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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Europäische und deutsche Politik.
leben, dem Bunde die wirksame Leitung des Heerwesens, der Verkehrs-
verhältnisse, der Handelspolitik verschaffen müsse. Wie die erweiterte
Bundesgewalt sich mit dem Zollvereine vertragen sollte, der doch ohne
und gegen den Bund entstanden war -- solche Fragen legte er sich kaum
vor; denn sein preußisches Staatsgefühl blieb allezeit schwächer als die
unbestimmte Begeisterung für Deutschlands Einigkeit, und der Gedanke,
im Kampfe mit Oesterreich die Führung der Nation für Preußen zu
fordern, lag gänzlich außerhalb seines Gesichtskreises. Unter allen hohen-
zollerschen Königen war er der friedfertigste, friedfertiger noch als sein
Vater und darum auch der einzige, der nie einen ernsten Krieg geführt
hat. Auf eines seiner Museen ließ er den alten Cäsarenspruch setzen:
Melius bene imperare quam imperia ampliare -- ein Wort, das dem
Beherrscher eines Weltreiches wohl anstand, doch wahrlich nicht dem Könige
eines jungen, unfertigen Staates mit lächerlichen Grenzen. Er war kein
Mann des Degens; nur ungern bestieg der Kurzsichtige ein Roß, und
wenngleich er bei den Manövern die Offiziere oft durch seine scharfsin-
nigen kritischen Bemerkungen überraschte, so fühlten sie doch alle, daß er
diese kriegerischen Pflichten nur aus Gewissenhaftigkeit, ohne Freude er-
füllte. Sein Herz hing an dem Glücke des Friedens. Alle die fried-
lichen Segnungen aber, welche sein Volk unter der christlich-ständischen
Monarchie zu erwarten hatte, sollten allein ausgehen von der Weisheit
der Krone; denn wie ein Patriarch des Alten Testaments verstand er
seine Würde, recht eigentlich als eine väterliche von Gott selbst zur
Erziehung der Völker eingesetzte Gewalt erschien ihm das Königthum.
Auf die Person des Monarchen bezog er Alles was im Staate geschah.
Der höchste Zweck der freien Presse war ihm "das Aufdecken von Miß-
bräuchen und Unbilden, von denen Ich auf keinem anderen Wege unter-
richtet werden dürfte";*) und wenn er seinen Unterthanen zürnte, dann
sagte er drohend: "ungezogene Kinder zur rechten Zeit die Ruthe fühlen
zu lassen ist schon durch Salomon und Sirach empfohlen."**)

Wenn sich nur unter allen diesen vielverheißenden Plänen des Thron-
folgers ein einziger völlig ausgereifter, staatsmännisch durchdachter Ent-
wurf befunden hätte! Indeß jene leidenschaftliche Lust am Erfolge, selbst
am verkümmerten Erfolge, welche den Mann der That bezeichnet, war
ihm völlig fremd. Er liebte an der Fülle seiner Gedanken wie an einem
künstlerischen Spiele sich zu weiden, und in den langen Jahren des
Harrens verlernte er fast zu fragen, wie alle diese Herrlichkeit ins Leben
treten solle. Sogar den Plan der Befreiung der evangelischen Kirche,
der ihm unter allen das Herz am stärksten bewegte, dachte er nur sieben
Jahre lang mit ganzem Ernst zu fördern; zeige sich dann der Widerstand

*) Marginalnote, 7. Juni 1843.
**) Marginalnote, 10. Juni 1847.

Europäiſche und deutſche Politik.
leben, dem Bunde die wirkſame Leitung des Heerweſens, der Verkehrs-
verhältniſſe, der Handelspolitik verſchaffen müſſe. Wie die erweiterte
Bundesgewalt ſich mit dem Zollvereine vertragen ſollte, der doch ohne
und gegen den Bund entſtanden war — ſolche Fragen legte er ſich kaum
vor; denn ſein preußiſches Staatsgefühl blieb allezeit ſchwächer als die
unbeſtimmte Begeiſterung für Deutſchlands Einigkeit, und der Gedanke,
im Kampfe mit Oeſterreich die Führung der Nation für Preußen zu
fordern, lag gänzlich außerhalb ſeines Geſichtskreiſes. Unter allen hohen-
zollerſchen Königen war er der friedfertigſte, friedfertiger noch als ſein
Vater und darum auch der einzige, der nie einen ernſten Krieg geführt
hat. Auf eines ſeiner Muſeen ließ er den alten Cäſarenſpruch ſetzen:
Melius bene imperare quam imperia ampliare — ein Wort, das dem
Beherrſcher eines Weltreiches wohl anſtand, doch wahrlich nicht dem Könige
eines jungen, unfertigen Staates mit lächerlichen Grenzen. Er war kein
Mann des Degens; nur ungern beſtieg der Kurzſichtige ein Roß, und
wenngleich er bei den Manövern die Offiziere oft durch ſeine ſcharfſin-
nigen kritiſchen Bemerkungen überraſchte, ſo fühlten ſie doch alle, daß er
dieſe kriegeriſchen Pflichten nur aus Gewiſſenhaftigkeit, ohne Freude er-
füllte. Sein Herz hing an dem Glücke des Friedens. Alle die fried-
lichen Segnungen aber, welche ſein Volk unter der chriſtlich-ſtändiſchen
Monarchie zu erwarten hatte, ſollten allein ausgehen von der Weisheit
der Krone; denn wie ein Patriarch des Alten Teſtaments verſtand er
ſeine Würde, recht eigentlich als eine väterliche von Gott ſelbſt zur
Erziehung der Völker eingeſetzte Gewalt erſchien ihm das Königthum.
Auf die Perſon des Monarchen bezog er Alles was im Staate geſchah.
Der höchſte Zweck der freien Preſſe war ihm „das Aufdecken von Miß-
bräuchen und Unbilden, von denen Ich auf keinem anderen Wege unter-
richtet werden dürfte“;*) und wenn er ſeinen Unterthanen zürnte, dann
ſagte er drohend: „ungezogene Kinder zur rechten Zeit die Ruthe fühlen
zu laſſen iſt ſchon durch Salomon und Sirach empfohlen.“**)

Wenn ſich nur unter allen dieſen vielverheißenden Plänen des Thron-
folgers ein einziger völlig ausgereifter, ſtaatsmänniſch durchdachter Ent-
wurf befunden hätte! Indeß jene leidenſchaftliche Luſt am Erfolge, ſelbſt
am verkümmerten Erfolge, welche den Mann der That bezeichnet, war
ihm völlig fremd. Er liebte an der Fülle ſeiner Gedanken wie an einem
künſtleriſchen Spiele ſich zu weiden, und in den langen Jahren des
Harrens verlernte er faſt zu fragen, wie alle dieſe Herrlichkeit ins Leben
treten ſolle. Sogar den Plan der Befreiung der evangeliſchen Kirche,
der ihm unter allen das Herz am ſtärkſten bewegte, dachte er nur ſieben
Jahre lang mit ganzem Ernſt zu fördern; zeige ſich dann der Widerſtand

*) Marginalnote, 7. Juni 1843.
**) Marginalnote, 10. Juni 1847.
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[11/0025] Europäiſche und deutſche Politik. leben, dem Bunde die wirkſame Leitung des Heerweſens, der Verkehrs- verhältniſſe, der Handelspolitik verſchaffen müſſe. Wie die erweiterte Bundesgewalt ſich mit dem Zollvereine vertragen ſollte, der doch ohne und gegen den Bund entſtanden war — ſolche Fragen legte er ſich kaum vor; denn ſein preußiſches Staatsgefühl blieb allezeit ſchwächer als die unbeſtimmte Begeiſterung für Deutſchlands Einigkeit, und der Gedanke, im Kampfe mit Oeſterreich die Führung der Nation für Preußen zu fordern, lag gänzlich außerhalb ſeines Geſichtskreiſes. Unter allen hohen- zollerſchen Königen war er der friedfertigſte, friedfertiger noch als ſein Vater und darum auch der einzige, der nie einen ernſten Krieg geführt hat. Auf eines ſeiner Muſeen ließ er den alten Cäſarenſpruch ſetzen: Melius bene imperare quam imperia ampliare — ein Wort, das dem Beherrſcher eines Weltreiches wohl anſtand, doch wahrlich nicht dem Könige eines jungen, unfertigen Staates mit lächerlichen Grenzen. Er war kein Mann des Degens; nur ungern beſtieg der Kurzſichtige ein Roß, und wenngleich er bei den Manövern die Offiziere oft durch ſeine ſcharfſin- nigen kritiſchen Bemerkungen überraſchte, ſo fühlten ſie doch alle, daß er dieſe kriegeriſchen Pflichten nur aus Gewiſſenhaftigkeit, ohne Freude er- füllte. Sein Herz hing an dem Glücke des Friedens. Alle die fried- lichen Segnungen aber, welche ſein Volk unter der chriſtlich-ſtändiſchen Monarchie zu erwarten hatte, ſollten allein ausgehen von der Weisheit der Krone; denn wie ein Patriarch des Alten Teſtaments verſtand er ſeine Würde, recht eigentlich als eine väterliche von Gott ſelbſt zur Erziehung der Völker eingeſetzte Gewalt erſchien ihm das Königthum. Auf die Perſon des Monarchen bezog er Alles was im Staate geſchah. Der höchſte Zweck der freien Preſſe war ihm „das Aufdecken von Miß- bräuchen und Unbilden, von denen Ich auf keinem anderen Wege unter- richtet werden dürfte“; *) und wenn er ſeinen Unterthanen zürnte, dann ſagte er drohend: „ungezogene Kinder zur rechten Zeit die Ruthe fühlen zu laſſen iſt ſchon durch Salomon und Sirach empfohlen.“ **) Wenn ſich nur unter allen dieſen vielverheißenden Plänen des Thron- folgers ein einziger völlig ausgereifter, ſtaatsmänniſch durchdachter Ent- wurf befunden hätte! Indeß jene leidenſchaftliche Luſt am Erfolge, ſelbſt am verkümmerten Erfolge, welche den Mann der That bezeichnet, war ihm völlig fremd. Er liebte an der Fülle ſeiner Gedanken wie an einem künſtleriſchen Spiele ſich zu weiden, und in den langen Jahren des Harrens verlernte er faſt zu fragen, wie alle dieſe Herrlichkeit ins Leben treten ſolle. Sogar den Plan der Befreiung der evangeliſchen Kirche, der ihm unter allen das Herz am ſtärkſten bewegte, dachte er nur ſieben Jahre lang mit ganzem Ernſt zu fördern; zeige ſich dann der Widerſtand *) Marginalnote, 7. Juni 1843. **) Marginalnote, 10. Juni 1847.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/25>, abgerufen am 28.03.2024.