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Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771.

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der sinnlichen Triebe.
Magens, die Vollziehung der Begattung, die Ausübung
der Rache, müssen es thun. Die Natur scheint selbst die
Hindernisse, die sonst der Natur gemäß, andre sinnliche
Reizungen, zu Leidenschaften selbst, mäßigen oder verhü-
ten, §. 47. u. f. bey den äußerlichen sinnlichen Eindrücken,
die die Triebfedern der sinnlichen Triebe seyn müssen, so
geschwächet oder vermieden zu haben, daß sie mit freyer
Gewalt alles überwinden, und ausbrechen, und ihre be-
stimmte Zeit bis zur sattsam wiederholten Befriedigung
fortwähren können. Bey andern Begierden, selbst bey
Leidenschaften, kann ein Thier sich oft der sinnlichen Rei-
zung willkührlich entziehen, weil es sich kennt und ihre Fol-
gen weiß. Bey den Trieben ist es sich derselben nicht be-
wußt, da sie nur dunkel erkannt wird, §. 262. mithin
kann es weder sie noch ihre Folgen kennen, sondern es über-
läßt sich ihr blindlings und wird natürlich nothwendig in
den hitzigen Trieb hineingeführet, ohne es sich nur einfallen
zu lassen, ihn zu verhüten. Die Nerven selbst scheinen zu
solcher Zeit ihre Natur zu verändern, um den Trieb zu be-
günstigen, indem sie dann von äußern Berührungen oder
Einflüssen neue äußere sinnliche Eindrücke und Reizungen
annehmen, vor welchen sie zuvor gesichert waren, als ih-
nen dieß neue Gefühl für diese Einflüsse noch fehlete. §. 47.
N. 2. Und endlich lehret es auch die Erfahrung zur Ge-
nüge, wie wenig alle psychologische Hülfsmittel zur Ent-
kräftung der Begierden und Verabscheuungen vermögen,
wenn sie die Sittenlehrer bey den Menschen anwenden, um
den Ausbruch oder die Befriedigung ihrer sinnlichen Trie-
be zu verhüten, oder nur in gewisse Grenzen einzu-
schränken.

§. 266.

Nach dieser durch die Weisheit des Schöpfers einge-
richteten Vorbereitung sowohl der ganzen Natur, als ins-
besondre der thierischen, zur Hervorbringung und zur Er-
reichung der Hauptabsichten der sinnlichen Triebe, thun

diese
Q 3

der ſinnlichen Triebe.
Magens, die Vollziehung der Begattung, die Ausuͤbung
der Rache, muͤſſen es thun. Die Natur ſcheint ſelbſt die
Hinderniſſe, die ſonſt der Natur gemaͤß, andre ſinnliche
Reizungen, zu Leidenſchaften ſelbſt, maͤßigen oder verhuͤ-
ten, §. 47. u. f. bey den aͤußerlichen ſinnlichen Eindruͤcken,
die die Triebfedern der ſinnlichen Triebe ſeyn muͤſſen, ſo
geſchwaͤchet oder vermieden zu haben, daß ſie mit freyer
Gewalt alles uͤberwinden, und ausbrechen, und ihre be-
ſtimmte Zeit bis zur ſattſam wiederholten Befriedigung
fortwaͤhren koͤnnen. Bey andern Begierden, ſelbſt bey
Leidenſchaften, kann ein Thier ſich oft der ſinnlichen Rei-
zung willkuͤhrlich entziehen, weil es ſich kennt und ihre Fol-
gen weiß. Bey den Trieben iſt es ſich derſelben nicht be-
wußt, da ſie nur dunkel erkannt wird, §. 262. mithin
kann es weder ſie noch ihre Folgen kennen, ſondern es uͤber-
laͤßt ſich ihr blindlings und wird natuͤrlich nothwendig in
den hitzigen Trieb hineingefuͤhret, ohne es ſich nur einfallen
zu laſſen, ihn zu verhuͤten. Die Nerven ſelbſt ſcheinen zu
ſolcher Zeit ihre Natur zu veraͤndern, um den Trieb zu be-
guͤnſtigen, indem ſie dann von aͤußern Beruͤhrungen oder
Einfluͤſſen neue aͤußere ſinnliche Eindruͤcke und Reizungen
annehmen, vor welchen ſie zuvor geſichert waren, als ih-
nen dieß neue Gefuͤhl fuͤr dieſe Einfluͤſſe noch fehlete. §. 47.
N. 2. Und endlich lehret es auch die Erfahrung zur Ge-
nuͤge, wie wenig alle pſychologiſche Huͤlfsmittel zur Ent-
kraͤftung der Begierden und Verabſcheuungen vermoͤgen,
wenn ſie die Sittenlehrer bey den Menſchen anwenden, um
den Ausbruch oder die Befriedigung ihrer ſinnlichen Trie-
be zu verhuͤten, oder nur in gewiſſe Grenzen einzu-
ſchraͤnken.

§. 266.

Nach dieſer durch die Weisheit des Schoͤpfers einge-
richteten Vorbereitung ſowohl der ganzen Natur, als ins-
beſondre der thieriſchen, zur Hervorbringung und zur Er-
reichung der Hauptabſichten der ſinnlichen Triebe, thun

dieſe
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[245/0269] der ſinnlichen Triebe. Magens, die Vollziehung der Begattung, die Ausuͤbung der Rache, muͤſſen es thun. Die Natur ſcheint ſelbſt die Hinderniſſe, die ſonſt der Natur gemaͤß, andre ſinnliche Reizungen, zu Leidenſchaften ſelbſt, maͤßigen oder verhuͤ- ten, §. 47. u. f. bey den aͤußerlichen ſinnlichen Eindruͤcken, die die Triebfedern der ſinnlichen Triebe ſeyn muͤſſen, ſo geſchwaͤchet oder vermieden zu haben, daß ſie mit freyer Gewalt alles uͤberwinden, und ausbrechen, und ihre be- ſtimmte Zeit bis zur ſattſam wiederholten Befriedigung fortwaͤhren koͤnnen. Bey andern Begierden, ſelbſt bey Leidenſchaften, kann ein Thier ſich oft der ſinnlichen Rei- zung willkuͤhrlich entziehen, weil es ſich kennt und ihre Fol- gen weiß. Bey den Trieben iſt es ſich derſelben nicht be- wußt, da ſie nur dunkel erkannt wird, §. 262. mithin kann es weder ſie noch ihre Folgen kennen, ſondern es uͤber- laͤßt ſich ihr blindlings und wird natuͤrlich nothwendig in den hitzigen Trieb hineingefuͤhret, ohne es ſich nur einfallen zu laſſen, ihn zu verhuͤten. Die Nerven ſelbſt ſcheinen zu ſolcher Zeit ihre Natur zu veraͤndern, um den Trieb zu be- guͤnſtigen, indem ſie dann von aͤußern Beruͤhrungen oder Einfluͤſſen neue aͤußere ſinnliche Eindruͤcke und Reizungen annehmen, vor welchen ſie zuvor geſichert waren, als ih- nen dieß neue Gefuͤhl fuͤr dieſe Einfluͤſſe noch fehlete. §. 47. N. 2. Und endlich lehret es auch die Erfahrung zur Ge- nuͤge, wie wenig alle pſychologiſche Huͤlfsmittel zur Ent- kraͤftung der Begierden und Verabſcheuungen vermoͤgen, wenn ſie die Sittenlehrer bey den Menſchen anwenden, um den Ausbruch oder die Befriedigung ihrer ſinnlichen Trie- be zu verhuͤten, oder nur in gewiſſe Grenzen einzu- ſchraͤnken. §. 266. Nach dieſer durch die Weisheit des Schoͤpfers einge- richteten Vorbereitung ſowohl der ganzen Natur, als ins- beſondre der thieriſchen, zur Hervorbringung und zur Er- reichung der Hauptabſichten der ſinnlichen Triebe, thun dieſe Q 3

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Zitationshilfe: Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/269>, abgerufen am 28.03.2024.