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Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771.

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I Th. Thier. Seelenkr. 2 Kap. An sich betr.
weniger aber, daß ein Thier Vorstellungen besitzen sollte,
ohne jemals empfunden zu haben. Es ist also die Empfind-
lichkeit (§. 34.) Die erste Triebfeder der Vorstellungskraft
bey Thieren und in so fern haben alle übrige Vorstellungen
der Seele einen Grund in ihren äußern Empfindungen.
Da nun die äußern Empfindungen materielle Jdeen im Ge-
hirne zum voraus setzen, welche durch äußere sinnliche Ein-
drücke in die Nerven gewirket werden, §. 34. so müssen die-
se die ganze Vorstellungskraft der Seele, es sey unmittel-
bar durch die äußern Empfindungen, oder auf entferntere
Weise bestimmen. Weil aber alle Vorstellungen der See-
le mit materiellen Jdeen im Gehirne verbunden sind, §. 25.
so müssen die materiellen Jdeen aller Vorstellungen entwe-
der unmittelbar oder auf entferntere Weise von den mate-
riellen äußern Empfindungen im Gehirne und von den äu-
ßern sinnlichen Eindrücken in die Nerven abhängen.

§. 66.

Wenn man demnach die Sache aufs genaueste betrach-
tet, so werden selbst die eigenmächtigsten Vorstellungen
durch äußere sinnliche Eindrücke in die Nerven veranlasset:
allein diese Veranlassung geschieht bey vielen so sehr vom
weiten, daß der Zusammenhang nicht mehr merklich bleibt,
bey andern hingegen ist sie näher, ja oft unmittelbar, und
dieß giebt einen wichtigen Unterschied unter den Vorstellun-
gen, die wir in der Entgegensetzung der äußern Empfin-
dungen Eigenmächtige genennet haben. §. 27. Es
kömmt alles darauf an, diesen Unterschied wohl zu fassen,
und sich in physiologischer Absicht nicht zu genau an die ge-
wöhnliche psychologische Eintheilung der Vorstellungen und
Begierden in dunkle, verworrene und deutliche zu halten,
die weder an sich genan, noch in der Physiologie fruchtbar
genug ist. Wenn die Seele durch mancherley äußere Em-
pfindungen, deren jede ihr viele Merkmaale einer einzelnen
Sache vorstellet, §. 53. genöthigt worden lst, ihre Vor-
stellungskraft in Wirkung zu setzen und zu üben; so erlangt

sie

I Th. Thier. Seelenkr. 2 Kap. An ſich betr.
weniger aber, daß ein Thier Vorſtellungen beſitzen ſollte,
ohne jemals empfunden zu haben. Es iſt alſo die Empfind-
lichkeit (§. 34.) Die erſte Triebfeder der Vorſtellungskraft
bey Thieren und in ſo fern haben alle uͤbrige Vorſtellungen
der Seele einen Grund in ihren aͤußern Empfindungen.
Da nun die aͤußern Empfindungen materielle Jdeen im Ge-
hirne zum voraus ſetzen, welche durch aͤußere ſinnliche Ein-
druͤcke in die Nerven gewirket werden, §. 34. ſo muͤſſen die-
ſe die ganze Vorſtellungskraft der Seele, es ſey unmittel-
bar durch die aͤußern Empfindungen, oder auf entferntere
Weiſe beſtimmen. Weil aber alle Vorſtellungen der See-
le mit materiellen Jdeen im Gehirne verbunden ſind, §. 25.
ſo muͤſſen die materiellen Jdeen aller Vorſtellungen entwe-
der unmittelbar oder auf entferntere Weiſe von den mate-
riellen aͤußern Empfindungen im Gehirne und von den aͤu-
ßern ſinnlichen Eindruͤcken in die Nerven abhaͤngen.

§. 66.

Wenn man demnach die Sache aufs genaueſte betrach-
tet, ſo werden ſelbſt die eigenmaͤchtigſten Vorſtellungen
durch aͤußere ſinnliche Eindruͤcke in die Nerven veranlaſſet:
allein dieſe Veranlaſſung geſchieht bey vielen ſo ſehr vom
weiten, daß der Zuſammenhang nicht mehr merklich bleibt,
bey andern hingegen iſt ſie naͤher, ja oft unmittelbar, und
dieß giebt einen wichtigen Unterſchied unter den Vorſtellun-
gen, die wir in der Entgegenſetzung der aͤußern Empfin-
dungen Eigenmaͤchtige genennet haben. §. 27. Es
koͤmmt alles darauf an, dieſen Unterſchied wohl zu faſſen,
und ſich in phyſiologiſcher Abſicht nicht zu genau an die ge-
woͤhnliche pſychologiſche Eintheilung der Vorſtellungen und
Begierden in dunkle, verworrene und deutliche zu halten,
die weder an ſich genan, noch in der Phyſiologie fruchtbar
genug iſt. Wenn die Seele durch mancherley aͤußere Em-
pfindungen, deren jede ihr viele Merkmaale einer einzelnen
Sache vorſtellet, §. 53. genoͤthigt worden lſt, ihre Vor-
ſtellungskraft in Wirkung zu ſetzen und zu uͤben; ſo erlangt

ſie
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[80/0104] I Th. Thier. Seelenkr. 2 Kap. An ſich betr. weniger aber, daß ein Thier Vorſtellungen beſitzen ſollte, ohne jemals empfunden zu haben. Es iſt alſo die Empfind- lichkeit (§. 34.) Die erſte Triebfeder der Vorſtellungskraft bey Thieren und in ſo fern haben alle uͤbrige Vorſtellungen der Seele einen Grund in ihren aͤußern Empfindungen. Da nun die aͤußern Empfindungen materielle Jdeen im Ge- hirne zum voraus ſetzen, welche durch aͤußere ſinnliche Ein- druͤcke in die Nerven gewirket werden, §. 34. ſo muͤſſen die- ſe die ganze Vorſtellungskraft der Seele, es ſey unmittel- bar durch die aͤußern Empfindungen, oder auf entferntere Weiſe beſtimmen. Weil aber alle Vorſtellungen der See- le mit materiellen Jdeen im Gehirne verbunden ſind, §. 25. ſo muͤſſen die materiellen Jdeen aller Vorſtellungen entwe- der unmittelbar oder auf entferntere Weiſe von den mate- riellen aͤußern Empfindungen im Gehirne und von den aͤu- ßern ſinnlichen Eindruͤcken in die Nerven abhaͤngen. §. 66. Wenn man demnach die Sache aufs genaueſte betrach- tet, ſo werden ſelbſt die eigenmaͤchtigſten Vorſtellungen durch aͤußere ſinnliche Eindruͤcke in die Nerven veranlaſſet: allein dieſe Veranlaſſung geſchieht bey vielen ſo ſehr vom weiten, daß der Zuſammenhang nicht mehr merklich bleibt, bey andern hingegen iſt ſie naͤher, ja oft unmittelbar, und dieß giebt einen wichtigen Unterſchied unter den Vorſtellun- gen, die wir in der Entgegenſetzung der aͤußern Empfin- dungen Eigenmaͤchtige genennet haben. §. 27. Es koͤmmt alles darauf an, dieſen Unterſchied wohl zu faſſen, und ſich in phyſiologiſcher Abſicht nicht zu genau an die ge- woͤhnliche pſychologiſche Eintheilung der Vorſtellungen und Begierden in dunkle, verworrene und deutliche zu halten, die weder an ſich genan, noch in der Phyſiologie fruchtbar genug iſt. Wenn die Seele durch mancherley aͤußere Em- pfindungen, deren jede ihr viele Merkmaale einer einzelnen Sache vorſtellet, §. 53. genoͤthigt worden lſt, ihre Vor- ſtellungskraft in Wirkung zu ſetzen und zu uͤben; ſo erlangt ſie

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Zitationshilfe: Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/104>, abgerufen am 28.03.2024.