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Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771.

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II Th. Nervenkr. 4 K. Verh. zu den th. Seelenkr.
einer enthaupteten Schildkröte, nachdem sie lange genug ge-
hungert hat, noch untersuchen wollte, ob sich ihr Magen
und ihre Gedärme von äußern sinnlichen Eindrücken in sie
lebhafter bewegeten. Um deswillen muß jeder, dem es nur
um die Entdeckung der Wahrheit zu thun ist, und der sich
in einer so schweren Untersuchung nicht blos mit Schwie-
rigkeiten und Einwendungen aufhalten will, zufrieden seyn,
wenn man ihm, zum Beweise, oft nur unmittelbare Folgen
aus andern Erfahrungen darbietet, oder aus einigen sicht-
baren Folgen auf das Daseyn ihrer einzigen Ursachen oder
Triebfedern schließt. So kann man im obigen Beyspiele
von der enthaupteten Schildkröte sicher voraussetzen, daß
eben die äußern sinnlichen Eindrücke im Magen, welche
von seiner Entledigung veranlasset werden, und beym leben-
den Thiere eine unangenehme äußere Empfindung, eine Ue-
bligkeit verursachen, und eine lebhaftere peristaltische Be-
wegung nach sich ziehen, im enthaupteten Thiere ebenfalls
vorhanden sind, und eben so wirken, weil ihr Magen eben-
falls ledig wird, mithin eben den äußern sinnlichen Ein-
druck empfängt, der die Uebligkeit sonst machete, und weil
jeder äußerer sinnlicher Eindruck im Magen, wie man aus
andern Erfahrungen weiß, die peristaltische Bewegung rei-
zet. Und da es die gewöhnliche zufällige Seelenwirkung
des Nahrungstriebes bey denkenden Thieren ist, daß sie in
diesem Zustande sich willkührlich aufmachen, umhergehen
und ihre Nahrung suchen; so bestätiget derselbe Erfolg bey
den enthaupteten ganz unwidersprechlich, daß diese ihre will-
kührlich scheinende Bewegungen itzt die Folge derjenigen
Nervenwirkungen allein seyn müssen, die vorher die zufälli-
gen Seelenwirkungen des Triebes zugleich waren. Es ist
hinlänglich, diese Anmerkung hier ein für allemal gema-
chet zu haben.

§. 555.

Die äußern sinnlichen Eindrücke, welche den Trieb zur
willkührlichen Bewegung
veranlassen, erregen im Kör-

per

II Th. Nervenkr. 4 K. Verh. zu den th. Seelenkr.
einer enthaupteten Schildkroͤte, nachdem ſie lange genug ge-
hungert hat, noch unterſuchen wollte, ob ſich ihr Magen
und ihre Gedaͤrme von aͤußern ſinnlichen Eindruͤcken in ſie
lebhafter bewegeten. Um deswillen muß jeder, dem es nur
um die Entdeckung der Wahrheit zu thun iſt, und der ſich
in einer ſo ſchweren Unterſuchung nicht blos mit Schwie-
rigkeiten und Einwendungen aufhalten will, zufrieden ſeyn,
wenn man ihm, zum Beweiſe, oft nur unmittelbare Folgen
aus andern Erfahrungen darbietet, oder aus einigen ſicht-
baren Folgen auf das Daſeyn ihrer einzigen Urſachen oder
Triebfedern ſchließt. So kann man im obigen Beyſpiele
von der enthaupteten Schildkroͤte ſicher vorausſetzen, daß
eben die aͤußern ſinnlichen Eindruͤcke im Magen, welche
von ſeiner Entledigung veranlaſſet werden, und beym leben-
den Thiere eine unangenehme aͤußere Empfindung, eine Ue-
bligkeit verurſachen, und eine lebhaftere periſtaltiſche Be-
wegung nach ſich ziehen, im enthaupteten Thiere ebenfalls
vorhanden ſind, und eben ſo wirken, weil ihr Magen eben-
falls ledig wird, mithin eben den aͤußern ſinnlichen Ein-
druck empfaͤngt, der die Uebligkeit ſonſt machete, und weil
jeder aͤußerer ſinnlicher Eindruck im Magen, wie man aus
andern Erfahrungen weiß, die periſtaltiſche Bewegung rei-
zet. Und da es die gewoͤhnliche zufaͤllige Seelenwirkung
des Nahrungstriebes bey denkenden Thieren iſt, daß ſie in
dieſem Zuſtande ſich willkuͤhrlich aufmachen, umhergehen
und ihre Nahrung ſuchen; ſo beſtaͤtiget derſelbe Erfolg bey
den enthaupteten ganz unwiderſprechlich, daß dieſe ihre will-
kuͤhrlich ſcheinende Bewegungen itzt die Folge derjenigen
Nervenwirkungen allein ſeyn muͤſſen, die vorher die zufaͤlli-
gen Seelenwirkungen des Triebes zugleich waren. Es iſt
hinlaͤnglich, dieſe Anmerkung hier ein fuͤr allemal gema-
chet zu haben.

§. 555.

Die aͤußern ſinnlichen Eindruͤcke, welche den Trieb zur
willkuͤhrlichen Bewegung
veranlaſſen, erregen im Koͤr-

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[550/0574] II Th. Nervenkr. 4 K. Verh. zu den th. Seelenkr. einer enthaupteten Schildkroͤte, nachdem ſie lange genug ge- hungert hat, noch unterſuchen wollte, ob ſich ihr Magen und ihre Gedaͤrme von aͤußern ſinnlichen Eindruͤcken in ſie lebhafter bewegeten. Um deswillen muß jeder, dem es nur um die Entdeckung der Wahrheit zu thun iſt, und der ſich in einer ſo ſchweren Unterſuchung nicht blos mit Schwie- rigkeiten und Einwendungen aufhalten will, zufrieden ſeyn, wenn man ihm, zum Beweiſe, oft nur unmittelbare Folgen aus andern Erfahrungen darbietet, oder aus einigen ſicht- baren Folgen auf das Daſeyn ihrer einzigen Urſachen oder Triebfedern ſchließt. So kann man im obigen Beyſpiele von der enthaupteten Schildkroͤte ſicher vorausſetzen, daß eben die aͤußern ſinnlichen Eindruͤcke im Magen, welche von ſeiner Entledigung veranlaſſet werden, und beym leben- den Thiere eine unangenehme aͤußere Empfindung, eine Ue- bligkeit verurſachen, und eine lebhaftere periſtaltiſche Be- wegung nach ſich ziehen, im enthaupteten Thiere ebenfalls vorhanden ſind, und eben ſo wirken, weil ihr Magen eben- falls ledig wird, mithin eben den aͤußern ſinnlichen Ein- druck empfaͤngt, der die Uebligkeit ſonſt machete, und weil jeder aͤußerer ſinnlicher Eindruck im Magen, wie man aus andern Erfahrungen weiß, die periſtaltiſche Bewegung rei- zet. Und da es die gewoͤhnliche zufaͤllige Seelenwirkung des Nahrungstriebes bey denkenden Thieren iſt, daß ſie in dieſem Zuſtande ſich willkuͤhrlich aufmachen, umhergehen und ihre Nahrung ſuchen; ſo beſtaͤtiget derſelbe Erfolg bey den enthaupteten ganz unwiderſprechlich, daß dieſe ihre will- kuͤhrlich ſcheinende Bewegungen itzt die Folge derjenigen Nervenwirkungen allein ſeyn muͤſſen, die vorher die zufaͤlli- gen Seelenwirkungen des Triebes zugleich waren. Es iſt hinlaͤnglich, dieſe Anmerkung hier ein fuͤr allemal gema- chet zu haben. §. 555. Die aͤußern ſinnlichen Eindruͤcke, welche den Trieb zur willkuͤhrlichen Bewegung veranlaſſen, erregen im Koͤr- per

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Zitationshilfe: Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771, S. 550. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/574>, abgerufen am 28.03.2024.