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Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771.

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I Th. Thier. Seelenkr. 2 Kap. An sich betr.
nähert. So erheben sich auch deutlich die Nervenspitzen
an den Fingern, wenn man sich anschickt, etwas genau zu
befühlen, welches eine Vorhersehung in einer Begierde ist.
"Die Fühlpunkte der äußersten Enden der Finger, sagt
"der Herr v. Haller, richten sich durch die Aufmerksam-
"keit (Erwartung) der Seele ein wenig auf, wie solches
"auch das Schaudern, die Zitzen der Weiberbrust und ein
"ausgefallener Darm beweisen." H. P. §. 431. Vielleicht
muß man das Schaudern zu den Seelenwirkungen durch
die Nerven in mechanische Maschinen, nämlich in die Haut,
zählen. Daß sich aber die Fühlspitzen der Nerven an den
Brustwarzen schon von der Erwartung des Saugens im
Triebe zu stillen, oder irgend einer wollüstigen Berührung
erheben, ist ein eben so wahres als hier passendes Beyspiel.
Vom Gefühle und Geschmacke hat man dergleichen Beob-
achtungen sehr viele; bey den übrigen äußern Sinnen aber
lassen sie sich nicht anstellen. Allein eine einzige wahre
Beobachtung von dieser Art ist zum Beweise schon hinläng-
lich, daß die sinnlichen Eindrücke in den Ursprung der
Nerven im Gehirne sich wirklich in dem Nerven nieder-
wärts gegen seine Spitze hin fortpflanzen, und darinn eine
Seelenwirkung hervorbringen, wenn gleich der Nerve sich
in keine mechanische Maschine vertheilt, oder doch davon
unabhänglich. Denn die sinnlichen Vorhersehungen der
Seele geben dem Nerven, der die erwartete Empfindung
haben soll, in seinem Ursprunge im Gehirne einen sinnlichen
Eindruck, da sie die materielle Jdee derselben zum Theil
in ihm (§. 124.) rege machen, §. 73. 144. und also ist
dieses Aufrichten der Nervenspitzen eine wahre Seelenwir-
kung der Vorhersehung. §. 99. N. 1.

§. 148.

Da es also eine unstreitige Seelenwirkung des sinnli-
chen Eindrucks im Gehirne ist, daß durch seinen Antrieb
(vermittelst der Lebensgeister) die Nervenspitzen gesteift oder
aufgerichtet werden, §. 147. dieses aber eine Bewegung

in

I Th. Thier. Seelenkr. 2 Kap. An ſich betr.
naͤhert. So erheben ſich auch deutlich die Nervenſpitzen
an den Fingern, wenn man ſich anſchickt, etwas genau zu
befuͤhlen, welches eine Vorherſehung in einer Begierde iſt.
„Die Fuͤhlpunkte der aͤußerſten Enden der Finger, ſagt
„der Herr v. Haller, richten ſich durch die Aufmerkſam-
„keit (Erwartung) der Seele ein wenig auf, wie ſolches
„auch das Schaudern, die Zitzen der Weiberbruſt und ein
„ausgefallener Darm beweiſen.“ H. P. §. 431. Vielleicht
muß man das Schaudern zu den Seelenwirkungen durch
die Nerven in mechaniſche Maſchinen, naͤmlich in die Haut,
zaͤhlen. Daß ſich aber die Fuͤhlſpitzen der Nerven an den
Bruſtwarzen ſchon von der Erwartung des Saugens im
Triebe zu ſtillen, oder irgend einer wolluͤſtigen Beruͤhrung
erheben, iſt ein eben ſo wahres als hier paſſendes Beyſpiel.
Vom Gefuͤhle und Geſchmacke hat man dergleichen Beob-
achtungen ſehr viele; bey den uͤbrigen aͤußern Sinnen aber
laſſen ſie ſich nicht anſtellen. Allein eine einzige wahre
Beobachtung von dieſer Art iſt zum Beweiſe ſchon hinlaͤng-
lich, daß die ſinnlichen Eindruͤcke in den Urſprung der
Nerven im Gehirne ſich wirklich in dem Nerven nieder-
waͤrts gegen ſeine Spitze hin fortpflanzen, und darinn eine
Seelenwirkung hervorbringen, wenn gleich der Nerve ſich
in keine mechaniſche Maſchine vertheilt, oder doch davon
unabhaͤnglich. Denn die ſinnlichen Vorherſehungen der
Seele geben dem Nerven, der die erwartete Empfindung
haben ſoll, in ſeinem Urſprunge im Gehirne einen ſinnlichen
Eindruck, da ſie die materielle Jdee derſelben zum Theil
in ihm (§. 124.) rege machen, §. 73. 144. und alſo iſt
dieſes Aufrichten der Nervenſpitzen eine wahre Seelenwir-
kung der Vorherſehung. §. 99. N. 1.

§. 148.

Da es alſo eine unſtreitige Seelenwirkung des ſinnli-
chen Eindrucks im Gehirne iſt, daß durch ſeinen Antrieb
(vermittelſt der Lebensgeiſter) die Nervenſpitzen geſteift oder
aufgerichtet werden, §. 147. dieſes aber eine Bewegung

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[142/0166] I Th. Thier. Seelenkr. 2 Kap. An ſich betr. naͤhert. So erheben ſich auch deutlich die Nervenſpitzen an den Fingern, wenn man ſich anſchickt, etwas genau zu befuͤhlen, welches eine Vorherſehung in einer Begierde iſt. „Die Fuͤhlpunkte der aͤußerſten Enden der Finger, ſagt „der Herr v. Haller, richten ſich durch die Aufmerkſam- „keit (Erwartung) der Seele ein wenig auf, wie ſolches „auch das Schaudern, die Zitzen der Weiberbruſt und ein „ausgefallener Darm beweiſen.“ H. P. §. 431. Vielleicht muß man das Schaudern zu den Seelenwirkungen durch die Nerven in mechaniſche Maſchinen, naͤmlich in die Haut, zaͤhlen. Daß ſich aber die Fuͤhlſpitzen der Nerven an den Bruſtwarzen ſchon von der Erwartung des Saugens im Triebe zu ſtillen, oder irgend einer wolluͤſtigen Beruͤhrung erheben, iſt ein eben ſo wahres als hier paſſendes Beyſpiel. Vom Gefuͤhle und Geſchmacke hat man dergleichen Beob- achtungen ſehr viele; bey den uͤbrigen aͤußern Sinnen aber laſſen ſie ſich nicht anſtellen. Allein eine einzige wahre Beobachtung von dieſer Art iſt zum Beweiſe ſchon hinlaͤng- lich, daß die ſinnlichen Eindruͤcke in den Urſprung der Nerven im Gehirne ſich wirklich in dem Nerven nieder- waͤrts gegen ſeine Spitze hin fortpflanzen, und darinn eine Seelenwirkung hervorbringen, wenn gleich der Nerve ſich in keine mechaniſche Maſchine vertheilt, oder doch davon unabhaͤnglich. Denn die ſinnlichen Vorherſehungen der Seele geben dem Nerven, der die erwartete Empfindung haben ſoll, in ſeinem Urſprunge im Gehirne einen ſinnlichen Eindruck, da ſie die materielle Jdee derſelben zum Theil in ihm (§. 124.) rege machen, §. 73. 144. und alſo iſt dieſes Aufrichten der Nervenſpitzen eine wahre Seelenwir- kung der Vorherſehung. §. 99. N. 1. §. 148. Da es alſo eine unſtreitige Seelenwirkung des ſinnli- chen Eindrucks im Gehirne iſt, daß durch ſeinen Antrieb (vermittelſt der Lebensgeiſter) die Nervenſpitzen geſteift oder aufgerichtet werden, §. 147. dieſes aber eine Bewegung in

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Zitationshilfe: Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/166>, abgerufen am 28.03.2024.