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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede.
Mächte in Rom zusammentraten um über die nothwendigen Reformen
im Kirchenstaate zu berathen.

Am Berliner Hofe erregte das italienische Ränkespiel des Palais
Royal lebhaften Argwohn. Ancillon, der für den erkrankten Bernstorff
jetzt das Auswärtige Amt leitete, verhehlte dem französischen Gesandten
nicht, daß der König Oesterreichs Verhalten in Italien durchaus billige.
Mit dem ganzen Wortschwall seines wohlgesalbten Predigerstiles tadelte
er den zweideutigen Grundsatz der Nicht-Einmischung: "Man kann nicht
oft und nicht mannichfach genug diese revolutionäre Doctrin bekämpfen,
welche darauf hinausläuft, daß die Empörung die heiligste der Pflichten
und Niemand berechtigt ist deren Ausübung zu stören; sie untergräbt die
Unabhängigkeit der Souveräne in ihren Grundlagen, indem sie ihnen
die Möglichkeit nimmt ihre Verbündeten zu Hilfe zu rufen; sie würde
die Maßregeln, welche die Regierungen im Interesse ihres Daseins und
ihrer Selbsterhaltung für nöthig halten, von der Genehmigung Frankreichs
abhängig machen."*) Weitaussehende Verbindlichkeiten wollte der König,
seinem alten Grundsatze gemäß, um Italiens willen nicht übernehmen;
er lehnte ab, als der Turiner Hof ihn bitten ließ, gemeinsam mit Oester-
reich die Bürgschaft für Piemonts Sicherheit zu übernehmen. Nur zu
wohlwollender Vermittlung war er gern bereit.

Unter den Gesandten der Conferenz in Rom zeigte der preußische
den größten Eifer. Bunsen hatte seit er in Rom heimisch geworden seine
Vorurtheile gegen das italienische Volk längst überwunden, er legte den
Gesandten eine Denkschrift vor (21. Mai), welche von allen gebilligt und
seitdem durch ein Menschenalter dem römischen Stuhle immer wieder als
wohlgemeinte Mahnung seiner Beschützer vorgehalten wurde. Ueber die
Nichtswürdigkeit dieses Priesterregiments, das sich seit dem Tode des milden
Cardinals Consalvi nur verschlechtert hatte, war Jedermann einig. Selbst
Prokesch v. Osten, der abgesagte Feind der Revolution, der in Metternich's
Auftrag die Zustände der Romagna beobachten sollte, fand die Lage des
Volks ganz entsetzlich. Alle Höfe, auch der Wiener, wünschten auf-
richtig das Gelingen der Reform; denn alle betrachteten den Kirchenstaat
als eine europäische Nothwendigkeit und hielten das Papstthum selber
für verloren falls seine weltliche Herrschaft unterginge. Bunsen's Vor-
schläge lauteten verständig und maßvoll: er verlangte Zulassung der Laien
zu allen obrigkeitlichen Aemtern, gewählte Räthe für die Gemeinden und
die Provinzen, dazu einen Rechnungshof, der durch Laien verstärkt den
Unterschleifen der Priester endlich steuern sollte, und vielleicht noch einen
Staatsrath. Aber wie konnte man hoffen, bei dem Papste auch nur
diese bescheidenen Wünsche durchzusetzen? Der heilige Stuhl gab halbe
Zusagen, und hielt sie nicht, weil er sie nicht halten konnte. Jede reine

*) Ancillon, Weisung an Maltzahn, 20. März 1831.

IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede.
Mächte in Rom zuſammentraten um über die nothwendigen Reformen
im Kirchenſtaate zu berathen.

Am Berliner Hofe erregte das italieniſche Ränkeſpiel des Palais
Royal lebhaften Argwohn. Ancillon, der für den erkrankten Bernſtorff
jetzt das Auswärtige Amt leitete, verhehlte dem franzöſiſchen Geſandten
nicht, daß der König Oeſterreichs Verhalten in Italien durchaus billige.
Mit dem ganzen Wortſchwall ſeines wohlgeſalbten Predigerſtiles tadelte
er den zweideutigen Grundſatz der Nicht-Einmiſchung: „Man kann nicht
oft und nicht mannichfach genug dieſe revolutionäre Doctrin bekämpfen,
welche darauf hinausläuft, daß die Empörung die heiligſte der Pflichten
und Niemand berechtigt iſt deren Ausübung zu ſtören; ſie untergräbt die
Unabhängigkeit der Souveräne in ihren Grundlagen, indem ſie ihnen
die Möglichkeit nimmt ihre Verbündeten zu Hilfe zu rufen; ſie würde
die Maßregeln, welche die Regierungen im Intereſſe ihres Daſeins und
ihrer Selbſterhaltung für nöthig halten, von der Genehmigung Frankreichs
abhängig machen.“*) Weitausſehende Verbindlichkeiten wollte der König,
ſeinem alten Grundſatze gemäß, um Italiens willen nicht übernehmen;
er lehnte ab, als der Turiner Hof ihn bitten ließ, gemeinſam mit Oeſter-
reich die Bürgſchaft für Piemonts Sicherheit zu übernehmen. Nur zu
wohlwollender Vermittlung war er gern bereit.

Unter den Geſandten der Conferenz in Rom zeigte der preußiſche
den größten Eifer. Bunſen hatte ſeit er in Rom heimiſch geworden ſeine
Vorurtheile gegen das italieniſche Volk längſt überwunden, er legte den
Geſandten eine Denkſchrift vor (21. Mai), welche von allen gebilligt und
ſeitdem durch ein Menſchenalter dem römiſchen Stuhle immer wieder als
wohlgemeinte Mahnung ſeiner Beſchützer vorgehalten wurde. Ueber die
Nichtswürdigkeit dieſes Prieſterregiments, das ſich ſeit dem Tode des milden
Cardinals Conſalvi nur verſchlechtert hatte, war Jedermann einig. Selbſt
Prokeſch v. Oſten, der abgeſagte Feind der Revolution, der in Metternich’s
Auftrag die Zuſtände der Romagna beobachten ſollte, fand die Lage des
Volks ganz entſetzlich. Alle Höfe, auch der Wiener, wünſchten auf-
richtig das Gelingen der Reform; denn alle betrachteten den Kirchenſtaat
als eine europäiſche Nothwendigkeit und hielten das Papſtthum ſelber
für verloren falls ſeine weltliche Herrſchaft unterginge. Bunſen’s Vor-
ſchläge lauteten verſtändig und maßvoll: er verlangte Zulaſſung der Laien
zu allen obrigkeitlichen Aemtern, gewählte Räthe für die Gemeinden und
die Provinzen, dazu einen Rechnungshof, der durch Laien verſtärkt den
Unterſchleifen der Prieſter endlich ſteuern ſollte, und vielleicht noch einen
Staatsrath. Aber wie konnte man hoffen, bei dem Papſte auch nur
dieſe beſcheidenen Wünſche durchzuſetzen? Der heilige Stuhl gab halbe
Zuſagen, und hielt ſie nicht, weil er ſie nicht halten konnte. Jede reine

*) Ancillon, Weiſung an Maltzahn, 20. März 1831.
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[68/0082] IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede. Mächte in Rom zuſammentraten um über die nothwendigen Reformen im Kirchenſtaate zu berathen. Am Berliner Hofe erregte das italieniſche Ränkeſpiel des Palais Royal lebhaften Argwohn. Ancillon, der für den erkrankten Bernſtorff jetzt das Auswärtige Amt leitete, verhehlte dem franzöſiſchen Geſandten nicht, daß der König Oeſterreichs Verhalten in Italien durchaus billige. Mit dem ganzen Wortſchwall ſeines wohlgeſalbten Predigerſtiles tadelte er den zweideutigen Grundſatz der Nicht-Einmiſchung: „Man kann nicht oft und nicht mannichfach genug dieſe revolutionäre Doctrin bekämpfen, welche darauf hinausläuft, daß die Empörung die heiligſte der Pflichten und Niemand berechtigt iſt deren Ausübung zu ſtören; ſie untergräbt die Unabhängigkeit der Souveräne in ihren Grundlagen, indem ſie ihnen die Möglichkeit nimmt ihre Verbündeten zu Hilfe zu rufen; ſie würde die Maßregeln, welche die Regierungen im Intereſſe ihres Daſeins und ihrer Selbſterhaltung für nöthig halten, von der Genehmigung Frankreichs abhängig machen.“ *) Weitausſehende Verbindlichkeiten wollte der König, ſeinem alten Grundſatze gemäß, um Italiens willen nicht übernehmen; er lehnte ab, als der Turiner Hof ihn bitten ließ, gemeinſam mit Oeſter- reich die Bürgſchaft für Piemonts Sicherheit zu übernehmen. Nur zu wohlwollender Vermittlung war er gern bereit. Unter den Geſandten der Conferenz in Rom zeigte der preußiſche den größten Eifer. Bunſen hatte ſeit er in Rom heimiſch geworden ſeine Vorurtheile gegen das italieniſche Volk längſt überwunden, er legte den Geſandten eine Denkſchrift vor (21. Mai), welche von allen gebilligt und ſeitdem durch ein Menſchenalter dem römiſchen Stuhle immer wieder als wohlgemeinte Mahnung ſeiner Beſchützer vorgehalten wurde. Ueber die Nichtswürdigkeit dieſes Prieſterregiments, das ſich ſeit dem Tode des milden Cardinals Conſalvi nur verſchlechtert hatte, war Jedermann einig. Selbſt Prokeſch v. Oſten, der abgeſagte Feind der Revolution, der in Metternich’s Auftrag die Zuſtände der Romagna beobachten ſollte, fand die Lage des Volks ganz entſetzlich. Alle Höfe, auch der Wiener, wünſchten auf- richtig das Gelingen der Reform; denn alle betrachteten den Kirchenſtaat als eine europäiſche Nothwendigkeit und hielten das Papſtthum ſelber für verloren falls ſeine weltliche Herrſchaft unterginge. Bunſen’s Vor- ſchläge lauteten verſtändig und maßvoll: er verlangte Zulaſſung der Laien zu allen obrigkeitlichen Aemtern, gewählte Räthe für die Gemeinden und die Provinzen, dazu einen Rechnungshof, der durch Laien verſtärkt den Unterſchleifen der Prieſter endlich ſteuern ſollte, und vielleicht noch einen Staatsrath. Aber wie konnte man hoffen, bei dem Papſte auch nur dieſe beſcheidenen Wünſche durchzuſetzen? Der heilige Stuhl gab halbe Zuſagen, und hielt ſie nicht, weil er ſie nicht halten konnte. Jede reine *) Ancillon, Weiſung an Maltzahn, 20. März 1831.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/82>, abgerufen am 28.03.2024.