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Uz, Johann Peter: Lyrische und andere Gedichte. 2. Aufl. Ansbach, 1755.

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Briefe.
Ehe. Gleichwohl ist der letzte Wunsch aller Liebenden,
mit dem geliebten Gegenstande aufs genaueste vereiniget
zu werden: und was ist Ehe anders, als diese genaueste
Verbindung derselben? Warum sind nun ihre güldnen
Tage insgemein diejenigen, da sie ihres letzten Wunsches
noch nicht gewähret worden? Sie haben auf solche Wei-
se, werthester Freund, das Gute von dem Ehestande
schon gekostet, da sie Bräutigam gewesen, und ohnfehl-
bar die wohlhergebrachten Rechte eines Bräutigams nicht
verschlafen haben, aber doch kein Ehmann geworden sind.
Jn was für seltsame Vorstellungen stürzet mich dieser Ge-
danke?

Jch dräng im Geiste mich zum Tempel der Cythere,
Durch schwärmender Verliebten Heere,
Durch den geweihten Myrthenhayn.
Die Freude reichet mir die Hände;
Sie führt mich schalkhaft lächelnd ein:
Ach! wenn sie nicht so schnell verschwände,
Wenn unser Herz sie rein empfände;
Wie göttlich würde sie nicht seyn!
Die Ueberwinderinn der Herzen
Ruht unter gauckelhaften Scherzen:
Jhr Auge flammt voll schlauer Lust,
Und Wünsche schwellen ihre Brust.
Es dampft, mit Seufzern untermischet,
Der Weirauch wolkicht vom Altar;
Und ihres Zephyrs Hauch erfrischet
Sie, ach! die manch verlohrnes Jahr.
Mir

Briefe.
Ehe. Gleichwohl iſt der letzte Wunſch aller Liebenden,
mit dem geliebten Gegenſtande aufs genaueſte vereiniget
zu werden: und was iſt Ehe anders, als dieſe genaueſte
Verbindung derſelben? Warum ſind nun ihre guͤldnen
Tage insgemein diejenigen, da ſie ihres letzten Wunſches
noch nicht gewaͤhret worden? Sie haben auf ſolche Wei-
ſe, wertheſter Freund, das Gute von dem Eheſtande
ſchon gekoſtet, da ſie Braͤutigam geweſen, und ohnfehl-
bar die wohlhergebrachten Rechte eines Braͤutigams nicht
verſchlafen haben, aber doch kein Ehmann geworden ſind.
Jn was fuͤr ſeltſame Vorſtellungen ſtuͤrzet mich dieſer Ge-
danke?

Jch draͤng im Geiſte mich zum Tempel der Cythere,
Durch ſchwaͤrmender Verliebten Heere,
Durch den geweihten Myrthenhayn.
Die Freude reichet mir die Haͤnde;
Sie fuͤhrt mich ſchalkhaft laͤchelnd ein:
Ach! wenn ſie nicht ſo ſchnell verſchwaͤnde,
Wenn unſer Herz ſie rein empfaͤnde;
Wie goͤttlich wuͤrde ſie nicht ſeyn!
Die Ueberwinderinn der Herzen
Ruht unter gauckelhaften Scherzen:
Jhr Auge flammt voll ſchlauer Luſt,
Und Wuͤnſche ſchwellen ihre Bruſt.
Es dampft, mit Seufzern untermiſchet,
Der Weirauch wolkicht vom Altar;
Und ihres Zephyrs Hauch erfriſchet
Sie, ach! die manch verlohrnes Jahr.
Mir
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[219/0233] Briefe. Ehe. Gleichwohl iſt der letzte Wunſch aller Liebenden, mit dem geliebten Gegenſtande aufs genaueſte vereiniget zu werden: und was iſt Ehe anders, als dieſe genaueſte Verbindung derſelben? Warum ſind nun ihre guͤldnen Tage insgemein diejenigen, da ſie ihres letzten Wunſches noch nicht gewaͤhret worden? Sie haben auf ſolche Wei- ſe, wertheſter Freund, das Gute von dem Eheſtande ſchon gekoſtet, da ſie Braͤutigam geweſen, und ohnfehl- bar die wohlhergebrachten Rechte eines Braͤutigams nicht verſchlafen haben, aber doch kein Ehmann geworden ſind. Jn was fuͤr ſeltſame Vorſtellungen ſtuͤrzet mich dieſer Ge- danke? Jch draͤng im Geiſte mich zum Tempel der Cythere, Durch ſchwaͤrmender Verliebten Heere, Durch den geweihten Myrthenhayn. Die Freude reichet mir die Haͤnde; Sie fuͤhrt mich ſchalkhaft laͤchelnd ein: Ach! wenn ſie nicht ſo ſchnell verſchwaͤnde, Wenn unſer Herz ſie rein empfaͤnde; Wie goͤttlich wuͤrde ſie nicht ſeyn! Die Ueberwinderinn der Herzen Ruht unter gauckelhaften Scherzen: Jhr Auge flammt voll ſchlauer Luſt, Und Wuͤnſche ſchwellen ihre Bruſt. Es dampft, mit Seufzern untermiſchet, Der Weirauch wolkicht vom Altar; Und ihres Zephyrs Hauch erfriſchet Sie, ach! die manch verlohrnes Jahr. Mir

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Zitationshilfe: Uz, Johann Peter: Lyrische und andere Gedichte. 2. Aufl. Ansbach, 1755, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/uz_gedichte_1755/233>, abgerufen am 29.03.2024.