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Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771.

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I Th. Th. Seel. 3 Kap. Jhr Einfl. in den Mechan.
§. 297. Durch diese Erkenntniß werden sie veranlasset,
andre Vorstellungen, Begierden, Triebe, Leidenschaften,
welche nach den Gesetzen der Vorstellungskraft in ihnen ent-
stehen, §. 273. sinnlich willkührlich auf diesen erkannten
Gegenstand anzuwenden, um die Erfüllung des Triebes zu
erreichen; woraus sich die willkührlichen Handlungen der
Geilheit, der Eifersucht, der Lockungen zur Liebe
bey den Thieren, wie auch die Unterscheidung des geliebten
Gegenstandes und seine sinnliche Auswahl vor allen andern
erklären lassen, wodurch Thiere, welche eines sinnlichen
Willkührs fähig sind, im Triebe zur Fortpflanzung die
Absichten der Natur aus eigner Absicht unterstützen, weil
sich ihr Trieb zum Affektentriebe erhoben hat. §. 296.
297. Als bloßer Trieb hätte er keine Kenntniß des Ge-
genstandes und Absicht darauf im Thiere zum Grunde. §.
296. Daher wissen die Menschen selbst, so lange sich ihr
Trieb nicht zum Affektentriebe erhebt, den Grund und
Zweck ihres Staunens, ihrer Bezauberung nicht zu erfor-
schen. §. 263. Sie lassen es sich nicht einfallen, daß die
fremde Unruhe, die sie so sehr erschüttert, auf die Begat-
tung abziele, und wissen bey allem ihrem Bestreben, recht
eigentlich den Worten nach, nicht, was sie wollen, bis der
Trieb zum Affektentriebe wird, und ihnen die Augen öff-
net. §. 289. Wäre das Verliebtseyn eine ursprüngliche
Leidenschaft, so würde sie den natürlichen Zwang der Trie-
be nicht haben. Sie würde eine sanftere, willkührlichere
sinnliche Begierde, sich zu begatten, seyn, die sich bey
Menschen zuweilen, nie aber bey Thieren findet, unter
welchen selbst die, so sonst am ungezwungensten nach sinn-
lichem Willkühr handeln, das Verliebtseyn nur als Af-
fektentrieb kennen, dem sie aus natürlichem Zwange, doch
aber gern, und mit Kenntniß des Vergnügens, das er ih-
nen verspricht, folgen. §. 298.

§. 303.

Der Trieb der ältern Thiere zu ihren Jungen ist über-
haupt blind und natürlich gezwungen. §. 290. Sie wis-

sen

I Th. Th. Seel. 3 Kap. Jhr Einfl. in den Mechan.
§. 297. Durch dieſe Erkenntniß werden ſie veranlaſſet,
andre Vorſtellungen, Begierden, Triebe, Leidenſchaften,
welche nach den Geſetzen der Vorſtellungskraft in ihnen ent-
ſtehen, §. 273. ſinnlich willkuͤhrlich auf dieſen erkannten
Gegenſtand anzuwenden, um die Erfuͤllung des Triebes zu
erreichen; woraus ſich die willkuͤhrlichen Handlungen der
Geilheit, der Eiferſucht, der Lockungen zur Liebe
bey den Thieren, wie auch die Unterſcheidung des geliebten
Gegenſtandes und ſeine ſinnliche Auswahl vor allen andern
erklaͤren laſſen, wodurch Thiere, welche eines ſinnlichen
Willkuͤhrs faͤhig ſind, im Triebe zur Fortpflanzung die
Abſichten der Natur aus eigner Abſicht unterſtuͤtzen, weil
ſich ihr Trieb zum Affektentriebe erhoben hat. §. 296.
297. Als bloßer Trieb haͤtte er keine Kenntniß des Ge-
genſtandes und Abſicht darauf im Thiere zum Grunde. §.
296. Daher wiſſen die Menſchen ſelbſt, ſo lange ſich ihr
Trieb nicht zum Affektentriebe erhebt, den Grund und
Zweck ihres Staunens, ihrer Bezauberung nicht zu erfor-
ſchen. §. 263. Sie laſſen es ſich nicht einfallen, daß die
fremde Unruhe, die ſie ſo ſehr erſchuͤttert, auf die Begat-
tung abziele, und wiſſen bey allem ihrem Beſtreben, recht
eigentlich den Worten nach, nicht, was ſie wollen, bis der
Trieb zum Affektentriebe wird, und ihnen die Augen oͤff-
net. §. 289. Waͤre das Verliebtſeyn eine urſpruͤngliche
Leidenſchaft, ſo wuͤrde ſie den natuͤrlichen Zwang der Trie-
be nicht haben. Sie wuͤrde eine ſanftere, willkuͤhrlichere
ſinnliche Begierde, ſich zu begatten, ſeyn, die ſich bey
Menſchen zuweilen, nie aber bey Thieren findet, unter
welchen ſelbſt die, ſo ſonſt am ungezwungenſten nach ſinn-
lichem Willkuͤhr handeln, das Verliebtſeyn nur als Af-
fektentrieb kennen, dem ſie aus natuͤrlichem Zwange, doch
aber gern, und mit Kenntniß des Vergnuͤgens, das er ih-
nen verſpricht, folgen. §. 298.

§. 303.

Der Trieb der aͤltern Thiere zu ihren Jungen iſt uͤber-
haupt blind und natuͤrlich gezwungen. §. 290. Sie wiſ-

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[298/0322] I Th. Th. Seel. 3 Kap. Jhr Einfl. in den Mechan. §. 297. Durch dieſe Erkenntniß werden ſie veranlaſſet, andre Vorſtellungen, Begierden, Triebe, Leidenſchaften, welche nach den Geſetzen der Vorſtellungskraft in ihnen ent- ſtehen, §. 273. ſinnlich willkuͤhrlich auf dieſen erkannten Gegenſtand anzuwenden, um die Erfuͤllung des Triebes zu erreichen; woraus ſich die willkuͤhrlichen Handlungen der Geilheit, der Eiferſucht, der Lockungen zur Liebe bey den Thieren, wie auch die Unterſcheidung des geliebten Gegenſtandes und ſeine ſinnliche Auswahl vor allen andern erklaͤren laſſen, wodurch Thiere, welche eines ſinnlichen Willkuͤhrs faͤhig ſind, im Triebe zur Fortpflanzung die Abſichten der Natur aus eigner Abſicht unterſtuͤtzen, weil ſich ihr Trieb zum Affektentriebe erhoben hat. §. 296. 297. Als bloßer Trieb haͤtte er keine Kenntniß des Ge- genſtandes und Abſicht darauf im Thiere zum Grunde. §. 296. Daher wiſſen die Menſchen ſelbſt, ſo lange ſich ihr Trieb nicht zum Affektentriebe erhebt, den Grund und Zweck ihres Staunens, ihrer Bezauberung nicht zu erfor- ſchen. §. 263. Sie laſſen es ſich nicht einfallen, daß die fremde Unruhe, die ſie ſo ſehr erſchuͤttert, auf die Begat- tung abziele, und wiſſen bey allem ihrem Beſtreben, recht eigentlich den Worten nach, nicht, was ſie wollen, bis der Trieb zum Affektentriebe wird, und ihnen die Augen oͤff- net. §. 289. Waͤre das Verliebtſeyn eine urſpruͤngliche Leidenſchaft, ſo wuͤrde ſie den natuͤrlichen Zwang der Trie- be nicht haben. Sie wuͤrde eine ſanftere, willkuͤhrlichere ſinnliche Begierde, ſich zu begatten, ſeyn, die ſich bey Menſchen zuweilen, nie aber bey Thieren findet, unter welchen ſelbſt die, ſo ſonſt am ungezwungenſten nach ſinn- lichem Willkuͤhr handeln, das Verliebtſeyn nur als Af- fektentrieb kennen, dem ſie aus natuͤrlichem Zwange, doch aber gern, und mit Kenntniß des Vergnuͤgens, das er ih- nen verſpricht, folgen. §. 298. §. 303. Der Trieb der aͤltern Thiere zu ihren Jungen iſt uͤber- haupt blind und natuͤrlich gezwungen. §. 290. Sie wiſ- ſen

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Zitationshilfe: Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771, S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/322>, abgerufen am 25.04.2024.