollenden
Iren; schon verkündete O'Connell frohlockend: wenn das katholische Belgien
sich befreie, dann müsse auch Irland das Joch seiner protestantischen
Herren abschütteln. Darum empfing Wellington die Nachrichten aus
Brüssel mit aufrichtigem Bedauern; er wünschte zum mindesten, Belgien
als ein selbständiges Land dem Hause Oranien zu erhalten, und trug
sich einige Tage lang sogar mit dem Plane, englische Truppen in jene
belgischen Festungen zu werfen. Aber die britische Handelspolitik hatte

Anerkennung Ludwig Philipp’s.
ſchweren Schritt gethan, wollte er auch ohne Groll mit dem neuen Nach-
barfürſten verkehren, der ihm ſofort mit überſchwänglichen Worten ſeine
ewige Dankbarkeit verſicherte. Alexander v. Humboldt, der alte Freund des
Hauſes Orleans, erhielt daher vertrauliche Aufträge, als er in dieſen
Tagen ſeine gewohnte Herbſtreiſe nach Paris antrat, und er that das
Seine um ein leidliches Verhältniß zwiſchen den beiden Höfen herzuſtellen.
Unterdeſſen hatte auch Kaiſer Franz ſein Anerkennungsſchreiben nach
Paris geſendet. Die kleinen Fürſten und der Bundestag folgten dem
Beiſpiele. Nur Czar Nikolaus zögerte noch einige Wochen, und als er
endlich das Unvermeidliche that, konnte er ſeine Verſtimmung doch nicht
bemeiſtern; jahrelang gefiel er ſich darin, durch allerhand diplomatiſche
Ungezogenheiten den Orleans ſeine Verachtung zu zeigen. —

Die Frage der Anerkennung Ludwig Philipp’s gefährdete, wie die
Dinge ſtanden, den Weltfrieden nicht unmittelbar; bedrohlich ward die
Lage erſt, als der belgiſche Aufſtand ſich mit der Juli-Revolution ver-
kettete. Der Bürgerkönig ſelber ſah in dem Aufruhr der Belgier nur eine
unwillkommene Verlegenheit. Anders dachte ſein Volk. Zu Tauſenden
ſtrömten die franzöſiſchen Freiwilligen und Aufwiegler nach Brabant;
wie ein Mann forderte die radicale Preſſe die Einverleibung Belgiens
zur Sühne für Leipzig und Belle-Alliance; ſelbſt gemäßigte Blätter be-
haupteten, mit jener naiven Geringſchätzung fremden Rechtes, welche die
Franzoſen von jeher ausgezeichnet hat, nur durch Eroberungen könne
das neue Herrſcherhaus die Herzen ſeines Volks gewinnen. Allem An-
ſchein nach mußte Belgien der Herrſchaft oder doch dem übermächtigen
Einfluſſe Frankreichs anheimfallen, wenn der niederländiſche Geſammt-
ſtaat zerfiel. Und dies Vereinigte Königreich war das eigenſte Werk des
Vierbundes, vor Allem doch das Geſchöpf der engliſchen Staatskunſt;
denn nur damit England die Hälfte der holländiſchen Kolonien behalten
könne, hatten die Verbündeten einſt den feſtländiſchen Beſitz der Oranier
ſo übermäßig vergrößert; vor Kurzem erſt waren unter Wellington’s
Oberleitung jene Feſtungen an der belgiſchen Südgrenze vollendet worden,
welche der Vierbund von den franzöſiſchen Contributionsgeldern hatte er-
bauen laſſen. Wo nicht der Buchſtabe, ſo doch ſicherlich der Geiſt der
Verträge und mehr noch der politiſche Anſtand verpflichteten den engliſchen
Staat, dies ſein Schooßkind nicht kurzerhand preiszugeben. Und welch
ein gefährliches Beiſpiel gab dieſer Aufſtand der Prieſter den grollenden
Iren; ſchon verkündete O’Connell frohlockend: wenn das katholiſche Belgien
ſich befreie, dann müſſe auch Irland das Joch ſeiner proteſtantiſchen
Herren abſchütteln. Darum empfing Wellington die Nachrichten aus
Brüſſel mit aufrichtigem Bedauern; er wünſchte zum mindeſten, Belgien
als ein ſelbſtändiges Land dem Hauſe Oranien zu erhalten, und trug
ſich einige Tage lang ſogar mit dem Plane, engliſche Truppen in jene
belgiſchen Feſtungen zu werfen. Aber die britiſche Handelspolitik hatte

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[43/0057] Anerkennung Ludwig Philipp’s. ſchweren Schritt gethan, wollte er auch ohne Groll mit dem neuen Nach- barfürſten verkehren, der ihm ſofort mit überſchwänglichen Worten ſeine ewige Dankbarkeit verſicherte. Alexander v. Humboldt, der alte Freund des Hauſes Orleans, erhielt daher vertrauliche Aufträge, als er in dieſen Tagen ſeine gewohnte Herbſtreiſe nach Paris antrat, und er that das Seine um ein leidliches Verhältniß zwiſchen den beiden Höfen herzuſtellen. Unterdeſſen hatte auch Kaiſer Franz ſein Anerkennungsſchreiben nach Paris geſendet. Die kleinen Fürſten und der Bundestag folgten dem Beiſpiele. Nur Czar Nikolaus zögerte noch einige Wochen, und als er endlich das Unvermeidliche that, konnte er ſeine Verſtimmung doch nicht bemeiſtern; jahrelang gefiel er ſich darin, durch allerhand diplomatiſche Ungezogenheiten den Orleans ſeine Verachtung zu zeigen. — Die Frage der Anerkennung Ludwig Philipp’s gefährdete, wie die Dinge ſtanden, den Weltfrieden nicht unmittelbar; bedrohlich ward die Lage erſt, als der belgiſche Aufſtand ſich mit der Juli-Revolution ver- kettete. Der Bürgerkönig ſelber ſah in dem Aufruhr der Belgier nur eine unwillkommene Verlegenheit. Anders dachte ſein Volk. Zu Tauſenden ſtrömten die franzöſiſchen Freiwilligen und Aufwiegler nach Brabant; wie ein Mann forderte die radicale Preſſe die Einverleibung Belgiens zur Sühne für Leipzig und Belle-Alliance; ſelbſt gemäßigte Blätter be- haupteten, mit jener naiven Geringſchätzung fremden Rechtes, welche die Franzoſen von jeher ausgezeichnet hat, nur durch Eroberungen könne das neue Herrſcherhaus die Herzen ſeines Volks gewinnen. Allem An- ſchein nach mußte Belgien der Herrſchaft oder doch dem übermächtigen Einfluſſe Frankreichs anheimfallen, wenn der niederländiſche Geſammt- ſtaat zerfiel. Und dies Vereinigte Königreich war das eigenſte Werk des Vierbundes, vor Allem doch das Geſchöpf der engliſchen Staatskunſt; denn nur damit England die Hälfte der holländiſchen Kolonien behalten könne, hatten die Verbündeten einſt den feſtländiſchen Beſitz der Oranier ſo übermäßig vergrößert; vor Kurzem erſt waren unter Wellington’s Oberleitung jene Feſtungen an der belgiſchen Südgrenze vollendet worden, welche der Vierbund von den franzöſiſchen Contributionsgeldern hatte er- bauen laſſen. Wo nicht der Buchſtabe, ſo doch ſicherlich der Geiſt der Verträge und mehr noch der politiſche Anſtand verpflichteten den engliſchen Staat, dies ſein Schooßkind nicht kurzerhand preiszugeben. Und welch ein gefährliches Beiſpiel gab dieſer Aufſtand der Prieſter den grollenden Iren; ſchon verkündete O’Connell frohlockend: wenn das katholiſche Belgien ſich befreie, dann müſſe auch Irland das Joch ſeiner proteſtantiſchen Herren abſchütteln. Darum empfing Wellington die Nachrichten aus Brüſſel mit aufrichtigem Bedauern; er wünſchte zum mindeſten, Belgien als ein ſelbſtändiges Land dem Hauſe Oranien zu erhalten, und trug ſich einige Tage lang ſogar mit dem Plane, engliſche Truppen in jene belgiſchen Feſtungen zu werfen. Aber die britiſche Handelspolitik hatte

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/57>, abgerufen am 28.03.2024.