Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

Bild:
<< vorherige Seite

XXII. Das Frankfurter Attentat.
räthern wurden, vergaß ich ganz meine eigene Lage. In den nun folgenden Verhören
gab ich natürlich immer an, ich sei nach Frankfurt gekommen auf der Reise ins Nassauische,
und da von dort und von Haus dasselbe gerichtlich erhoben wurde, war man nahe
daran, mich frei zu lassen. --

Anfang Mai wurde Rottenstein aus der Haft entlassen; die Correspondenz speciell
mit Fräulein Stolze erlitt aber keine Unterbrechung, da der Barbier, der zwei bis drei
mal wöchentlich zum Rasiren kam, Zettelchen heraus und herein beförderte, obschon zwei
Soldaten und zwei Wächter immer während der Operation um uns herum standen und
aufpaßten, und da in den ausgehöhlten Stöpseln in den beiden Bierflaschen, die mir von
Frankfurter Wohlthätern täglich zugeschickt wurden, immer Briefchen spedirt wurden.
Einmal glaubte ich am Benehmen des Gefangenwärters zu bemerken, daß er auf die
Stöpsel der Bierflaschen fahnde, und ich meldete hinaus, man solle diesen Beförderungs-
Modus unterlassen und in Zukunft in die untere Höhlung im Boden dazu geeigneter
Flaschen die Zettel stecken und darüber eine Schicht schwarzen Pechs decken. So geschah
es. Noch etwa vierzehn Tage lang wurde derart correspondirt, da wurde plötzlich ver-
boten, ich dürfe kein Bier mehr zugeschickt bekommen. Und im Verhör wurde mir ein
Stöpsel vorgelegt, in den ein Zettelchen unerheblichen Inhalts gesteckt war, das ich ge-
schrieben haben sollte. Man hatte noch vierzehn Tage lang die Flaschen mit den Zettel-
chen im Boden auf das Verhöramt bringen lassen und befördert, ohne etwas zu finden.
Rottenstein hatte mir einen kleinen Spiegel zurückgelassen, in dessen hinterer seitlicher
Wand ein verborgener Behälter angebracht war, in dem ich einen Bleistift mit etwas
Papier versteckt hatte, das ich derart immer bei den verschiedenen Versetzungen in andere
Gefängnisse wieder erhielt. -- Einmal wurde ein Kirschkuchen für mich ins Gefängniß
geschickt, in den eine Uhrfedersäge eingebacken war. Der schlaue Gefangenwärter hatte
Verdacht, durchschnitt den Kuchen und fand die Säge. Ich wußte nichts von der Sache
und erfuhr erst später davon. --

Nach einer längeren Schilderung des Kerkerlebens, der Verhöre, der wiederholten
Fluchtversuche heißt es dann weiter:

... Gegen das Frühjahr 1834 wurde ein Befreiungsplan in großem Maßstabe in
Angriff genommen. Es sollten alle gegen die Zeil und theilweise die Fahrgasse Inhaf-
tirten zugleich ausbrechen. Es waren unserer acht (zwischen je zwei war immer eine
von uns nicht besetzte Zelle, um Communication zu verhindern). Im Hof war ein
neuer Abtritt gebaut und da fand ich unter dem Brillenbrett über der Mauer einen
Raum. In dies Geheimfach wurden nun von unseren Freunden draußen Uhrfeder-
Sägen und die dazu nöthigen Monturen niedergelegt, wo dann ein Jeder seinen Bedarf
holen konnte. Und in der That gelang es allen acht in einigen Wochen sämmtliche
Gitter zu durchfeilen, und zwar in jedem Gefängniß zwei, denn ein zweites, nicht leicht
zu erreichendes Gitter war noch innerhalb des Fensterkastens angebracht. Als alles vor-
bereitet war, wurde die Ausführung auf den 2. Mai Abends zehn Uhr festgesetzt. Wegen
baulichen Veränderungen wurden wir zu dieser Zeit nur von 6--7 Uhr ein Jeder je
eine halbe Stunde zum Spazierengehen in den Hof geführt; das geschah jeweils nach
der Reihe und ungeschickter Weise kam die Tour an diesem Abend gerade an uns. Da
klopften mir die drei vorne an mir inhaftirten Genossen, sie sollten in den Hof geführt
werden, könnten aber absolut nicht, da sie sonst mit ihrer Arbeit nicht fertig würden.
Da es nun aufs Höchste verdächtig hätte werden müssen, wenn wir alle heute nicht
spazieren gehen wollten, worauf sich sonst ein Jeder so sehr gefreut, und da ich so ziem-
lich fertig war, so sagte ich den Andern, ich werde gehen, wenn dazu die Reihe an mich
komme. Ich opferte mich für sie. Denn als ich um 7 Uhr in mein Gefängniß zurück-
kam, ward es bald dunkel; ich feilte jetzt zuerst die Gitter vollends durch, dann kam ich
bei stockfinsterer Nacht an die Bereitung des Stricks, an dem ich mich hinablassen wollte;
ich verwendete dazu das in Riemen gerissene Betttuch und einige Halstücher und Sack-
tücher. Gegen 9 Uhr klopfte mir der außen an mir sitzende Erlanger, Pfretschner, er

XXII. Das Frankfurter Attentat.
räthern wurden, vergaß ich ganz meine eigene Lage. In den nun folgenden Verhören
gab ich natürlich immer an, ich ſei nach Frankfurt gekommen auf der Reiſe ins Naſſauiſche,
und da von dort und von Haus daſſelbe gerichtlich erhoben wurde, war man nahe
daran, mich frei zu laſſen. —

Anfang Mai wurde Rottenſtein aus der Haft entlaſſen; die Correſpondenz ſpeciell
mit Fräulein Stolze erlitt aber keine Unterbrechung, da der Barbier, der zwei bis drei
mal wöchentlich zum Raſiren kam, Zettelchen heraus und herein beförderte, obſchon zwei
Soldaten und zwei Wächter immer während der Operation um uns herum ſtanden und
aufpaßten, und da in den ausgehöhlten Stöpſeln in den beiden Bierflaſchen, die mir von
Frankfurter Wohlthätern täglich zugeſchickt wurden, immer Briefchen ſpedirt wurden.
Einmal glaubte ich am Benehmen des Gefangenwärters zu bemerken, daß er auf die
Stöpſel der Bierflaſchen fahnde, und ich meldete hinaus, man ſolle dieſen Beförderungs-
Modus unterlaſſen und in Zukunft in die untere Höhlung im Boden dazu geeigneter
Flaſchen die Zettel ſtecken und darüber eine Schicht ſchwarzen Pechs decken. So geſchah
es. Noch etwa vierzehn Tage lang wurde derart correſpondirt, da wurde plötzlich ver-
boten, ich dürfe kein Bier mehr zugeſchickt bekommen. Und im Verhör wurde mir ein
Stöpſel vorgelegt, in den ein Zettelchen unerheblichen Inhalts geſteckt war, das ich ge-
ſchrieben haben ſollte. Man hatte noch vierzehn Tage lang die Flaſchen mit den Zettel-
chen im Boden auf das Verhöramt bringen laſſen und befördert, ohne etwas zu finden.
Rottenſtein hatte mir einen kleinen Spiegel zurückgelaſſen, in deſſen hinterer ſeitlicher
Wand ein verborgener Behälter angebracht war, in dem ich einen Bleiſtift mit etwas
Papier verſteckt hatte, das ich derart immer bei den verſchiedenen Verſetzungen in andere
Gefängniſſe wieder erhielt. — Einmal wurde ein Kirſchkuchen für mich ins Gefängniß
geſchickt, in den eine Uhrfederſäge eingebacken war. Der ſchlaue Gefangenwärter hatte
Verdacht, durchſchnitt den Kuchen und fand die Säge. Ich wußte nichts von der Sache
und erfuhr erſt ſpäter davon. —

Nach einer längeren Schilderung des Kerkerlebens, der Verhöre, der wiederholten
Fluchtverſuche heißt es dann weiter:

… Gegen das Frühjahr 1834 wurde ein Befreiungsplan in großem Maßſtabe in
Angriff genommen. Es ſollten alle gegen die Zeil und theilweiſe die Fahrgaſſe Inhaf-
tirten zugleich ausbrechen. Es waren unſerer acht (zwiſchen je zwei war immer eine
von uns nicht beſetzte Zelle, um Communication zu verhindern). Im Hof war ein
neuer Abtritt gebaut und da fand ich unter dem Brillenbrett über der Mauer einen
Raum. In dies Geheimfach wurden nun von unſeren Freunden draußen Uhrfeder-
Sägen und die dazu nöthigen Monturen niedergelegt, wo dann ein Jeder ſeinen Bedarf
holen konnte. Und in der That gelang es allen acht in einigen Wochen ſämmtliche
Gitter zu durchfeilen, und zwar in jedem Gefängniß zwei, denn ein zweites, nicht leicht
zu erreichendes Gitter war noch innerhalb des Fenſterkaſtens angebracht. Als alles vor-
bereitet war, wurde die Ausführung auf den 2. Mai Abends zehn Uhr feſtgeſetzt. Wegen
baulichen Veränderungen wurden wir zu dieſer Zeit nur von 6—7 Uhr ein Jeder je
eine halbe Stunde zum Spazierengehen in den Hof geführt; das geſchah jeweils nach
der Reihe und ungeſchickter Weiſe kam die Tour an dieſem Abend gerade an uns. Da
klopften mir die drei vorne an mir inhaftirten Genoſſen, ſie ſollten in den Hof geführt
werden, könnten aber abſolut nicht, da ſie ſonſt mit ihrer Arbeit nicht fertig würden.
Da es nun aufs Höchſte verdächtig hätte werden müſſen, wenn wir alle heute nicht
ſpazieren gehen wollten, worauf ſich ſonſt ein Jeder ſo ſehr gefreut, und da ich ſo ziem-
lich fertig war, ſo ſagte ich den Andern, ich werde gehen, wenn dazu die Reihe an mich
komme. Ich opferte mich für ſie. Denn als ich um 7 Uhr in mein Gefängniß zurück-
kam, ward es bald dunkel; ich feilte jetzt zuerſt die Gitter vollends durch, dann kam ich
bei ſtockfinſterer Nacht an die Bereitung des Stricks, an dem ich mich hinablaſſen wollte;
ich verwendete dazu das in Riemen geriſſene Betttuch und einige Halstücher und Sack-
tücher. Gegen 9 Uhr klopfte mir der außen an mir ſitzende Erlanger, Pfretſchner, er

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0762" n="748"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">XXII.</hi> Das Frankfurter Attentat.</fw><lb/>
räthern wurden, vergaß ich ganz meine eigene Lage. In den nun folgenden Verhören<lb/>
gab ich natürlich immer an, ich &#x017F;ei nach Frankfurt gekommen auf der Rei&#x017F;e ins Na&#x017F;&#x017F;aui&#x017F;che,<lb/>
und da von dort und von Haus da&#x017F;&#x017F;elbe gerichtlich erhoben wurde, war man nahe<lb/>
daran, mich frei zu la&#x017F;&#x017F;en. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Anfang Mai wurde Rotten&#x017F;tein aus der Haft entla&#x017F;&#x017F;en; die Corre&#x017F;pondenz &#x017F;peciell<lb/>
mit Fräulein Stolze erlitt aber keine Unterbrechung, da der Barbier, der zwei bis drei<lb/>
mal wöchentlich zum Ra&#x017F;iren kam, Zettelchen heraus und herein beförderte, ob&#x017F;chon zwei<lb/>
Soldaten und zwei Wächter immer während der Operation um uns herum &#x017F;tanden und<lb/>
aufpaßten, und da in den ausgehöhlten Stöp&#x017F;eln in den beiden Bierfla&#x017F;chen, die mir von<lb/>
Frankfurter Wohlthätern täglich zuge&#x017F;chickt wurden, immer Briefchen &#x017F;pedirt wurden.<lb/>
Einmal glaubte ich am Benehmen des Gefangenwärters zu bemerken, daß er auf die<lb/>
Stöp&#x017F;el der Bierfla&#x017F;chen fahnde, und ich meldete hinaus, man &#x017F;olle die&#x017F;en Beförderungs-<lb/>
Modus unterla&#x017F;&#x017F;en und in Zukunft in die untere Höhlung im Boden dazu geeigneter<lb/>
Fla&#x017F;chen die Zettel &#x017F;tecken und darüber eine Schicht &#x017F;chwarzen Pechs decken. So ge&#x017F;chah<lb/>
es. Noch etwa vierzehn Tage lang wurde derart corre&#x017F;pondirt, da wurde plötzlich ver-<lb/>
boten, ich dürfe kein Bier mehr zuge&#x017F;chickt bekommen. Und im Verhör wurde mir ein<lb/>
Stöp&#x017F;el vorgelegt, in den ein Zettelchen unerheblichen Inhalts ge&#x017F;teckt war, das ich ge-<lb/>
&#x017F;chrieben haben &#x017F;ollte. Man hatte noch vierzehn Tage lang die Fla&#x017F;chen mit den Zettel-<lb/>
chen im Boden auf das Verhöramt bringen la&#x017F;&#x017F;en und befördert, ohne etwas zu finden.<lb/>
Rotten&#x017F;tein hatte mir einen kleinen Spiegel zurückgela&#x017F;&#x017F;en, in de&#x017F;&#x017F;en hinterer &#x017F;eitlicher<lb/>
Wand ein verborgener Behälter angebracht war, in dem ich einen Blei&#x017F;tift mit etwas<lb/>
Papier ver&#x017F;teckt hatte, das ich derart immer bei den ver&#x017F;chiedenen Ver&#x017F;etzungen in andere<lb/>
Gefängni&#x017F;&#x017F;e wieder erhielt. &#x2014; Einmal wurde ein Kir&#x017F;chkuchen für mich ins Gefängniß<lb/>
ge&#x017F;chickt, in den eine Uhrfeder&#x017F;äge eingebacken war. Der &#x017F;chlaue Gefangenwärter hatte<lb/>
Verdacht, durch&#x017F;chnitt den Kuchen und fand die Säge. Ich wußte nichts von der Sache<lb/>
und erfuhr er&#x017F;t &#x017F;päter davon. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Nach einer längeren Schilderung des Kerkerlebens, der Verhöre, der wiederholten<lb/>
Fluchtver&#x017F;uche heißt es dann weiter:</p><lb/>
          <p>&#x2026; Gegen das Frühjahr 1834 wurde ein Befreiungsplan in großem Maß&#x017F;tabe in<lb/>
Angriff genommen. Es &#x017F;ollten alle gegen die Zeil und theilwei&#x017F;e die Fahrga&#x017F;&#x017F;e Inhaf-<lb/>
tirten zugleich ausbrechen. Es waren un&#x017F;erer acht (zwi&#x017F;chen je zwei war immer eine<lb/>
von uns nicht be&#x017F;etzte Zelle, um Communication zu verhindern). Im Hof war ein<lb/>
neuer Abtritt gebaut und da fand ich unter dem Brillenbrett über der Mauer einen<lb/>
Raum. In dies Geheimfach wurden nun von un&#x017F;eren Freunden draußen Uhrfeder-<lb/>
Sägen und die dazu nöthigen Monturen niedergelegt, wo dann ein Jeder &#x017F;einen Bedarf<lb/>
holen konnte. Und in der That gelang es allen acht in einigen Wochen &#x017F;ämmtliche<lb/>
Gitter zu durchfeilen, und zwar in jedem Gefängniß zwei, denn ein zweites, nicht leicht<lb/>
zu erreichendes Gitter war noch innerhalb des Fen&#x017F;terka&#x017F;tens angebracht. Als alles vor-<lb/>
bereitet war, wurde die Ausführung auf den 2. Mai Abends zehn Uhr fe&#x017F;tge&#x017F;etzt. Wegen<lb/>
baulichen Veränderungen wurden wir zu die&#x017F;er Zeit nur von 6&#x2014;7 Uhr ein Jeder je<lb/>
eine halbe Stunde zum Spazierengehen in den Hof geführt; das ge&#x017F;chah jeweils nach<lb/>
der Reihe und unge&#x017F;chickter Wei&#x017F;e kam die Tour an die&#x017F;em Abend gerade an uns. Da<lb/>
klopften mir die drei vorne an mir inhaftirten Geno&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;ie &#x017F;ollten in den Hof geführt<lb/>
werden, könnten aber ab&#x017F;olut nicht, da &#x017F;ie &#x017F;on&#x017F;t mit ihrer Arbeit nicht fertig würden.<lb/>
Da es nun aufs Höch&#x017F;te verdächtig hätte werden mü&#x017F;&#x017F;en, wenn wir alle heute nicht<lb/>
&#x017F;pazieren gehen wollten, worauf &#x017F;ich &#x017F;on&#x017F;t ein Jeder &#x017F;o &#x017F;ehr gefreut, und da ich &#x017F;o ziem-<lb/>
lich fertig war, &#x017F;o &#x017F;agte ich den Andern, ich werde gehen, wenn dazu die Reihe an mich<lb/>
komme. Ich opferte mich für &#x017F;ie. Denn als ich um 7 Uhr in mein Gefängniß zurück-<lb/>
kam, ward es bald dunkel; ich feilte jetzt zuer&#x017F;t die Gitter vollends durch, dann kam ich<lb/>
bei &#x017F;tockfin&#x017F;terer Nacht an die Bereitung des Stricks, an dem ich mich hinabla&#x017F;&#x017F;en wollte;<lb/>
ich verwendete dazu das in Riemen geri&#x017F;&#x017F;ene Betttuch und einige Halstücher und Sack-<lb/>
tücher. Gegen 9 Uhr klopfte mir der außen an mir &#x017F;itzende Erlanger, Pfret&#x017F;chner, er<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[748/0762] XXII. Das Frankfurter Attentat. räthern wurden, vergaß ich ganz meine eigene Lage. In den nun folgenden Verhören gab ich natürlich immer an, ich ſei nach Frankfurt gekommen auf der Reiſe ins Naſſauiſche, und da von dort und von Haus daſſelbe gerichtlich erhoben wurde, war man nahe daran, mich frei zu laſſen. — Anfang Mai wurde Rottenſtein aus der Haft entlaſſen; die Correſpondenz ſpeciell mit Fräulein Stolze erlitt aber keine Unterbrechung, da der Barbier, der zwei bis drei mal wöchentlich zum Raſiren kam, Zettelchen heraus und herein beförderte, obſchon zwei Soldaten und zwei Wächter immer während der Operation um uns herum ſtanden und aufpaßten, und da in den ausgehöhlten Stöpſeln in den beiden Bierflaſchen, die mir von Frankfurter Wohlthätern täglich zugeſchickt wurden, immer Briefchen ſpedirt wurden. Einmal glaubte ich am Benehmen des Gefangenwärters zu bemerken, daß er auf die Stöpſel der Bierflaſchen fahnde, und ich meldete hinaus, man ſolle dieſen Beförderungs- Modus unterlaſſen und in Zukunft in die untere Höhlung im Boden dazu geeigneter Flaſchen die Zettel ſtecken und darüber eine Schicht ſchwarzen Pechs decken. So geſchah es. Noch etwa vierzehn Tage lang wurde derart correſpondirt, da wurde plötzlich ver- boten, ich dürfe kein Bier mehr zugeſchickt bekommen. Und im Verhör wurde mir ein Stöpſel vorgelegt, in den ein Zettelchen unerheblichen Inhalts geſteckt war, das ich ge- ſchrieben haben ſollte. Man hatte noch vierzehn Tage lang die Flaſchen mit den Zettel- chen im Boden auf das Verhöramt bringen laſſen und befördert, ohne etwas zu finden. Rottenſtein hatte mir einen kleinen Spiegel zurückgelaſſen, in deſſen hinterer ſeitlicher Wand ein verborgener Behälter angebracht war, in dem ich einen Bleiſtift mit etwas Papier verſteckt hatte, das ich derart immer bei den verſchiedenen Verſetzungen in andere Gefängniſſe wieder erhielt. — Einmal wurde ein Kirſchkuchen für mich ins Gefängniß geſchickt, in den eine Uhrfederſäge eingebacken war. Der ſchlaue Gefangenwärter hatte Verdacht, durchſchnitt den Kuchen und fand die Säge. Ich wußte nichts von der Sache und erfuhr erſt ſpäter davon. — Nach einer längeren Schilderung des Kerkerlebens, der Verhöre, der wiederholten Fluchtverſuche heißt es dann weiter: … Gegen das Frühjahr 1834 wurde ein Befreiungsplan in großem Maßſtabe in Angriff genommen. Es ſollten alle gegen die Zeil und theilweiſe die Fahrgaſſe Inhaf- tirten zugleich ausbrechen. Es waren unſerer acht (zwiſchen je zwei war immer eine von uns nicht beſetzte Zelle, um Communication zu verhindern). Im Hof war ein neuer Abtritt gebaut und da fand ich unter dem Brillenbrett über der Mauer einen Raum. In dies Geheimfach wurden nun von unſeren Freunden draußen Uhrfeder- Sägen und die dazu nöthigen Monturen niedergelegt, wo dann ein Jeder ſeinen Bedarf holen konnte. Und in der That gelang es allen acht in einigen Wochen ſämmtliche Gitter zu durchfeilen, und zwar in jedem Gefängniß zwei, denn ein zweites, nicht leicht zu erreichendes Gitter war noch innerhalb des Fenſterkaſtens angebracht. Als alles vor- bereitet war, wurde die Ausführung auf den 2. Mai Abends zehn Uhr feſtgeſetzt. Wegen baulichen Veränderungen wurden wir zu dieſer Zeit nur von 6—7 Uhr ein Jeder je eine halbe Stunde zum Spazierengehen in den Hof geführt; das geſchah jeweils nach der Reihe und ungeſchickter Weiſe kam die Tour an dieſem Abend gerade an uns. Da klopften mir die drei vorne an mir inhaftirten Genoſſen, ſie ſollten in den Hof geführt werden, könnten aber abſolut nicht, da ſie ſonſt mit ihrer Arbeit nicht fertig würden. Da es nun aufs Höchſte verdächtig hätte werden müſſen, wenn wir alle heute nicht ſpazieren gehen wollten, worauf ſich ſonſt ein Jeder ſo ſehr gefreut, und da ich ſo ziem- lich fertig war, ſo ſagte ich den Andern, ich werde gehen, wenn dazu die Reihe an mich komme. Ich opferte mich für ſie. Denn als ich um 7 Uhr in mein Gefängniß zurück- kam, ward es bald dunkel; ich feilte jetzt zuerſt die Gitter vollends durch, dann kam ich bei ſtockfinſterer Nacht an die Bereitung des Stricks, an dem ich mich hinablaſſen wollte; ich verwendete dazu das in Riemen geriſſene Betttuch und einige Halstücher und Sack- tücher. Gegen 9 Uhr klopfte mir der außen an mir ſitzende Erlanger, Pfretſchner, er

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/762
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 748. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/762>, abgerufen am 29.03.2024.