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Valentin, Gabriel Gustav: Handbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen mit vergleichender Rücksicht der Entwicklung der Säugetiere und Vögel. Berlin, 1835.

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Von dem Embryo.
deutlich erkannt, dass ich nicht zu irren glaube, wenn ich den
Anfang dieser Sonderung schon in den zweiten Monat des Frucht-
lebens setze.

Die dichtere Schicht von Bildungsgewebe, welche die klare
Flüssigkeit in frühester Zeit umgiebt, muss als die erste Spur
von häutigen Hüllen des Hirnes und Rückenmarkes gedeutet wer-
den und so hat Tiedemann (l. c. S. 10.) eine deutlich zu tren-
nende Hülle schon in der achten Woche gesehen. Anfangs scheint
sie einfach zu seyn. Vielleicht geht aber auch hier ein völlig
analoger Process, wie in der Fruchtanlage überhaupt vor sich, d. h.
eine Trennung in zwei Blätter, ein oberes und unteres. Das
obere hiesse dura mater, das untere arachnoidea. Die letztere
umhüllte in frühester Zeit (vor Entstehung des Gefässblattes) die
flüssige Nervenmasse unmittelbar und schlösse alle scheinbaren
Spalten der Oberfläche. Mit weiterer Ausbildung des Gefässblat-
tes und grösserer Hineinbildung der Gefässe in die einzelnen Or-
gane entstünde nun die pia mater oder die von Sömmering so-
genannte Membrana vasculosa. Ueber das Letztere wird noch
später Einiges gesagt werden. Die Gefässhaut bleibt aber nicht
bloss an der äusseren Fläche des Gehirnes, sondern senkt sich in
die Furchen nach innen; ja jede Vertiefung, sie möge später zu
Hirnwindung, Ventrikel oder was immer werden, enthält eine
ihrer jedesmaligen Grösse entsprechende Falte des Gefässblattes.
Doch wäre es falsch zu behaupten, die Gefässhaut bohre sich die
Furche, als ginge von ersterer die Bildung der letzteren aus;
vielmehr bedingt dieselbe Kraft, welche die Verlängerung der
Falte erzeugt, auch die Vertiefung der Hirnmasse und beide ver-
danken einer Thätigkeit ihre gleichzeitige Entstehung. Die
Ausbildung des plexus Choroideus fällt in den dritten oder den
Anfang des vierten Monates. Um diese Zeit lässt sich auch die
Faserung der dura mater schon deutlich erkennen. -- Wie in
der ersten Zeit durch den Nackenhöcker Rückenmark und Hirn,
so wird bald durch eine Falte der Hirnhaut kleines Hirn und
Medulla oblongata von den Vierhügeln und dem grossen Gehirn
geschieden. Dieses in Zukunft als tentorium cerebelli auftre-
tende Gebilde sah Tiedemann (l. c. S. 12. 13.) schon im zweiten
Monate sehr ausgebildet. Auch ist diese Falte in früher Zeit
fester, als jeder andere Theil des Hirnes und Rückenmarkes.

Von dem Embryo.
deutlich erkannt, daſs ich nicht zu irren glaube, wenn ich den
Anfang dieser Sonderung schon in den zweiten Monat des Frucht-
lebens setze.

Die dichtere Schicht von Bildungsgewebe, welche die klare
Flüssigkeit in frühester Zeit umgiebt, muſs als die erste Spur
von häutigen Hüllen des Hirnes und Rückenmarkes gedeutet wer-
den und so hat Tiedemann (l. c. S. 10.) eine deutlich zu tren-
nende Hülle schon in der achten Woche gesehen. Anfangs scheint
sie einfach zu seyn. Vielleicht geht aber auch hier ein völlig
analoger Proceſs, wie in der Fruchtanlage überhaupt vor sich, d. h.
eine Trennung in zwei Blätter, ein oberes und unteres. Das
obere hieſse dura mater, das untere arachnoidea. Die letztere
umhüllte in frühester Zeit (vor Entstehung des Gefäſsblattes) die
flüssige Nervenmasse unmittelbar und schlösse alle scheinbaren
Spalten der Oberfläche. Mit weiterer Ausbildung des Gefäſsblat-
tes und gröſserer Hineinbildung der Gefäſse in die einzelnen Or-
gane entstünde nun die pia mater oder die von Sömmering so-
genannte Membrana vasculosa. Ueber das Letztere wird noch
später Einiges gesagt werden. Die Gefäſshaut bleibt aber nicht
bloſs an der äuſseren Fläche des Gehirnes, sondern senkt sich in
die Furchen nach innen; ja jede Vertiefung, sie möge später zu
Hirnwindung, Ventrikel oder was immer werden, enthält eine
ihrer jedesmaligen Gröſse entsprechende Falte des Gefäſsblattes.
Doch wäre es falsch zu behaupten, die Gefäſshaut bohre sich die
Furche, als ginge von ersterer die Bildung der letzteren aus;
vielmehr bedingt dieselbe Kraft, welche die Verlängerung der
Falte erzeugt, auch die Vertiefung der Hirnmasse und beide ver-
danken einer Thätigkeit ihre gleichzeitige Entstehung. Die
Ausbildung des plexus Choroideus fällt in den dritten oder den
Anfang des vierten Monates. Um diese Zeit läſst sich auch die
Faserung der dura mater schon deutlich erkennen. — Wie in
der ersten Zeit durch den Nackenhöcker Rückenmark und Hirn,
so wird bald durch eine Falte der Hirnhaut kleines Hirn und
Medulla oblongata von den Vierhügeln und dem groſsen Gehirn
geschieden. Dieses in Zukunft als tentorium cerebelli auftre-
tende Gebilde sah Tiedemann (l. c. S. 12. 13.) schon im zweiten
Monate sehr ausgebildet. Auch ist diese Falte in früher Zeit
fester, als jeder andere Theil des Hirnes und Rückenmarkes.

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[184/0212] Von dem Embryo. deutlich erkannt, daſs ich nicht zu irren glaube, wenn ich den Anfang dieser Sonderung schon in den zweiten Monat des Frucht- lebens setze. Die dichtere Schicht von Bildungsgewebe, welche die klare Flüssigkeit in frühester Zeit umgiebt, muſs als die erste Spur von häutigen Hüllen des Hirnes und Rückenmarkes gedeutet wer- den und so hat Tiedemann (l. c. S. 10.) eine deutlich zu tren- nende Hülle schon in der achten Woche gesehen. Anfangs scheint sie einfach zu seyn. Vielleicht geht aber auch hier ein völlig analoger Proceſs, wie in der Fruchtanlage überhaupt vor sich, d. h. eine Trennung in zwei Blätter, ein oberes und unteres. Das obere hieſse dura mater, das untere arachnoidea. Die letztere umhüllte in frühester Zeit (vor Entstehung des Gefäſsblattes) die flüssige Nervenmasse unmittelbar und schlösse alle scheinbaren Spalten der Oberfläche. Mit weiterer Ausbildung des Gefäſsblat- tes und gröſserer Hineinbildung der Gefäſse in die einzelnen Or- gane entstünde nun die pia mater oder die von Sömmering so- genannte Membrana vasculosa. Ueber das Letztere wird noch später Einiges gesagt werden. Die Gefäſshaut bleibt aber nicht bloſs an der äuſseren Fläche des Gehirnes, sondern senkt sich in die Furchen nach innen; ja jede Vertiefung, sie möge später zu Hirnwindung, Ventrikel oder was immer werden, enthält eine ihrer jedesmaligen Gröſse entsprechende Falte des Gefäſsblattes. Doch wäre es falsch zu behaupten, die Gefäſshaut bohre sich die Furche, als ginge von ersterer die Bildung der letzteren aus; vielmehr bedingt dieselbe Kraft, welche die Verlängerung der Falte erzeugt, auch die Vertiefung der Hirnmasse und beide ver- danken einer Thätigkeit ihre gleichzeitige Entstehung. Die Ausbildung des plexus Choroideus fällt in den dritten oder den Anfang des vierten Monates. Um diese Zeit läſst sich auch die Faserung der dura mater schon deutlich erkennen. — Wie in der ersten Zeit durch den Nackenhöcker Rückenmark und Hirn, so wird bald durch eine Falte der Hirnhaut kleines Hirn und Medulla oblongata von den Vierhügeln und dem groſsen Gehirn geschieden. Dieses in Zukunft als tentorium cerebelli auftre- tende Gebilde sah Tiedemann (l. c. S. 12. 13.) schon im zweiten Monate sehr ausgebildet. Auch ist diese Falte in früher Zeit fester, als jeder andere Theil des Hirnes und Rückenmarkes.

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Zitationshilfe: Valentin, Gabriel Gustav: Handbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen mit vergleichender Rücksicht der Entwicklung der Säugetiere und Vögel. Berlin, 1835, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/valentin_entwicklungsgeschichte_1835/212>, abgerufen am 28.03.2024.