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Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771.

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1 Abschn. Ersetz. der Seelenw. durch Nervenw.
durch unterscheiden, daß sie einen größern Grad der Hef-
tigkeit äußern, als andre, daß sie ganz sinnlich sind, und
daß die Seele ihre Gegenstände nur dunkel oder verworren
erkennet; §. 90. und ihre Seelenwirkungen durch die Ner-
ven in den mechanischen Maschinen unterscheiden sich blos
durch einen hohen und oft ans Widernatürliche grenzenden
Grad der Stärke. §. 256. Da nun die Nervenkräfte
der sinnlichen Eindrücke allein die Seelenwirkungen der
sinnlichen Begierden und Verabscheuungen ersetzen können,
§. 550. so können sie auch die Seelenwirkungen der sinnli-
chen Triebe und Leidenschaften durch die Nerven in den me-
chanischen Maschinen ersetzen. Da wir diese Wahrheit
von allen besondern Arten der Triebe und Leidenschaften
aus der Erfahrung beweisen werden, so wäre es unnütz,
von den sinnlichen Begierden und Verabscheuungen, die
keine Triebe oder Leidenschaften sind, besondre Beyspiele
anzuführen.

§. 552.

Die Natur hält durch die sinnlichen Triebe die Thie-
re zu den Pflichten ihrer Erhaltung, Vertheidigung, Fort-
pflanzung und Pflege der Jungen, durch die Veranlassung
äußerer sinnlicher Eindrücke an, die sie ihnen zu rechter
Zeit, wenn es nöthig ist, gleichsam in den Weg leget, §.
262 -- 265. 292. und die selbst die vernünftigen Thiere
nur durch sehr dunkle Empfindungen ganz blindlings zu
ihren natürlichen Pflichten zwingen. §. 266. 269. Um
desto weniger ist es befremdlich, daß die von der Natur so
weislich vorherbestimmten und veranlaßten äußern sinnli-
chen Eindrücke die Seelenwirkungen der natürlichen Triebe,
als Nervenwirkungen, erregen, ausführen und zu ihren
Zwecken hinbringen können, ohne empfunden zu werden,
und ohne daß die thierischen Seelenkräfte daran einigen
Antheil nehmen dürften. §. 89. Es sind aber die unmit-
telbaren Seelenwirkungen der Triebe nichts anders, als
Veränderungen der Lebensbewegungen von der sinnlichen

Lust
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1 Abſchn. Erſetz. der Seelenw. durch Nervenw.
durch unterſcheiden, daß ſie einen groͤßern Grad der Hef-
tigkeit aͤußern, als andre, daß ſie ganz ſinnlich ſind, und
daß die Seele ihre Gegenſtaͤnde nur dunkel oder verworren
erkennet; §. 90. und ihre Seelenwirkungen durch die Ner-
ven in den mechaniſchen Maſchinen unterſcheiden ſich blos
durch einen hohen und oft ans Widernatuͤrliche grenzenden
Grad der Staͤrke. §. 256. Da nun die Nervenkraͤfte
der ſinnlichen Eindruͤcke allein die Seelenwirkungen der
ſinnlichen Begierden und Verabſcheuungen erſetzen koͤnnen,
§. 550. ſo koͤnnen ſie auch die Seelenwirkungen der ſinnli-
chen Triebe und Leidenſchaften durch die Nerven in den me-
chaniſchen Maſchinen erſetzen. Da wir dieſe Wahrheit
von allen beſondern Arten der Triebe und Leidenſchaften
aus der Erfahrung beweiſen werden, ſo waͤre es unnuͤtz,
von den ſinnlichen Begierden und Verabſcheuungen, die
keine Triebe oder Leidenſchaften ſind, beſondre Beyſpiele
anzufuͤhren.

§. 552.

Die Natur haͤlt durch die ſinnlichen Triebe die Thie-
re zu den Pflichten ihrer Erhaltung, Vertheidigung, Fort-
pflanzung und Pflege der Jungen, durch die Veranlaſſung
aͤußerer ſinnlicher Eindruͤcke an, die ſie ihnen zu rechter
Zeit, wenn es noͤthig iſt, gleichſam in den Weg leget, §.
262 — 265. 292. und die ſelbſt die vernuͤnftigen Thiere
nur durch ſehr dunkle Empfindungen ganz blindlings zu
ihren natuͤrlichen Pflichten zwingen. §. 266. 269. Um
deſto weniger iſt es befremdlich, daß die von der Natur ſo
weislich vorherbeſtimmten und veranlaßten aͤußern ſinnli-
chen Eindruͤcke die Seelenwirkungen der natuͤrlichen Triebe,
als Nervenwirkungen, erregen, ausfuͤhren und zu ihren
Zwecken hinbringen koͤnnen, ohne empfunden zu werden,
und ohne daß die thieriſchen Seelenkraͤfte daran einigen
Antheil nehmen duͤrften. §. 89. Es ſind aber die unmit-
telbaren Seelenwirkungen der Triebe nichts anders, als
Veraͤnderungen der Lebensbewegungen von der ſinnlichen

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[545/0569] 1 Abſchn. Erſetz. der Seelenw. durch Nervenw. durch unterſcheiden, daß ſie einen groͤßern Grad der Hef- tigkeit aͤußern, als andre, daß ſie ganz ſinnlich ſind, und daß die Seele ihre Gegenſtaͤnde nur dunkel oder verworren erkennet; §. 90. und ihre Seelenwirkungen durch die Ner- ven in den mechaniſchen Maſchinen unterſcheiden ſich blos durch einen hohen und oft ans Widernatuͤrliche grenzenden Grad der Staͤrke. §. 256. Da nun die Nervenkraͤfte der ſinnlichen Eindruͤcke allein die Seelenwirkungen der ſinnlichen Begierden und Verabſcheuungen erſetzen koͤnnen, §. 550. ſo koͤnnen ſie auch die Seelenwirkungen der ſinnli- chen Triebe und Leidenſchaften durch die Nerven in den me- chaniſchen Maſchinen erſetzen. Da wir dieſe Wahrheit von allen beſondern Arten der Triebe und Leidenſchaften aus der Erfahrung beweiſen werden, ſo waͤre es unnuͤtz, von den ſinnlichen Begierden und Verabſcheuungen, die keine Triebe oder Leidenſchaften ſind, beſondre Beyſpiele anzufuͤhren. §. 552. Die Natur haͤlt durch die ſinnlichen Triebe die Thie- re zu den Pflichten ihrer Erhaltung, Vertheidigung, Fort- pflanzung und Pflege der Jungen, durch die Veranlaſſung aͤußerer ſinnlicher Eindruͤcke an, die ſie ihnen zu rechter Zeit, wenn es noͤthig iſt, gleichſam in den Weg leget, §. 262 — 265. 292. und die ſelbſt die vernuͤnftigen Thiere nur durch ſehr dunkle Empfindungen ganz blindlings zu ihren natuͤrlichen Pflichten zwingen. §. 266. 269. Um deſto weniger iſt es befremdlich, daß die von der Natur ſo weislich vorherbeſtimmten und veranlaßten aͤußern ſinnli- chen Eindruͤcke die Seelenwirkungen der natuͤrlichen Triebe, als Nervenwirkungen, erregen, ausfuͤhren und zu ihren Zwecken hinbringen koͤnnen, ohne empfunden zu werden, und ohne daß die thieriſchen Seelenkraͤfte daran einigen Antheil nehmen duͤrften. §. 89. Es ſind aber die unmit- telbaren Seelenwirkungen der Triebe nichts anders, als Veraͤnderungen der Lebensbewegungen von der ſinnlichen Luſt M m

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Zitationshilfe: Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771, S. 545. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/569>, abgerufen am 28.03.2024.