Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Urbanitzky, Alfred von: Die Elektricität im Dienste der Menschheit. Wien; Leipzig, 1885.

Bild:
<< vorherige Seite
III. Elektricität.
1. Elektricität durch Reibung und durch Influenz.
Grunderscheinungen.

Sehr viele Körper, wie namentlich Harze, Schwefel, Glas u. dgl., zeigen,
durch die Hand, durch Fell, Wolle oder Seide gerieben, bemerkenswerthe Veränderungen
in ihrem physikalischen Verhalten, in ihrer Einwirkung auf andere Körper. Der
geriebene Körper erhält nämlich die Eigenschaft, kleine, leichte Körperchen, wie Papier-
schnitzel, Federchen, Hollundermark u. s. w., anzuziehen und kürzere oder längere
Zeit festzuhalten. Reibt man z. B. einen größeren Glasstab, so beobachtet man,
daß er nach dieser Operation leichte Körperchen anzieht, in kurzer Zeit aber wieder

[Abbildung] Fig. 32.

Goldblatt-Elektroskop.

abstößt. Während des Reibens selbst beobachtet man ein eigen-
thümliches, knisterndes Geräusch und sieht, wenn man das Ex-
periment im Dunkeln ausführt, den Stab leuchten oder zwischen
ihm und dem Reibzeuge kleine Fünkchen überspringen. Die
Erscheinung des Abstoßens der Körperchen kurze Zeit nachdem sie
angezogen wurden, beobachtet man noch besser in folgender
Weise. Man bedient sich des elektrischen Pendels -- einer
Vorrichtung, ganz ähnlich jener, welche auf Seite 38 beschrieben
und abgebildet wurde; die Stelle der Eisenkugel vertritt aber
eine Kugel aus Hollundermark oder ein kleiner Papierballon.
Nähert man nun dieser an einem Seidenfaden hängenden Hollunder-
markkugel eine geriebene Glasstange, so fliegt die Kugel gegen
dieselbe bis zur Berührung und fällt dann wieder ab; nähert
man neuerdings die Stange der Kugel, so flieht letztere.

Man ersieht aus diesen einfachen Experimenten, daß die
erwähnten Körper durch das Reiben in einen Zustand versetzt
wurden, in welchem sie sich vorher nicht befanden; wir be-
zeichnen diesen Zustand als einen elektrischen und nennen die
uns noch unbekannte Ursache desselben Elektricität.

Charakteristisch für diese Kraft ist die Abstoßung. Eine Behandlung ge-
wisser Körper, welche dazu führt, andere Körper anzuziehen, haben wir bereits
im Magnetismus kennen gelernt; das mit einem natürlichen Magnete gestrichene
Stahlstück zieht Eisentheile an und hält sie fest. Ein hinreichend kräftig geriebener
Glasstab jedoch zieht leichte Körperchen zwar auch an, hält sie aber nicht fest,
sondern stößt sie mehr oder weniger lebhaft wieder von sich. Greifen wir
nochmals auf das Experiment mit der Hollundermarkkugel -- dem elektrischen
Pendel -- zurück; wurde die Kugel an und für sich in ungeändertem Zustande
erst angezogen und dann abgestoßen oder hat auch die Kugel durch ihre Berührung
mit der Glasstange ihre Eigenschaften geändert? Die Beantwortung dieser Frage
giebt folgender Versuch: Man nähert der Hollundermarkkugel, nachdem sie mit dem
Glasstabe in Berührung gewesen ist, eine zweite Hollundermarkkugel oder andere
leichte Körperchen. Werden diese nun gleichfalls von der zuerst benützten Kugel
angezogen, so ist mit letzterer während der Berührung mit dem Glasstabe offen-
bar auch eine Veränderung vorgegangen. Und in der That, das Experiment zeigt,

III. Elektricität.
1. Elektricität durch Reibung und durch Influenz.
Grunderſcheinungen.

Sehr viele Körper, wie namentlich Harze, Schwefel, Glas u. dgl., zeigen,
durch die Hand, durch Fell, Wolle oder Seide gerieben, bemerkenswerthe Veränderungen
in ihrem phyſikaliſchen Verhalten, in ihrer Einwirkung auf andere Körper. Der
geriebene Körper erhält nämlich die Eigenſchaft, kleine, leichte Körperchen, wie Papier-
ſchnitzel, Federchen, Hollundermark u. ſ. w., anzuziehen und kürzere oder längere
Zeit feſtzuhalten. Reibt man z. B. einen größeren Glasſtab, ſo beobachtet man,
daß er nach dieſer Operation leichte Körperchen anzieht, in kurzer Zeit aber wieder

[Abbildung] Fig. 32.

Goldblatt-Elektroſkop.

abſtößt. Während des Reibens ſelbſt beobachtet man ein eigen-
thümliches, kniſterndes Geräuſch und ſieht, wenn man das Ex-
periment im Dunkeln ausführt, den Stab leuchten oder zwiſchen
ihm und dem Reibzeuge kleine Fünkchen überſpringen. Die
Erſcheinung des Abſtoßens der Körperchen kurze Zeit nachdem ſie
angezogen wurden, beobachtet man noch beſſer in folgender
Weiſe. Man bedient ſich des elektriſchen Pendels — einer
Vorrichtung, ganz ähnlich jener, welche auf Seite 38 beſchrieben
und abgebildet wurde; die Stelle der Eiſenkugel vertritt aber
eine Kugel aus Hollundermark oder ein kleiner Papierballon.
Nähert man nun dieſer an einem Seidenfaden hängenden Hollunder-
markkugel eine geriebene Glasſtange, ſo fliegt die Kugel gegen
dieſelbe bis zur Berührung und fällt dann wieder ab; nähert
man neuerdings die Stange der Kugel, ſo flieht letztere.

Man erſieht aus dieſen einfachen Experimenten, daß die
erwähnten Körper durch das Reiben in einen Zuſtand verſetzt
wurden, in welchem ſie ſich vorher nicht befanden; wir be-
zeichnen dieſen Zuſtand als einen elektriſchen und nennen die
uns noch unbekannte Urſache desſelben Elektricität.

Charakteriſtiſch für dieſe Kraft iſt die Abſtoßung. Eine Behandlung ge-
wiſſer Körper, welche dazu führt, andere Körper anzuziehen, haben wir bereits
im Magnetismus kennen gelernt; das mit einem natürlichen Magnete geſtrichene
Stahlſtück zieht Eiſentheile an und hält ſie feſt. Ein hinreichend kräftig geriebener
Glasſtab jedoch zieht leichte Körperchen zwar auch an, hält ſie aber nicht feſt,
ſondern ſtößt ſie mehr oder weniger lebhaft wieder von ſich. Greifen wir
nochmals auf das Experiment mit der Hollundermarkkugel — dem elektriſchen
Pendel — zurück; wurde die Kugel an und für ſich in ungeändertem Zuſtande
erſt angezogen und dann abgeſtoßen oder hat auch die Kugel durch ihre Berührung
mit der Glasſtange ihre Eigenſchaften geändert? Die Beantwortung dieſer Frage
giebt folgender Verſuch: Man nähert der Hollundermarkkugel, nachdem ſie mit dem
Glasſtabe in Berührung geweſen iſt, eine zweite Hollundermarkkugel oder andere
leichte Körperchen. Werden dieſe nun gleichfalls von der zuerſt benützten Kugel
angezogen, ſo iſt mit letzterer während der Berührung mit dem Glasſtabe offen-
bar auch eine Veränderung vorgegangen. Und in der That, das Experiment zeigt,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0076" n="62"/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">III.</hi> Elektricität.</hi> </head><lb/>
          <div n="3">
            <head>1. Elektricität durch Reibung und durch Influenz.</head><lb/>
            <div n="4">
              <head>Grunder&#x017F;cheinungen.</head><lb/>
              <p>Sehr viele Körper, wie namentlich Harze, Schwefel, Glas u. dgl., zeigen,<lb/>
durch die Hand, durch Fell, Wolle oder Seide gerieben, bemerkenswerthe Veränderungen<lb/>
in ihrem phy&#x017F;ikali&#x017F;chen Verhalten, in ihrer Einwirkung auf andere Körper. Der<lb/>
geriebene Körper erhält nämlich die Eigen&#x017F;chaft, kleine, leichte Körperchen, wie Papier-<lb/>
&#x017F;chnitzel, Federchen, Hollundermark u. &#x017F;. w., anzuziehen und kürzere oder längere<lb/>
Zeit fe&#x017F;tzuhalten. Reibt man z. B. einen größeren Glas&#x017F;tab, &#x017F;o beobachtet man,<lb/>
daß er nach die&#x017F;er Operation leichte Körperchen anzieht, in kurzer Zeit aber wieder<lb/><figure><head>Fig. 32.</head><lb/><p>Goldblatt-Elektro&#x017F;kop.</p></figure><lb/>
ab&#x017F;tößt. Während des Reibens &#x017F;elb&#x017F;t beobachtet man ein eigen-<lb/>
thümliches, kni&#x017F;terndes Geräu&#x017F;ch und &#x017F;ieht, wenn man das Ex-<lb/>
periment im Dunkeln ausführt, den Stab leuchten oder zwi&#x017F;chen<lb/>
ihm und dem Reibzeuge kleine Fünkchen über&#x017F;pringen. Die<lb/>
Er&#x017F;cheinung des Ab&#x017F;toßens der Körperchen kurze Zeit nachdem &#x017F;ie<lb/>
angezogen wurden, beobachtet man noch be&#x017F;&#x017F;er in folgender<lb/>
Wei&#x017F;e. Man bedient &#x017F;ich des <hi rendition="#g">elektri&#x017F;chen Pendels</hi> &#x2014; einer<lb/>
Vorrichtung, ganz ähnlich jener, welche auf Seite 38 be&#x017F;chrieben<lb/>
und abgebildet wurde; die Stelle der Ei&#x017F;enkugel vertritt aber<lb/>
eine Kugel aus Hollundermark oder ein kleiner Papierballon.<lb/>
Nähert man nun die&#x017F;er an einem Seidenfaden hängenden Hollunder-<lb/>
markkugel eine geriebene Glas&#x017F;tange, &#x017F;o fliegt die Kugel gegen<lb/>
die&#x017F;elbe bis zur Berührung und fällt dann wieder ab; nähert<lb/>
man neuerdings die Stange der Kugel, &#x017F;o flieht letztere.</p><lb/>
              <p>Man er&#x017F;ieht aus die&#x017F;en einfachen Experimenten, daß die<lb/>
erwähnten Körper durch das Reiben in einen Zu&#x017F;tand ver&#x017F;etzt<lb/>
wurden, in welchem &#x017F;ie &#x017F;ich vorher nicht befanden; wir be-<lb/>
zeichnen die&#x017F;en Zu&#x017F;tand als einen <hi rendition="#g">elektri&#x017F;chen</hi> und nennen die<lb/>
uns noch unbekannte Ur&#x017F;ache des&#x017F;elben <hi rendition="#g">Elektricität</hi>.</p><lb/>
              <p>Charakteri&#x017F;ti&#x017F;ch für die&#x017F;e Kraft i&#x017F;t die Ab&#x017F;toßung. Eine Behandlung ge-<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;er Körper, welche dazu führt, andere Körper anzuziehen, haben wir bereits<lb/>
im Magnetismus kennen gelernt; das mit einem natürlichen Magnete ge&#x017F;trichene<lb/>
Stahl&#x017F;tück zieht Ei&#x017F;entheile an und hält &#x017F;ie fe&#x017F;t. Ein hinreichend kräftig geriebener<lb/>
Glas&#x017F;tab jedoch zieht leichte Körperchen zwar auch an, hält &#x017F;ie aber nicht fe&#x017F;t,<lb/>
&#x017F;ondern &#x017F;tößt &#x017F;ie mehr oder weniger lebhaft wieder von &#x017F;ich. Greifen wir<lb/>
nochmals auf das Experiment mit der Hollundermarkkugel &#x2014; dem elektri&#x017F;chen<lb/>
Pendel &#x2014; zurück; wurde die Kugel an und für &#x017F;ich in ungeändertem Zu&#x017F;tande<lb/>
er&#x017F;t angezogen und dann abge&#x017F;toßen oder hat auch die Kugel durch ihre Berührung<lb/>
mit der Glas&#x017F;tange ihre Eigen&#x017F;chaften geändert? Die Beantwortung die&#x017F;er Frage<lb/>
giebt folgender Ver&#x017F;uch: Man nähert der Hollundermarkkugel, nachdem &#x017F;ie mit dem<lb/>
Glas&#x017F;tabe in Berührung gewe&#x017F;en i&#x017F;t, eine zweite Hollundermarkkugel oder andere<lb/>
leichte Körperchen. Werden die&#x017F;e nun gleichfalls von der zuer&#x017F;t benützten Kugel<lb/>
angezogen, &#x017F;o i&#x017F;t mit letzterer während der Berührung mit dem Glas&#x017F;tabe offen-<lb/>
bar auch eine Veränderung vorgegangen. Und in der That, das Experiment zeigt,<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[62/0076] III. Elektricität. 1. Elektricität durch Reibung und durch Influenz. Grunderſcheinungen. Sehr viele Körper, wie namentlich Harze, Schwefel, Glas u. dgl., zeigen, durch die Hand, durch Fell, Wolle oder Seide gerieben, bemerkenswerthe Veränderungen in ihrem phyſikaliſchen Verhalten, in ihrer Einwirkung auf andere Körper. Der geriebene Körper erhält nämlich die Eigenſchaft, kleine, leichte Körperchen, wie Papier- ſchnitzel, Federchen, Hollundermark u. ſ. w., anzuziehen und kürzere oder längere Zeit feſtzuhalten. Reibt man z. B. einen größeren Glasſtab, ſo beobachtet man, daß er nach dieſer Operation leichte Körperchen anzieht, in kurzer Zeit aber wieder [Abbildung Fig. 32. Goldblatt-Elektroſkop.] abſtößt. Während des Reibens ſelbſt beobachtet man ein eigen- thümliches, kniſterndes Geräuſch und ſieht, wenn man das Ex- periment im Dunkeln ausführt, den Stab leuchten oder zwiſchen ihm und dem Reibzeuge kleine Fünkchen überſpringen. Die Erſcheinung des Abſtoßens der Körperchen kurze Zeit nachdem ſie angezogen wurden, beobachtet man noch beſſer in folgender Weiſe. Man bedient ſich des elektriſchen Pendels — einer Vorrichtung, ganz ähnlich jener, welche auf Seite 38 beſchrieben und abgebildet wurde; die Stelle der Eiſenkugel vertritt aber eine Kugel aus Hollundermark oder ein kleiner Papierballon. Nähert man nun dieſer an einem Seidenfaden hängenden Hollunder- markkugel eine geriebene Glasſtange, ſo fliegt die Kugel gegen dieſelbe bis zur Berührung und fällt dann wieder ab; nähert man neuerdings die Stange der Kugel, ſo flieht letztere. Man erſieht aus dieſen einfachen Experimenten, daß die erwähnten Körper durch das Reiben in einen Zuſtand verſetzt wurden, in welchem ſie ſich vorher nicht befanden; wir be- zeichnen dieſen Zuſtand als einen elektriſchen und nennen die uns noch unbekannte Urſache desſelben Elektricität. Charakteriſtiſch für dieſe Kraft iſt die Abſtoßung. Eine Behandlung ge- wiſſer Körper, welche dazu führt, andere Körper anzuziehen, haben wir bereits im Magnetismus kennen gelernt; das mit einem natürlichen Magnete geſtrichene Stahlſtück zieht Eiſentheile an und hält ſie feſt. Ein hinreichend kräftig geriebener Glasſtab jedoch zieht leichte Körperchen zwar auch an, hält ſie aber nicht feſt, ſondern ſtößt ſie mehr oder weniger lebhaft wieder von ſich. Greifen wir nochmals auf das Experiment mit der Hollundermarkkugel — dem elektriſchen Pendel — zurück; wurde die Kugel an und für ſich in ungeändertem Zuſtande erſt angezogen und dann abgeſtoßen oder hat auch die Kugel durch ihre Berührung mit der Glasſtange ihre Eigenſchaften geändert? Die Beantwortung dieſer Frage giebt folgender Verſuch: Man nähert der Hollundermarkkugel, nachdem ſie mit dem Glasſtabe in Berührung geweſen iſt, eine zweite Hollundermarkkugel oder andere leichte Körperchen. Werden dieſe nun gleichfalls von der zuerſt benützten Kugel angezogen, ſo iſt mit letzterer während der Berührung mit dem Glasſtabe offen- bar auch eine Veränderung vorgegangen. Und in der That, das Experiment zeigt,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/urbanitzky_electricitaet_1885
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/urbanitzky_electricitaet_1885/76
Zitationshilfe: Urbanitzky, Alfred von: Die Elektricität im Dienste der Menschheit. Wien; Leipzig, 1885, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/urbanitzky_electricitaet_1885/76>, abgerufen am 28.03.2024.