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Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771.

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III Th. Natur der Thiere im Ganzen.
denn es ist gar nicht gleichviel, wie das Gehirnmark be-
schaffen oder gebauet sey, um materielle Jdeen hervorbrin-
gen zu können. Jn allen Nerven ist Gehirnmark; das
ganze Rückenmark besteht größtentheils daraus, §. 13. und
in keinem einzigen Theile dieses Marks erzeugen sich mate-
rielle Jdeen und Vorstellungen einer Seele, außer da, wo
es im Haupte die bewundernswürdige und unerforschliche
Strucktur annimmt, die ein Gehirn daraus bildet. Es
könnte demnach die ganze Höle der Hirnschale eines Thie-
res, eben so wie die Röhre des Rückgrats, mit wahrem
Hirnmarke ausgefüllet seyn, und es würde doch kein Theil
desselben, noch auch das Ganze, jemals etwas mehr als
Nervenkräfte äußern, jemals eine materielle Jdee formi-
ren, oder einer Seele Vorstellungen beybringen, oder von
ihnen sinnliche Eindrücke annehmen können, wenn ihm
nicht die besondre Strucktur gegeben wäre, die ihm in be-
seelten Thieren diese thierische Kraft eigen machet, und in
ihren Köpfen so merkwürdig wesentlich übereinstimmet. §.
15. N. 2. Aber eben diese Strucktur ist es, die den obge-
nannten Gattungen der Thiere, ob sie gleich Aehnlichkeiten
eines Gehirns haben, schlechterdings mangelt. §. 15. N. 2.
Wir werden also aus eben den Gründen glauben müssen,
daß sie von Natur unbeseelt sind, die uns bey enthaupteten
beseelten überzeugen, daß die äußern sinnlichen Eindrücke,
die sie thierisch bewegen, keine Seelenwirkung ihrer äußern
Empfindung, noch die innern in das Mark ihrer Nerven,
die mit einer Nadel gemachet werden, Seelenwirkungen ei-
genmächtiger Vorstellungen sind.

§. 625.

Alle diese Gründe zusammengenommen, §. 621 --
624. geben allerdings einen sehr hohen Grad der Wahr-
scheinlichkeit, daß dergleichen Thiere von Natur unbeseelt,
und blos mit den Nervenkräften der sinnlichen Eindrücke
allein, zu allen Zwecken ihres thierischen Lebens ausgerü-
stet sind. Wir wollen keine Gründe aus der uns gänzlich

unbekann-

III Th. Natur der Thiere im Ganzen.
denn es iſt gar nicht gleichviel, wie das Gehirnmark be-
ſchaffen oder gebauet ſey, um materielle Jdeen hervorbrin-
gen zu koͤnnen. Jn allen Nerven iſt Gehirnmark; das
ganze Ruͤckenmark beſteht groͤßtentheils daraus, §. 13. und
in keinem einzigen Theile dieſes Marks erzeugen ſich mate-
rielle Jdeen und Vorſtellungen einer Seele, außer da, wo
es im Haupte die bewundernswuͤrdige und unerforſchliche
Strucktur annimmt, die ein Gehirn daraus bildet. Es
koͤnnte demnach die ganze Hoͤle der Hirnſchale eines Thie-
res, eben ſo wie die Roͤhre des Ruͤckgrats, mit wahrem
Hirnmarke ausgefuͤllet ſeyn, und es wuͤrde doch kein Theil
deſſelben, noch auch das Ganze, jemals etwas mehr als
Nervenkraͤfte aͤußern, jemals eine materielle Jdee formi-
ren, oder einer Seele Vorſtellungen beybringen, oder von
ihnen ſinnliche Eindruͤcke annehmen koͤnnen, wenn ihm
nicht die beſondre Strucktur gegeben waͤre, die ihm in be-
ſeelten Thieren dieſe thieriſche Kraft eigen machet, und in
ihren Koͤpfen ſo merkwuͤrdig weſentlich uͤbereinſtimmet. §.
15. N. 2. Aber eben dieſe Strucktur iſt es, die den obge-
nannten Gattungen der Thiere, ob ſie gleich Aehnlichkeiten
eines Gehirns haben, ſchlechterdings mangelt. §. 15. N. 2.
Wir werden alſo aus eben den Gruͤnden glauben muͤſſen,
daß ſie von Natur unbeſeelt ſind, die uns bey enthaupteten
beſeelten uͤberzeugen, daß die aͤußern ſinnlichen Eindruͤcke,
die ſie thieriſch bewegen, keine Seelenwirkung ihrer aͤußern
Empfindung, noch die innern in das Mark ihrer Nerven,
die mit einer Nadel gemachet werden, Seelenwirkungen ei-
genmaͤchtiger Vorſtellungen ſind.

§. 625.

Alle dieſe Gruͤnde zuſammengenommen, §. 621 —
624. geben allerdings einen ſehr hohen Grad der Wahr-
ſcheinlichkeit, daß dergleichen Thiere von Natur unbeſeelt,
und blos mit den Nervenkraͤften der ſinnlichen Eindruͤcke
allein, zu allen Zwecken ihres thieriſchen Lebens ausgeruͤ-
ſtet ſind. Wir wollen keine Gruͤnde aus der uns gaͤnzlich

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[632/0656] III Th. Natur der Thiere im Ganzen. denn es iſt gar nicht gleichviel, wie das Gehirnmark be- ſchaffen oder gebauet ſey, um materielle Jdeen hervorbrin- gen zu koͤnnen. Jn allen Nerven iſt Gehirnmark; das ganze Ruͤckenmark beſteht groͤßtentheils daraus, §. 13. und in keinem einzigen Theile dieſes Marks erzeugen ſich mate- rielle Jdeen und Vorſtellungen einer Seele, außer da, wo es im Haupte die bewundernswuͤrdige und unerforſchliche Strucktur annimmt, die ein Gehirn daraus bildet. Es koͤnnte demnach die ganze Hoͤle der Hirnſchale eines Thie- res, eben ſo wie die Roͤhre des Ruͤckgrats, mit wahrem Hirnmarke ausgefuͤllet ſeyn, und es wuͤrde doch kein Theil deſſelben, noch auch das Ganze, jemals etwas mehr als Nervenkraͤfte aͤußern, jemals eine materielle Jdee formi- ren, oder einer Seele Vorſtellungen beybringen, oder von ihnen ſinnliche Eindruͤcke annehmen koͤnnen, wenn ihm nicht die beſondre Strucktur gegeben waͤre, die ihm in be- ſeelten Thieren dieſe thieriſche Kraft eigen machet, und in ihren Koͤpfen ſo merkwuͤrdig weſentlich uͤbereinſtimmet. §. 15. N. 2. Aber eben dieſe Strucktur iſt es, die den obge- nannten Gattungen der Thiere, ob ſie gleich Aehnlichkeiten eines Gehirns haben, ſchlechterdings mangelt. §. 15. N. 2. Wir werden alſo aus eben den Gruͤnden glauben muͤſſen, daß ſie von Natur unbeſeelt ſind, die uns bey enthaupteten beſeelten uͤberzeugen, daß die aͤußern ſinnlichen Eindruͤcke, die ſie thieriſch bewegen, keine Seelenwirkung ihrer aͤußern Empfindung, noch die innern in das Mark ihrer Nerven, die mit einer Nadel gemachet werden, Seelenwirkungen ei- genmaͤchtiger Vorſtellungen ſind. §. 625. Alle dieſe Gruͤnde zuſammengenommen, §. 621 — 624. geben allerdings einen ſehr hohen Grad der Wahr- ſcheinlichkeit, daß dergleichen Thiere von Natur unbeſeelt, und blos mit den Nervenkraͤften der ſinnlichen Eindruͤcke allein, zu allen Zwecken ihres thieriſchen Lebens ausgeruͤ- ſtet ſind. Wir wollen keine Gruͤnde aus der uns gaͤnzlich unbekann-

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Zitationshilfe: Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771, S. 632. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/656>, abgerufen am 25.04.2024.