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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Bisthum Jerusalem.
freilich auch die Stätte, wo sich der Glaubenshaß der kirchlichen Parteien
allezeit am rohesten bekundete; an jedem großen Kirchenfeste mußten in
der Kapelle des heiligen Grabes die muhamedanischen Kawassen da-
zwischen fahren um mit ihren Stöcken und Krummsäbeln Frieden zu
stiften unter den raufenden Mönchen der Lateiner und der Orthodoxen.
Unter Mehemed Ali's gestrengem Regimente war die Ordnung leidlich
gewahrt worden; er hatte sogar den Judenmissionaren der Protestanten
gestattet ihre Thätigkeit im gelobten Lande zu beginnen. Jetzt da die
Herrschaft der Pforte durch die christlichen Waffen wiederhergestellt wurde,
machte man die demüthigende Erfahrung, daß die Lage der Christen sich
verschlechterte.

Das rohe türkische Recht erkannte nur solche Kirchen an, welche sich um
ein sichtbares Oberhaupt schaarten, die Protestanten waren mithin recht-
los. Darum verlangte Friedrich Wilhelm in einer Denkschrift, welche
ihm sein Radowitz ausgearbeitet hatte: in Jerusalem sollten drei Residenten
ihren Wohnsitz aufschlagen um, mit Hilfe einer gemeinsamen Garnison
der Großmächte, die Rechte der drei großen Kirchen Europas zu beschützen.
Die Denkschrift hatte lediglich kirchliche Zwecke im Auge; an ein deutsch-
christliches Fürstenthum Palästina, wie es H. v. Moltke damals für mög-
lich hielt, dachte der König nicht von fern. Rußland aber war keineswegs
gewillt die Vortheile, deren die Orthodoxen von Altersher in Vorderasien
genossen, mit anderen Kirchen zu theilen. Freundlich warnte Nesselrode
vor einem Unternehmen, das die Souveränität der Pforte anzutasten
drohe; er und Orlow meinten bedenklich: wenn man in Jerusalem ein
religiöses Krakau schaffe, so würden die Verlegenheiten des Sultans
nur wachsen. Auch Metternich schützte Besorgnisse vor wegen der poli-
tischen Gefahren einer solchen kirchlichen Republik; in Wahrheit betrach-
tete der Wiener Hof jedes Erstarken des Protestantismus ganz ebenso
mißtrauisch wie der Petersburger. Nur Frankreich schien den preußischen
Vorschlägen günstig.*)

Friedrich Wilhelm mußte daher einen Theil seiner Pläne fallen lassen
und versuchte nur noch der evangelischen Kirche in Jerusalem die Gleich-
berechtigung neben den Lateinern, den Griechen, den Armeniern zu ver-
schaffen. Da die englische Staatskirche auf dem Berge Zion bereits
Grundbesitz erworben und eine Gemeinde gebildet hatte, so wünschte der
König, daß ein anglikanischer Bischof die Leitung des evangelischen Kirchen-
lebens übernähme und von den deutschen Protestanten, die in Palästina
zerstreut lebten, als sichtbares Oberhaupt anerkannt würde. Eine solche
Unterordnung schien ihm mit der evangelischen Freiheit wohl vereinbar,
weil er die durch Handauflegung geweihten Bischöfe als rechtmäßige Nach-

*) Nesselrode, Weisung an Meyendorff, 12. März; Berichte von Liebermann, 9.
Febr., Arnim in Paris 12. Febr. 1841.

Bisthum Jeruſalem.
freilich auch die Stätte, wo ſich der Glaubenshaß der kirchlichen Parteien
allezeit am roheſten bekundete; an jedem großen Kirchenfeſte mußten in
der Kapelle des heiligen Grabes die muhamedaniſchen Kawaſſen da-
zwiſchen fahren um mit ihren Stöcken und Krummſäbeln Frieden zu
ſtiften unter den raufenden Mönchen der Lateiner und der Orthodoxen.
Unter Mehemed Ali’s geſtrengem Regimente war die Ordnung leidlich
gewahrt worden; er hatte ſogar den Judenmiſſionaren der Proteſtanten
geſtattet ihre Thätigkeit im gelobten Lande zu beginnen. Jetzt da die
Herrſchaft der Pforte durch die chriſtlichen Waffen wiederhergeſtellt wurde,
machte man die demüthigende Erfahrung, daß die Lage der Chriſten ſich
verſchlechterte.

Das rohe türkiſche Recht erkannte nur ſolche Kirchen an, welche ſich um
ein ſichtbares Oberhaupt ſchaarten, die Proteſtanten waren mithin recht-
los. Darum verlangte Friedrich Wilhelm in einer Denkſchrift, welche
ihm ſein Radowitz ausgearbeitet hatte: in Jeruſalem ſollten drei Reſidenten
ihren Wohnſitz aufſchlagen um, mit Hilfe einer gemeinſamen Garniſon
der Großmächte, die Rechte der drei großen Kirchen Europas zu beſchützen.
Die Denkſchrift hatte lediglich kirchliche Zwecke im Auge; an ein deutſch-
chriſtliches Fürſtenthum Paläſtina, wie es H. v. Moltke damals für mög-
lich hielt, dachte der König nicht von fern. Rußland aber war keineswegs
gewillt die Vortheile, deren die Orthodoxen von Altersher in Vorderaſien
genoſſen, mit anderen Kirchen zu theilen. Freundlich warnte Neſſelrode
vor einem Unternehmen, das die Souveränität der Pforte anzutaſten
drohe; er und Orlow meinten bedenklich: wenn man in Jeruſalem ein
religiöſes Krakau ſchaffe, ſo würden die Verlegenheiten des Sultans
nur wachſen. Auch Metternich ſchützte Beſorgniſſe vor wegen der poli-
tiſchen Gefahren einer ſolchen kirchlichen Republik; in Wahrheit betrach-
tete der Wiener Hof jedes Erſtarken des Proteſtantismus ganz ebenſo
mißtrauiſch wie der Petersburger. Nur Frankreich ſchien den preußiſchen
Vorſchlägen günſtig.*)

Friedrich Wilhelm mußte daher einen Theil ſeiner Pläne fallen laſſen
und verſuchte nur noch der evangeliſchen Kirche in Jeruſalem die Gleich-
berechtigung neben den Lateinern, den Griechen, den Armeniern zu ver-
ſchaffen. Da die engliſche Staatskirche auf dem Berge Zion bereits
Grundbeſitz erworben und eine Gemeinde gebildet hatte, ſo wünſchte der
König, daß ein anglikaniſcher Biſchof die Leitung des evangeliſchen Kirchen-
lebens übernähme und von den deutſchen Proteſtanten, die in Paläſtina
zerſtreut lebten, als ſichtbares Oberhaupt anerkannt würde. Eine ſolche
Unterordnung ſchien ihm mit der evangeliſchen Freiheit wohl vereinbar,
weil er die durch Handauflegung geweihten Biſchöfe als rechtmäßige Nach-

*) Neſſelrode, Weiſung an Meyendorff, 12. März; Berichte von Liebermann, 9.
Febr., Arnim in Paris 12. Febr. 1841.
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[121/0135] Bisthum Jeruſalem. freilich auch die Stätte, wo ſich der Glaubenshaß der kirchlichen Parteien allezeit am roheſten bekundete; an jedem großen Kirchenfeſte mußten in der Kapelle des heiligen Grabes die muhamedaniſchen Kawaſſen da- zwiſchen fahren um mit ihren Stöcken und Krummſäbeln Frieden zu ſtiften unter den raufenden Mönchen der Lateiner und der Orthodoxen. Unter Mehemed Ali’s geſtrengem Regimente war die Ordnung leidlich gewahrt worden; er hatte ſogar den Judenmiſſionaren der Proteſtanten geſtattet ihre Thätigkeit im gelobten Lande zu beginnen. Jetzt da die Herrſchaft der Pforte durch die chriſtlichen Waffen wiederhergeſtellt wurde, machte man die demüthigende Erfahrung, daß die Lage der Chriſten ſich verſchlechterte. Das rohe türkiſche Recht erkannte nur ſolche Kirchen an, welche ſich um ein ſichtbares Oberhaupt ſchaarten, die Proteſtanten waren mithin recht- los. Darum verlangte Friedrich Wilhelm in einer Denkſchrift, welche ihm ſein Radowitz ausgearbeitet hatte: in Jeruſalem ſollten drei Reſidenten ihren Wohnſitz aufſchlagen um, mit Hilfe einer gemeinſamen Garniſon der Großmächte, die Rechte der drei großen Kirchen Europas zu beſchützen. Die Denkſchrift hatte lediglich kirchliche Zwecke im Auge; an ein deutſch- chriſtliches Fürſtenthum Paläſtina, wie es H. v. Moltke damals für mög- lich hielt, dachte der König nicht von fern. Rußland aber war keineswegs gewillt die Vortheile, deren die Orthodoxen von Altersher in Vorderaſien genoſſen, mit anderen Kirchen zu theilen. Freundlich warnte Neſſelrode vor einem Unternehmen, das die Souveränität der Pforte anzutaſten drohe; er und Orlow meinten bedenklich: wenn man in Jeruſalem ein religiöſes Krakau ſchaffe, ſo würden die Verlegenheiten des Sultans nur wachſen. Auch Metternich ſchützte Beſorgniſſe vor wegen der poli- tiſchen Gefahren einer ſolchen kirchlichen Republik; in Wahrheit betrach- tete der Wiener Hof jedes Erſtarken des Proteſtantismus ganz ebenſo mißtrauiſch wie der Petersburger. Nur Frankreich ſchien den preußiſchen Vorſchlägen günſtig. *) Friedrich Wilhelm mußte daher einen Theil ſeiner Pläne fallen laſſen und verſuchte nur noch der evangeliſchen Kirche in Jeruſalem die Gleich- berechtigung neben den Lateinern, den Griechen, den Armeniern zu ver- ſchaffen. Da die engliſche Staatskirche auf dem Berge Zion bereits Grundbeſitz erworben und eine Gemeinde gebildet hatte, ſo wünſchte der König, daß ein anglikaniſcher Biſchof die Leitung des evangeliſchen Kirchen- lebens übernähme und von den deutſchen Proteſtanten, die in Paläſtina zerſtreut lebten, als ſichtbares Oberhaupt anerkannt würde. Eine ſolche Unterordnung ſchien ihm mit der evangeliſchen Freiheit wohl vereinbar, weil er die durch Handauflegung geweihten Biſchöfe als rechtmäßige Nach- *) Neſſelrode, Weiſung an Meyendorff, 12. März; Berichte von Liebermann, 9. Febr., Arnim in Paris 12. Febr. 1841.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/135>, abgerufen am 28.03.2024.